MUJIBUR RAHMĀN

(17.03.1920 - 15.08.1975)

[Mujibur Rahman]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros

1920
17. März: Mujibur Rahmān1 wird als drittes von sechs Kindern des verarmten Zamindar Lutfur Rahmān2 und seiner Frau Sayera Khatūn in Gopalganj (Bezirk Farīdpur, Bengalen) geboren.
Bengalen war bis Mitte des 18. Jahrhunderts das reichste Land Südasiens gewesen - dann waren die Briten gekommen, die während der folgenden 150 Jahre den ganzen Subkontinent erobert und ihn ihrem "Empire" einverleibt eingegliedert hatten.
Im Ersten Weltkrieg (1914-18) hatten die Briten ca. 1 Million Inder als Freiwillige geködert mit dem Versprechen, ihnen nach Kriegsende die Unabhängigkeit zu gewähren - woran sie freilich nicht im Traum dachten. Rund 100.000 Inder fielen umsonst ("non gratis, sed frustra", wie Dikigoros' Latein- und Geschichtslehrer in Abwandlung einer bekannten Redewendung zu sagen pflegte).
Im ganzen Land erstarken Unabhängigkeitsbewegungen wie der "Indische National-Congress" [INC] und die "All-indische Mulim-Liga" [AIML], angeführt von in England ausgebildeten, kaum ihrer Muttersprachen mächtigen und religiös indifferenten Rechtsanwälten, von denen später vor allem ein gewisser Nehrū (aus einer vom Islām zum Hinduïsmus konvertierten Familie), ein gewisser Jinnāh (aus einer vom Hinduïsmus zum Islām konvertienten Familie) und ein gewisser Gāndhī (der kurz vor seiner geplanten Konvertierung vom Hinduïsmus zum Islām umgebracht wird) bekannt werden.

1924
Im fernen Germany erscheint ein Buch mit dem Titel "Mein Kampf". Darin schreibt ein gewisser Adolf Hitler - nicht nur, aber vor allem im Hinblick auf Britisch-Indien -, daß es ein schwerer Fehler sei, wenn Kolonialmächte den Eingeborenen Zugang zu westlicher Bildung ermöglichen; damit schaufelten sie sich ihr eigenes Grab und brächten auch über die Eingeborenen nur Unglück.

[Adolf Hitler, Mein Kampf]

(Das Buch wird allerdings zunächst kaum gelesen - nicht mal zuhause, geschweige denn anderswo -, und von den wenigen, die es doch lesen, nicht ernst genommen. Eine erste, unvollständige Übersetzung ins Englische erscheint erst 1933, eine vollständige erst 1936.)

1927-42
Rahmān besucht mehrere Missionsschulen in Bengalen, unterbrochen von einer Augen-Operation und langwieriger Rekonvaleszenz. (Seitdem ist eine Brille sein "Markenzeichen".)

1938
Rahmān wird mit seiner Cousine Fazilatunnesa (1930-1975) verheiratet.
Das gilt sowohl nach islamischem als auch nach hinduïstischem Gewohnheitsrecht als zulässig, wenngleich "Kinder-Ehen" von der britische Kolonialmacht offiziell nicht anerkannt (sondern nur inoffziell geduldet :-) werden.
Aus der Ehe - die erst 1946 konsumiert wird - gehen zwei Töchter und drei Söhne hervor.

1939
September: Nach Beginn des Polenfeldzugs erklärt Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg, der sich bald zum Zweiten Weltkrieg ausweitet.
Während die Muslim-Liga unter Jinnāh die Briten unterstützt, nehmen führende Politiker des Congress dies zum Anlaß, die Briten zum Verlassen des Landes aufzufordern ("Quit India!").
Die Briten reagieren mit einer Auflösung der Congress-Verwaltung; während sein Führer Nehrū verhaftet wird, kann sein Stellvertreter und Nachfolger, der Bengale Subhas Chandr Bosh [im Westen auch "Bose" geschrieben], ins Ausland fliehen.

1942/43
Japanische Truppen erobern - mit Unterstützung einer von Bosh aufgestellten "Indischen National-Armee" [I.N.A.] - den Ostteil von Britisch-Indien ("Burma").
Die Briten reagieren mit verstärkter Ausplünderung Indiens. Bei einer Hungersnot, die nur mit der zu vergleichen ist, die zehn Jahre zuvor ihr Verbündeter Stalin in der Ukraïne künstlich herbei gefüht hat, sterben mehrere Millionen Inder, vor allem in Bengalen.

1942-1947
Rahmān studiert in Calcutta Politologie (Abschluß: B.A.); daneben engagiert er sich in der Muslim-Liga.

1945
August: Nach dem Abwurf zweier US-amerikanischer Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki endet der Zweite Weltkrieg. Bosh wird von den Briten ermordetverunfallt, die gar nicht daran denken, Indien in die Unabhängigkeit zu entlassen.

1946
Februar: Nachdem die Briten versucht haben, die 11.000 gefangen genommenen Angehörigen der I.N.A. pauschal zu "Kriegsverbrechern" zu stempeln und ihren höheren Offizieren vor einem Tribunal in Delhi den Schauprozeß zu machen - als Probelauf für Nürnberg und die Behandlung der Waffen-SS -, meutern die Besatzungen aller Flotteneinheiten in Britisch-Indien, ausgehend von Bombay, Kārāchī und Kalkattā, geschlossen und erklären sich zur "I.N.N. [Indischen National-Marine]". Binnen weniger Tage greift die Meuterei auf die Luftwaffe und die Polizei in ganz Indien über, ferner auf Armee-Einheiten in Punä und Madrās; in den größeren Städten brechen Generalstreiks aus. Das Andenken des toten Bosh bewirkt, was alle Politiker Indiens zusammen in Jahrzehnten nicht vermocht hatten: die spontane Verbrüderung der Inder über alle Religionsgrenzen hinweg. Auf den meuternden Schiffen werden die Flaggen der Muslim-Liga und des Congress neben einander aufgezogen.
Die Briten begreifen urplötzlich, daß sie die Herrschaft über Indien nicht länger behaupten können und bitten die Führer der Muslim-Liga und des Congress, den nationalen Aufstand zu beenden, unter Zusicherung der Unabhängigkeit noch im selben Jahr. Jinnāh und Patel bewegen daraufhin die Anführer der Meuterei und der Streiks zum Einlenken.3
Mai: Die Briten legen ein Plan vor, nach dem Indien ungeteilt in die Unabhängigkeit entlassen werden soll, mit mehr oder weniger "autonomen" Bundesstaaten ("Provinzen"), deren Grenzen nach der Religionszugehörigkeit der Bevölkerungsmehrheit gezogen werden.4 Jinnāhs Muslim-Liga akzeptiert den Plan, der Congress lehnt ihn ab.
Juni: Die Briten legen eine neuen Plan vor, nach dem die indischen Fürstentümer entscheiden können, ob sie unabhängig werden oder sich einem hinduistischen oder muslimischen Bundesstaat ("Dominion") anschließen wollen. Auch dieser Plan wird von Jinnāhs Muslim-Liga akzeptiert, aber vom Congress ablehnt, der nun den Mai-Plan befürwortet, allerdings unter Ablehnung einer Neuziehung der Provinzgrenzen nach Religionszugehörigkeit. Als die Briten dies akzeptieren, kommt es zum Bruch mit Jinnāh, der im
August zu "Aktionen" gegen die Briten aufruft, die in Mord und Totschlag ausarten. (Die Opfer sind überwiegend Hindūs.)
Dezember: Auf einer Konferenz in London akzeptieren Muslim-Liga und Congress eine Teilung Indiens mitten durch die beiden reichsten - und gemischt besiedelten - Provinzen, Panjāb und Bengalen.


1947
14./15. August: Großbritannien gibt seine Herrschaft über Indien auf. Das hindūistische Bhārat und das muslimische Pākistān - vorübergehend auch das später von letzterem annektierte, ebenfalls muslimische Bälutschistān - werden unabhängig. (Die buddhistischen Länder Nepāl, Bhūtān und Shrī Lankā werden erst später unabhängig.)
Jinnāh wird "General-Gouverneur" des in "West-Pakistan" (entlang des Sindh) und "Ost-Pakistan" (Bengalen) geteilten Muslim-Staates.
(Das Verhältnis zwischen beiden Staatshälften ist von Anfang an gespannt, zumal Jinnāh aus unerfindlichen Gründen darauf besteht, Urdu - das er selber nur bruchstückhaft beherrscht - zur alleinigen Verwaltungssprache zu machen und die alte Kultursprache Bāngalī hintan zu setzen.)
Unmittelbar nach Ausrufung der Unabhängigkeit beginnt ein mörderischer Bürgerkrieg zwischen Hindus und Muslimen in allen gemischt besiedelten Gebieten, vor allem im Panjāb und in Bengalen. Beide Provinzen werden nachhaltig ruiniert. In weniger als zwei Monaten werden ca. 11 Millionen Menschen vertrieben oder getötet.5


Dezember: Pākistān und Bhārat beginnen einen ersten Krieg um Kashmīr und die Halbinsel Saurashtra, der zur Teilung des ersteren und zur Annexion des letzteren durch Bhārat führt.

1948
Januar: Rahmān verläßt Calcutta, zieht nach Dacca (alte, noch aus dem Portugiesischen stammende Schreibweise, heute "Dhākā") und immatrikuliert sich an der dortigen Universität für ein Studium der Rechtswissenschaften. (Er betätigt sich jedoch hauptsächlich politisch, gründet u.a. die "Muslimische Studenten-Liga" als Jugend-Organisation der Muslim-Liga.)
Unterdessen wird Gāndhī bei einem Attentat getötet.
September: Auch Jinnāh stirbt; das Verhältnis zwischen Bhārat und Pākistān bessert sich jedoch nicht.

1949
Juni: Rahmān zählt zu den Gründern der "Awami-Liga", die u.a. für die Gleichberechtigung der bengalischen Sprache eintritt. Er wird von der Universität verwiesen und vorläufig festgenommen.

1950
.

1954
Mai: In Ost-Bengalen werden erstmals Regionalwahlen abgehalten. Eine von der Awami-Liga geführte Koalition gewinnt über 90% der Abgeordnetenmandate, darunter auch das in Rahmāns Wahlkreis Gopalganj.
Ihr Spitzenkandidat Fazlul Huq erklärt sich zum Ministerpräsidenten von Ost-Bengalen und ernennt Rahmān zum Minister für Land- und Forstwirtschaft.
Die Zentralregierung erkennt die Wahlen nicht an, setzt Huq ab und löst das Regionalparlament auf; Rahmān wird wieder einmal verhaftet (bis Dezember).

1955
Juni: Bei gesamt-pākistānischen Wahlen gewinnt Rahmān erneut ein Abgeordnetenmandat.

1956
Pākistān erhält eine neue Verfassung, in der Urdu, Bengalisch und Englisch als gleichberechtigte Verwaltungssprachen anerkannt werden.
Suhrawardy wird neuer Führer der Awami-Liga und Premierminister.

1957
Die Awami-Liga wird durch innere Streitigkeiten und Austritte geschwächt; Suhrawardy tritt als Premierminister zurück.

1958
Präsident Mirza hat fertig. Das Militär unter General Ayub Khan übernimmt die Macht.

1960
Rahmān wird Staubsaugervertreter Versicherungsvertreter Abteilungsleiter bei der Alpha Insurance Company.

1963
Rahmān wird Generalsekretär der Awami-Liga.

1964
Mai: Nehrū stirbt.

1965
Pākistān beginnt einen zweiten Krieg gegen Bhārat um Kashmīr und Saurashtra.

1966
Januar: Rahmān wird Vorsitzender der Awami-Liga.
Nehrūs Tochter Indirā Gāndhī wird Premierministerin von Bhārat.
Die Sowjet-Union vermittelt im Krieg zwischen den feindlichen Brüdern mit sanftem Druck einen Waffenstillstand ohne territoriale Veränderungen.

1967
November: In West-Pākistān wird von in den USA und Großbritannien ausgebildeten Politikern die PPP (Pākistānische Pöbel-Volks-Partei) gegründet, eine marxistische Organisation, die im Rückblick von Gleichgesinnten im Westen gerne als "sozial-demokratisch" bezeichnet wird.

1969
General Ayub Khan tritt als Präsident zurück zugunsten von General Yahya Khan, der für das folgende Jahr Wahlen ausschreibt.

1970
November: Verheerende Wirbelstürme im Golf von Bengalen zerstören große Teile "Ost-Pākistānas"; die Bevölkerung - die ca. 200.000 Todesopfer zu beklagen hat - fühlt sich von der im Westen sitzenden Regierung im Stich gelassen; die Awami-Liga erhält starken Zulauf.
Dezember: Die Parlamentswahlen zeigen, wie gespalten Pākistān inzwischen ist: Im Osten holt die Awami-Liga 99% der Mandate, im Westen (wo die PPP dominiert) kein einziges; dennoch reicht es zur Mehrheit im Gesamtparlament. Rahmān pocht darauf, als Wahlsieger zum Premierminister ernannt zu werden.
Yahya Khan suspendiert daraufhin das Parlament, verhängt das Kriegsrecht und verlegt Besatzungstruppen nach "Ost-Pākistān".

1971
März: Rahmān wird verhaftet und wegen "Hochverrats" zum Tode verurteilt; die aufflackernden Unruhen in "Ost-Pākistān" werden vom Militär blutig nieder geschlagen; Millionen Bengalen fliehen nach Bhārat, wo sie mit Indirās Billigung eine Exilregierung errichten und Guerilla-Truppen aufstellen.
November: Bengalische Freischärler dringen von West-Bengalen aus nach Ost-Bengalen ein, woraufhin Pākistān zum dritten Mal in einem Vierteljahrhundert Bhārat den Krieg erklärt.
Dezember: Da die Truppen Pākistānas denen Bhāratas an Kampfmoral und Know-how weit unterlegen sind, endet der Krieg sehr schnell mit ihrer Kapitulation.


Pākistān muß Rahmān frei lassen und die Unabhängigkeit Ost-Bengalens anerkennen, das künftig "Bānglādesh [Bengalenland]" genannt wird.
(Bitte nicht "...däsch" sagen, liebe deutsche Muttersprachler. Ein indisches "e" wird immer geschlossen und lang gesprochen. Ein offenes deutsches "e"/"ä" schreibt sich entweder "ai" [wenn lang] oder "a" [wenn kurz].)

1972
Januar: Rahmān wird erst "provisorischer Präsident", dann Premierminister von Bānglādesh.

1972-75
Rahmān enteignet den Großgrundbesitz, verstaatlicht die Großunternehmen, ruiniert den Mittelstand durch exorbitante Steuern und zwingt auch die Kleinbauern, ihre Erzeugnisse gegen nominelle Minipreise an den Staat abzuliefern, so daß die Produktion kaum noch lohnt; so fährt er die durch den Krieg bereits arg gebeutelte Wirtschaft Bānglādeshas in Rekordzeit vollends vor die Wand.
Dann reist er um die halbe Welt und bettelt um "Wirtschaftshilfe" und "Investitionen" - aber so gut wie niemand will sein Geld in ein solches Faß ohne Boden versenken. Letztlich bleibt er ganz vom Wohlwollen Bhāratas und Indirā Gāndhis abhängig, die freilich auch im eigenen Lande zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät und nicht bereit ist, Millionen ostbengalische Wirtschaftsflüchtlinge ("echte", d.h. politische Flüchtlinge sind sie ja nun nicht mehr) dauerhaft aufzunehmen und durchzufüttern; vielmehr zwingt überredet sie Rahmān, sie zu "repatriieren".
Hunderttausende migrieren weiter ins buddhistische Nachbarland Barmā (heute "Myānmār"), wo sie sich "Rohingyā" nennen und wiederholt versuchen, gewaltsam die Macht an sich zu reißen, was ihnen jedoch - trotz z.T. massiver Unterstützung durch den "Wertewesten" - nicht gelingt.

ab 1973
In beiden Ländern rebellieren (von Rotchina gesteuerte?) militante Kommunisten (Naksaliten, Gonobahini), was die Probleme weiter verschärft.

1974
Schwere Überschwemmungen (ein großer Teil Bengalens liegt unter dem Meeresspiegel) und Mißernten stürzen das Land in eine Hungersnot - die schlimmste seit drei Jahrzehnten.
Apologeten Rahmāns wollen in diesem Naturereignis (das im wahrsten Sinne des Wortes Wasser auf den Mühlen der Profeten eines apokalyptischen "Klimawandels" ist) den Hauptgrund für alle Probleme Bānglādeshas in jener Zeit sehen, Kritiker lediglich einen Beschleuniger für die Folgen seiner desaströsen Wirtschaftspolitiik.
Mitleid und Hilfsbereitschaft sind weltweit groß; doch die Spendengelder versickern - wohin auch immer, jedenfalls nicht in die zerstörten Häuser und Felder. Das Volk murrt.

1975
Januar: Rahmān ruft den Notstand aus, verbietet alle Oppositionsparteien und erklärt sich wieder zum Präsidenten, bekommt die Probleme - insbesondere die Hungersnot - jedoch nicht in den Griff.
Demokratie kann man nicht essen - Diktatur aber auch nicht. (Persönliches Credo von Dikigoros, der ein Anhänger des Satzes ist: "Es gibt überall so'ne und so'ne" - auch in jeder Staatsform.)
15. August ([28.] Jahrestag der Unabhängigkeit von Großbritannien): Mujibur Rahmān wird durch einen Militärputsch in Dhākā gestürzt und mitsamt seiner Frau und seinen drei Söhnen erschossen.6

[Das geschieht ihm recht]

* * * * *

ab 1981
Rahmāns politisches Erbe (Führerin der Awami-Liga, seit 1996 wiederholt auch Premierministerin) tritt seine Tochter Hasina an7, der es gelingt, ihren Vater posthum zum Nationalhelden8 hochzujubeln aufzubauen - wobei die auf ihn geprägten Gedenkmünzen die im Laufe der Jahre zunehmende Inflation Wertschätzung seiner Person in der Partei im Lande belegen.


2004
BBC Bangla läßt - nach einschlägigen Vorbildern - "Die 20 größten Bengalen" wählen. Die total verblödeten Zuhörer entscheiden sich für Rahmān. (Wirr ist das Volk - und kurz sein Gedächtnis :-)


2020
Das groß angekündete - und sogar von UNO und UNESCO propagierte - "Mujibur-Rahmān-Jahr" anläßlich seines 100. Geburtstags fällt der 'Corona'-Panhysterie zum Opfer.
Die armen Ost-Bengalen sind die Gelackmeierten der zweifachen Teilung ihrer Heimat und werden es wohl auf absehbare Zeit auch bleiben, denn die vernünftigste Lösung - Wiedervereinigung mit ganz Indien, hilfsweise mit einem unabhängigen West-Bengalen (eine Idee, die zuletzt Suhrawardy vertreten - aber schon lange vor seinem Tode aufgegeben - hatte) steht nirgendwo mehr zur Debatte.

2024
Am 100. Jahrestag der Erstveröffentlichung des o.g. Buches bezweifelt kein verständiger Beobachter mehr ernsthaft, daß sein Autor richtig lag - jedenfalls in Bezug auf Britisch-Indien.
(Einige Nachfolgestaaten hat es Dank westlich gebildeter Politiker - und Politikerinnen, auch das muß einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden - noch schlimmer erwischt als Bengalenland.)


1Oft wird dem Namen ein "Sheikh" voran gestellt. (Das ist kein Titel, sondern bezeichnet die Kaste, die es - entgegen den Vorstellungen vieler Ausländer - im indischen Raum nicht nur bei Hindūs, sondern auch bei Muslimen und Christen gibt.)
Im übrigen ist das ein schwieriger Name, den Dikigoros schon in vielen verschiedenen Varianten gelesen und gehört hat: mit langem und kurzem "i", mit zwei oder einem oder keinem langen "u", mit zwei oder einem oder keinem kurzen "ä".
Der ursprüngliche - arabische [die Familie stammte aus dem Irāq] - Name war wohl "Mujīb ur-Rahmān" [aus "ul-", wie üblich dem Anfangsbuchstaben des Nachnamens angeglichen]. (So schreibt und nennt sich auch ein berühmter indischer Cricket-Spieler.) Das wurde aber später indisiert, so daß man heute meist "Mūjibūr" liest und hört - als sei "ur" Bestandteil des Vornamens. (Erschwerend kommt hinzu, daß das kurze "u" auf Bengalisch geschrieben wird wie das lange "ū auf Hindī - da sind Mißverständnisse vorprogrammiert.) Der Nachname wird jetzt auf Bengalisch "Rahamaan" geschrieben, wobei man das kurze, unbetonte "a" wie "ä" aussprechen kann, auch in der 2. Silbe, da keine Ligatur "hm" - die es nicht gibt - geschrieben wird, also "Rähämān".
In Anbetracht dieses Durcheinanders hat sich Dikigoros für die in Deutschland übliche Schreibweise entschieden - mit Ausnahme des letzten "a", das unstreitig "ā" geschrieben und gesprochen wird. Außerdem schreibt er alle Eigennamen am Anfang mit Großbuchstaben, wiewohl es eine Unterscheidung zwischen Minuskeln und Majuskeln in den indischen Schriftsystemen nicht gibt.
Und um auch das schon vorweg zu nehmen: Rahmān nannte sein ältestes Kind "Hasina" - ebenfalls ein originär arabischer Name, weibliche Form von "Hās[s]an" und ursprünglich wohl "Hāsinā" geschrieben und gesprochen. Inzwischen hört und liest man aber auch - indisiert - "Hasīnā". Dikigoros beläßt es da ebenfalls bei der in Deutschland üblichen Schreibweise "Hasina".
PS: Zu allem Überfluß heiratete sie einen Herrn Wazed - unstreitig so geschrieben -, führte aber selber den Nachnamen "Wajed". Dieses Rätsel löst sich indes recht leicht: Die indischen Sprachen hatten ursprünglich kein weiches (stimmhaftes) "s", also auch kein Schriftzeichen dafür. Mit dem Eindringen nicht nur arabischer Fremdwörter verfiel man auf die Idee, diesen Laut als "j [dsch]" mit einem Unterpunkt [nukta] zu schreiben. Leider ist - nicht nur in Bengalen, sondern in ganz Indien, einschließlich der Auslandsgemeinden von Großbritannien bis Kanada - die Unsitte eingerissen, bei schlampigem Schreiben den letzteren weg zu lassen. Dikigoros kennt junge Leute, die nicht mehr wissen, was z.B. ein "Zamindar" ist und statt dessen "Jamindar" sagen - warum also nicht auch "Wajed" statt "Wazed" ?!? Um sich und seinen Lesern diese Peinlichkeit zu ersparen, erwähnt Dikigoros Hasinas Nachnamen im Haupttext nicht - sie hat ihn ohnehin nur selten geführt.
(Und noch etwas: Im Hindī gibt es auch ein "ph" mit Unterpunkt, das dadurch zum "f" wird. Im Bengalischen hat man schlicht vergessen, das einzuführen. Das letzte Zeichen im Vornamen auf dem letzten Bild ist also nicht schlampig geschrieben, sondern man schreibt und sagt tatsächlich: "Ādalph Hithlār" :-)

2Lutfur Rahmān war finanziell dermaßen auf den Hund gekommen, daß er sich, um seinem Sohn eine höhere Schulbildung zu ermöglichen, als Gerichtsschreiber bei den Briten verdingen mußte - was zwar nicht direkt als unehrenhaft, aber doch als einem Sheikh nicht ganz angemessen galt.

3In den staatlichen Geschichts- und Märchenbüchern werden als Grund für die "Royal Indian Navy Mutiny" läppische Erklärungen wie "schlechte Verpflegung" oder "arrogantes Verhalten der britischen Offiziere" genannt; marxistische Historiker[innen] wollen ihnen gar klassenkämpferische Ursachen zuschreiben. Den "Meuterern" wird ihre Tat schlecht gedankt: Trotz Zusicherung von Straffreiheit werden ihre Anführer verhaftet und bei Lebzeiten nie rehabilitiert; zu tief sitzt die Angst der indischen Politiker vor einer Verbrüderung von Hindus und Muslimen zum Kampf gegen ihre Herrscher. Jinnāh hat richtig kalkuliert: Das Ende der Meuterei hat die Entstehung Pākistānas gesichert. Die Führer des Congress haben dagegen die nie wieder kehrende Gelegenheit verpaßt, den von ihnen angestrebten Gesamtstaat Indien zu schaffen.

4Diese neuen Grenzen hätten fast nirgends mit den bestehenden Grenzen der traditionellen indischen Fürstentümer überein gestimmt. Insbesondere Nehrū, dessen Familie aus dem mehrheitlich muslimischen Kashmīr stammte, widersetzte sich diesem Plan. Problematisch waren aber auch das überwiegend muslimische Haidarābād, das mitten in Indien lag, und mehrere Regionen entlag des Ganges.

5Die Emory-Universität in Atlanta/Georgia legte 2006 eine Untersuchung vor, wonach es sogar "15 Millionen" Opfer gewesen sein sollen. Dikigoros mißtraut solchen nachträglichen Berechnungen, die mal eben um ein paar Millionen nach oben oder unten von früheren, zeitnahen Zählungen abweichen, will sie aber seinen Lesern nicht vorenthalten.

6Im indischen Raum hat es Tradition - die leider noch nicht auf Europa übergegriffen hat -, pseudo-demokratische Diktatoren, die gegen die Interessen "ihres" Volkes regieren (der gute Roger Letsch nennt sie "Demokraten-Darsteller"), gewaltsam zu beseitigen. (Nein, nicht alle Diktatoren - gute Diktatoren sch...egal, wie "[un]demokratisch" sie sind werden vom Volk, für dessen Interessen sie eintreten, geliebt. Dikigoros schreibt darüber an anderer Stelle mehr.)
Der Abschaum Die crème de la crème der Politerkasten aus aller Welt vergießt ob Rahmāns Tod literweise Krokodilstränen und sondert Beileidsadressen ab, u.a. 'Jassir' Arafat, Fidel Castro, Saddam Hussein und Henry Kissinger. Den Vogel schießt jedoch der geschaßte (aber leider nicht erschossene :-) Ex-BRD-Kanzler Herbert Frahm alias 'Willy Brandt' ab, der mit schwerer Zunge lallt erklärt, daß man den Bengalen "nicht länger trauen" könne, denn einem Volk, das einen Diktator Demokrator guten Sozial-Demokraten wie Mujibur Rahmān getötet habe, sei "alles zuzutrauen".
(Immerhin erkannte der olle Suffkopp richtig, daß da - anders als gut drei Jahrzehnte zuvor ein paar tausend Kilometer weiter westlich - nicht bloß eine kleine Clique feiger Offiziere ohne jeglichen Rückhalt beim Volk gehandelt hatte, sondern eine Gruppe mutiger junger Patrioten, deren Tat von der überwältigenden Mehrheit des Volkes gut geheißen wurde. Allerdings kapierte "Willy" wohl nicht, daß er sich mit diesem Satz "verplappert" hatte :-)

7Auch die "Vererbung" politischer Ämter an Witwen, Schwestern und/oder Töchter hat im indischen Raum - unabhängig von der Religion - Tradition. Die bekanntesten Beispiele neben Hasina sind Nehrūs Tochter Indirā Gāndhī und ihre Schwiegertochter Sonia in Bhārat, Sirimāwo Bhãdārnāyke und ihre Tochter Chandrika Kumaratunga in Shrī Lankā, Aung Sans Tochter Suu Kyi in Barmā sowie Jinnāhs Schwester Fatima und Bhuttos Tochter Benazīr in Pākistān.

8Die Medien wurden angewiesen, ihm alberne lobhudelnde ehrenvolle Beinamen zu verpassen, wie "Vater des Vaterlandes" (anno 2011 sogar in die Verfassung aufgenommen - Papier ist geduldig :-) oder "Großer Bruder Bengalens".
Statt letzterem liest man im Westen meist "Freund Bengalens"; aber diese wörtliche Übersetzung von "Bangabandhu" trifft den Sinn nicht. In Indien gibt es einen Brauch - der in den 1970er Jahren vorübergehend auch bei uns einriß, einige Leser erinnern sich vielleicht noch -, daß Mädchen ihren älteren Brüdern bei passender Gelegenheit ein "Freundschaftsband" schenken. (Bisweilen schenken sie es auch einem abgewiesenen Freier, um ihm zu signalisieren, daß sie ihn zwar nicht zum Ehemann, aber zum - brüderlichen - Freund und Beschützer haben möchten; Dikigoros schreibt über einen solchen Fall an anderer Stelle.)
Vielleicht wollte Hasina die Tatsache übertünchen, daß die Bengalen ihren Vater eben nicht zum "Großen Bruder" wollten. Sie ließ die Attentäter, unter Bruch der von ihrem Vorgänger - einem vernünftigen Mann, der um Ausgleich und Versöhnung bemüht war - ausgesprochenen Amnestie, vor Gericht stellen, zum Tode verurteilen und hinrichten. Nun rächte es sich, daß man sie wieder ins Land gelassen hatte, statt sie in ihrem Exil in der BRD versauern zu lassen - zu spät erkannte man, daß sie um keinen Deut keine Paisa besser war als ihr Vater.
(Dikigoros kennt kein Sprichwort im Bengalischen, das dem deutschen "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm" entspricht; wenn es eines geben sollte, dann wäre er für einen Hinweis per E-mail dankbar.)


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