Muhammad Alī Jinnāh

["Qaid-e-Āzam"]1

(25.12.1876 - 11.9.1948)

[Jinnah]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros

1876 (nach anderen Quellen: 18752)
25. Dezember (nach anderen Quellen: 20. Oktober): Muhammad Alī Jinnāh wird als erstes von sieben Kindern eines Großhändlers in der sindhischen Hafen-Metropole Kārāchī geboren. Er entstammt - wie Gāndhī - einer Kaufmannskaste aus Gujrāt; sein Vater ist erst 1875 nach Kārāchī ausgewandert und zum Islām ismailitischer Konfession konvertiert.

1881-92
Jinnāh besucht zunächst eine Koranschule in Kārāchī, dann eine Hindu-Schule in Bombay und schließlich eine christliche Missionsschule in Kārāchī. Er ist in religiösen Dingen indifferent.

1892
Jinnāh heiratet seine Cousine Emi, die wenig später stirbt.

1893-96
Jinnāh studiert in London Rechtswissenschaften.

[Jinnah in London]

1896
Jinnāh schließt sein Studium ab und wird als Rechtsanwalt zugelassen. Er kehrt nach Indien zurück und läßt sich in Bombay nieder.

[Jinnah 1896]

1905
Jinnāh wird Mitglied des "[Indian National] Congress", als dessen Vertreter er - zusammen mit dem Führer dessen gemäßigten Flügels ("Naram Dal"), Gopal Gokhale - zum Wahlkampf nach England reist, um für die Selbstverwaltung Indiens zu werben.

1906
Jinnāh wird Kofferträger Assistent Sekretär von Dada Noaro, dem Vorsitzenden des INC.
Als Konkurrenz zum von Hindūs dominierten INC wird die Muslim-Liga ("All India Muslim Leage", "AIML") gegründet.

1910
Januar: Jinnāh wird Abgeordneter des "Imperial Legislative Council" (eines Pseudo-Parlaments mit nur beratender Funktion).

1913
Jinnāh tritt auch der Muslim-Liga bei, ohne den INC zu verlassen.

1914-18
Während des Ersten Weltkriegs werben die Briten in ihren Kolonien um KanonenfutterFreiwillige mit dem Versprechen, ihnen nach dessen Beendigung die Selbstverwaltung zu gewähren. Rund eine Millionen Inder fallen darauf herein; die Gefallenenrate liegt bei 10%. (Tatsächlich denken die Briten nicht im Traum daran, den Griff auf ihre Kolonien zu lockern; vielmehr sind sie in den Krieg eingetreten, um ihr Empire noch zu erweitern.)

[Raubstaat England]

1916
Jinnāh bringt ein Bündnis zwischen dem Congress und der Muslim-Liga zustanden, den so genannten "Laknāu-Pakt".

1917
Bei einem Urlaub in Dārjiling lernt Jinnāh Rattan ("Ruttie") Maryam Dinshaw Petit kennen, die Tochter eines mit ihm befreundeten parsischen Millionärs. Der Vater schiebt der Romanze mit seiner minderjährigen Tochter per einstweiliger Verfügung einen gerichtlichen Riegel vor.


1918
Februar: An ihrem 18. Geburtstag heiratet "Ruttie" Jinnāh - zum Entsetzen auch seiner Familie. "Die Blume von Bombay" gilt bald als schönste Frau - und größte Skandalnudel - Indiens. Obwohl sie pro forma zum Islam konvertiert, hält sie sich ebenso wenig an dessen Regeln wie ihr 24 Jahre älterer Mann: Sie spricht nur Englisch, reitet, spielt (nicht nur Theater), kleidet sich äußerst freizügig, raucht, trinkt, nimmt Drogen, betreibt Okkultismus und anderen "Hokuspokus". (Aus der Ehe geht eine Tochter hervor, die mit 18 Jahren - ebenfalls gegen den Willen beider Familien - einen zum Christentum konvertierten parsischen Millionär heiratet und in die USA emigriert.)

1919
Der Congress propagiert unter dem Einfluß Gāndhīs ein Boykottbewegung gegen die Briten. Jinnāh lehnt diese Methode des "zivilen Ungehorsams" ab.

1920
Jinnāh verläßt den Congress.

1927
Jinnāh formuliert ein 14-Punkte-Programm, mit dem er noch einmal eine Einigung zwischen Congress und Muslim-Liga herbeizuführen versucht. Er scheitert an den unterschiedlichen Vorstellungen vom künftigen Wahlrecht.

1929
Februar: An ihrem 29. Geburtstag stirbt "Ruttie" Jinnāh in geistiger Umnachtung an einer Überdosis Rauschgift. Jinnāh lebt von da an mit seiner jüngsten Schwester Fatima zusammen.


1930
Jinnāh nimmt an der "Round-table"-Konferenz in London teil, die an den unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen der britischen Regierung einerseits und Gāndhī und dem Congress andererseits scheitert.
Er beschließt, in London zu bleiben und dort als Anwalt zu arbeiten.
Dezember: Muhammad Iqbal (von Annemarie Schimmel als der größte muslimische Poët des 20. Jahrhunderts verehrt) ruft zur Gründung eines muslimischen Staates in Nordwest-Indien auf.

1933
Rahmat Alī erfindet das Schlagwort "Pākistān [Land der Reinen]" (später mühsam erklärt als Zusammensetzung der Anfangsbuchstaben der Provinzen, aus denen es zusammen gesetzt ist). Jinnāh lehnt die Vorstellung eines geteilten Indiens zunächst ab.

1934
Jinnāh kehrt nach Indien zurück und läßt sich zum Präsidenten der Muslim-Liga wählen.

1937
Bei den Provinzwahlen erleidet die Muslim-Liga - auch in den überwiegend islamischen Gebieten - eine vernichtende Niederlage gegen den Congress.

1939
3. September: Zwei Tage nach Beginn des Polenfeldzugs erklären Großbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg (nicht aber der Sowjetunion, als infolge des deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrags vom 24. August 1939 ["Ribbentrop-Molotow-Pakt", später auch "Hitler-Stalin-Pakt" genannt] auch die Rote Armee in Polen einrückt), der sich in den folgenden Jahren zum Zweiten Weltkrieg ausweitet.
Während Gāndhī und die übrigen Mitglieder des Congress - fast durchweg heimliche Bewunderer Hitlers - dies zum Anlaß nehmen, die Briten zum Verlassen des Landes aufzufordern ("Quit India!"), unterstützt Jinnāh - und mit ihm der neu gegründete "All India Muslim Council" - die Briten, in der Hoffnung, daß sie dafür ihr erneutes Versprechen, Indien nach Kriegsende in die Unabhängigkeit zu entlassen, diesmal halten werden.


1940
März: Jinnāh macht sich die Zwei-Staaten-Theorie zu eigen und tritt nun auch für die Schaffung eines muslimischen Teilstaates ein ("Pakistan-Resolution").

1941
Jinnāh gründet die Zeitung "Dawn [Morgenröte]", mit der er den politischen Standpunkt der Muslim-Liga zu verbreiten sucht - der auch unter Muslimen umstritten ist.
(Während Jinnāh sich die Besorgnis zu eigen gemacht hat, daß in einer Demokratie die muslimische Minderheit von der Hindū-Mehrheit unterdrückt werden könnte, bauen seine Gegner darauf, daß die Muslime durch ihre höhere Geburtenrate eines Tages ganz Indien erobern werden, wie schon so viele andere Länder im Laufe ihrer Geschichte.)

1942
Japanische Truppen erobern den Ostteil von Britisch-Indien (Barmā, heute "Myanmar").
Der bengalische "Netajī [liebe Führer]" Subhas Chandr Bosh [im Westen fälschlich auch "Bose" genannt] stellt zur Unterstützung der Achsenmächte eine "Indische National-Armee [I.N.A.]" auf.


1943
Die Briten reagieren mit einer rücksichtslosen Ausplünderung Indiens, insbesondere Bengalens. Bei einer Hungersnot, die nur mit der zu vergleichen ist, die zehn Jahre zuvor Stalin in der Ukraïne künstlich herbei gefüht hat, sterben mehrere Millionen Inder. (Da Inder ein besseres historisches Gewissen haben als z.B. Deutsche, sind die Angelsachsen seitdem in Indien für alle Zeiten verhaßt.)
Juli: Jinnāh überlebt das Attentat eines Muslims, der seine politischen Ansichten mißbilligt.

1944
Wiederholte Verhandlungen zwischen Jinnāh und Gāndhī über eine Teilung oder Nichtteilung Indiens scheitern, obwohl Gāndhī zu großen Zugeständnissen an die Muslime bereit ist (nicht aber Nehrū, von dem Jinnāh die künftige politische Macht der Hindūs repräsentiert sieht.)

1945
August: Nach dem Abwurf zweier US-amerikanischer Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki endet der Zweite Weltkrieg. Subhas Chandr Bosh wird von den Briten ermordetverunfallt, die erneut gar nicht daran denken, Indien in die Unabhängigkeit zu entlassen - zumal dort noch erhebliche Silber- und Gold-Reserven lagern, mit denen sie ihren maroden Staatshaushalt in Ordnung zu bringen hoffen.

1946
18. Februar: Nachdem die Briten versucht haben, die 11.000 gefangen genommenen Angehörigen der I.N.A. pauschal zu "Kriegsverbrechern" zu stempeln und ihren höheren Offizieren vor einem Tribunal in Delhi den Schauprozeß zu machen - als Probelauf für Nürnberg und die Behandlung der Waffen-SS -, meutern die Besatzungen aller Flotteneinheiten in Britisch-Indien, ausgehend von Bombay, Kārāchī und Kalkattā, geschlossen und erklären sich zur "I.N.N. [Indischen National-Marine]". Binnen weniger Tage greift die Meuterei auf die Luftwaffeneinheiten und die Polizeikräfte in ganz Indien über, ferner auf die Armeeeinheiten in Punä und Madrās; in den größeren Städten brechen Generalstreiks aus. Das Andenken des toten Bosh bewirkt, was alle Politbonzen Politiker Indiens zusammen in Jahrzehnten nicht vermocht haben: die spontane Verbrüderung der Inder über alle Religionsgrenzen hinweg. Auf den meuternden Schiffen werden die Flaggen der Muslim-Liga und des Congress neben einander aufgezogen.
Die Briten begreifen urplötzlich, daß sie die Herrschaft über Indien nicht länger behaupten können und bitten die Führer der Muslim-Liga und des Congress, den nationalen Aufstand zu beenden, unter Zusicherung der Unabhängigkeit noch im selben Jahr. Jinnāh und Patel bewegen daraufhin die Anführer der Meuterei und der Streiks zum Einlenken.3
Mai: Die Briten legen ein Plan vor, nach dem Indien ungeteilt in die Unabhängigkeit entlassen werden soll, mit mehr oder weniger "autonomen" Bundesstaaten ("Provinzen"), deren Grenzen nach der Religionszugehörigkeit der Bevölkerungsmehrheit gezogen werden.4 Jinnāhs Muslim-Liga akzeptiert den Plan, der Congress lehnt ihn ab.
Juni: Die Briten legen eine neuen Plan vor, nach dem die indischen Fürstentümer entscheiden können, ob sie unabhängig werden oder sich einem hinduistischen oder muslimischen Bundesstaat ("Dominion") anschließen wollen. Auch dieser Plan wird von Jinnāhs Muslim-Liga akzeptiert, aber vom Congress ablehnt, der nun den Mai-Plan befürwortet, allerdings unter Ablehnung einer Neuziehung der Provinzgrenzen nach Religionszugehörigkeit. Als die Briten dies akzeptieren, kommt es zum Bruch mit Jinnāh, der sein Jahre langes Vertrauen mißbraucht sieht und fürchtet, daß für die Muslime nur die Randzonen Indiens übrig bleiben werden.
16. August: Jinnāh ruft zu "Aktionen" gegen die Briten auf, die in Mord und Totschlag ausarten, vor allem in Bihār und Bengalen. Die Opfer sind allerdings überwiegend Hindūs.

[Karikatur des Time-Magazine: Jinnahs Tiger versuchen, dem indischen Löwen noch mehr Gebiete zu entreißen]

Dezember: Auf einer Konferenz in London akzeptieren die Muslim-Liga und der Congress eine Teilung Indiens mitten durch die beiden reichsten - und gemischt besiedelten - Provinzen, Panjāb und Bengalen. Jinnāh erreicht, daß Pākistān einen unverhältnismäßig hohen Anteil der britisch ausgebildeten Armee-Offiziere und des Staatsschatzes erhält; dagegen scheitern seine Versuche, Kashmīr und Teile Rājāsthāns für Pākistān zu gewinnen.


1947
14./15. August: Großbritannien gibt seine Herrschaft über Indien auf ("Freedom at Midnight [Um Mitternacht die Freiheit]"). Das hindūistische Bhārat und das muslimische Pākistān (die beide als "Dominions" dem "British Commonwealth of Nations" beitreten) sowie das ebenfalls muslimische Bälutschistān werden unabhängig. (Die buddhistischen Länder Nepāl, Bhūtān und Shrī Lankā werden erst später unabhängig; die Sikhs haben bis heute keinen eigenen Staat.)
Jinnāh wird "General-Gouverneur" des in "West-Pakistan" (entlang des Sindh) und "Ost-Pakistan" (Bengalen) geteilten Muslim-Staates. (Das Verhältnis zwischen beiden Staatshälften ist von Anfang an gespannt, zumal Jinnāh aus unerfindlichen Gründen darauf besteht, Urdu - das er selber nur bruchstückhaft beherrscht - zur alleinigen Verwaltungssprache zu machen und die alte Kultursprache Bãgalī hintan zu setzen. Mit der gleichen Unnachgiebigkeit lehnt Jinnāh eine Gleichberechtigung des Pashto ab, das von den Pathānen in der Nordwestregion [und weiten Teilen Afģānistāns] gesprochen wird.6)


Unmittelbar nach Ausrufung der Unabhängigkeit beginnt ein mörderischer Bürgerkrieg zwischen Hindus und Muslimen in allen gemischt besiedelten Gebieten, vor allem im Panjāb und in Bengalen. Beide Provinzen werden nachhaltig ruiniert - Bengalen auf Dauer, der westliche Teil des Panjāb für mehrere Jahrzehnte (der östliche erholt sich etwas früher). In weniger als zwei Monaten werden ca. 11 Millionen Menschen vertrieben oder ermordet.5


Pākistān und Bhārat beginnen einen ersten Krieg um Kashmīr, der zur Teilung der Provinz führt.


1948
30. Januar: Gāndhī überlebt das Attentat eines Hindūs, der seine politischen Ansichten mißbilligt, nicht.
März: Jinnāh läßt Truppen in Bälutschistān einmarschieren und das Land annektieren. Er vergrößert Pākistān dadurch flächenmäßig um mehr als die Hälfte und gewinnt wertvolle Bodenschätze; außerdem schneidet er dem verfeindeten Nachbarland Afģānistān - in dessen Süden ebenfalls Bälutschi leben - den strategisch wichtigen Zugang zum Indischen Ozean ab.


11. September: Jinnāh - Jahrzehnte lang starker Raucher - stirbt an Lungenkrebs. Ihm wird in Kārāchī ein imposantes Mausoleum errichtet.


Jinnāhs Schwester Fatima wird Vorsitzende der Muslim-Liga. Sie begründet damit eine lange Tradition in allen indischen Staaten - unabhängig von der Religion -, wonach Ehefrauen, Schwestern und/oder Töchter führender Politiker deren politisches Erbe antreten können.7

1964
Fatima Jinnāh scheitert bei den Präsidentschaftswahlen nur knapp an General Ayub Khan, der sich 1958 an die Macht geputscht hatte.

1965
Ein zweiter Krieg zwischen Bhārat und Pākistān endet ohne greifbare Änderungen des status quo in Kashmīr.

1971
Im dritten Krieg gegen Bhārat verliert Pākistān Ost-Bengalen, das als "Bãglādesh" unabhängig wird. Jinnāhs Lebenswerk ist zerstört.


1976
25. Dezember: Jinnāhs 100. Geburtstag wird in Pākistān groß gefeiert; "Qaid's Day [Führers Geburtstag]" wird zum Feiertag erklärt.


1998
Zu Jinnāhs 50. Todestag kommt der biografische Film "Jinnah" in die Kinos. Die Titelrolle spielt Christopher Lee.8


2016
Mai: 70 Jahre nachdem Jinnāh der Teilung Britisch-Indiens zugestimmt hat, wird erstmals ein Muslim aus Pākistān Oberbürgermeister von London. England ist zur pākistānischen Kolonie geworden.9


For whom the bell tolls... [Wem die Stunde schlägt...]


1Urdu für "GröFaZ". Die im Westen - und neuerdings sogar in Pākistān - übliche Transskription "Quaid" ist irreführend (das "q" wird als dumpfes "k" gesprochen, nicht als "kv"), ebenso die bisweilen anzutreffende Schreibung "Q[u]aid-i-Azam" (die wohl daher rührt, daß die Briten das "e" fälschlich wie "i" ausgesprochen haben, was dann einige Nicht-Briten auch so geschrieben haben); das "ai" wird nicht als "aj" ausgesprochen, sondern als langes "ä". Dikigoros ist hier zugegebenermaßen inkonsequent, denn eigentlich schrieb sich Jinnā auf Indisch ohne Endungs-h; allerdings pflegte er sich, wenn er lateinische Buchstaben gebrauchte, mit "h" zu schreiben; und da Englisch seine Muttersprache war, schließt sich Dikigoros der außerhalb Indiens üblichen Schreibweise an.

2Jinnāh machte sich zu Schul- und Studienzeiten offenbar ein Jahr und zwei Monate älter, um keine altersbedingten Probleme mit den Prüfungszulassungen zu bekommen.

3In den staatlichen Geschichts- und Märchenbüchern werden als Grund für die "Royal Indian Navy Mutiny" läppische Erklärungen wie "schlechte Verpflegung" oder "arrogantes Verhalten der britischen Offiziere" genannt; marxistische Historiker[innen] wollen ihnen gar klassenkämpferische Ursachen zuschreiben. Den "Meuterern" wird ihre Tat schlecht gedankt: Trotz Zusicherung von Straffreiheit werden ihre Anführer verhaftet und bei Lebzeiten nie rehabilitiert; zu tief sitzt die Angst der indischen Politiker vor einer Verbrüderung von Hindus und Muslimen zum Kampf gegen ihre Herrscher. Jinnāh hat richtig kalkuliert: Das Ende der Meuterei hat die Entstehung Pākistāns gesichert. Die Führer des Congress haben dagegen die nie wieder kehrende Gelegenheit verpaßt, den von ihnen angestrebten Gesamtstaat Indien zu schaffen. Im indischen Volk - das sich mangels flächendeckender Verbreitung von Massenmedien weniger leicht manipulieren läßt als in westlichen Staaten - werden und bleiben die Aufständischen ebenso Nationalhelden wie Bosh und die Angehörigen seiner N.I.A. Nach der Regierungsübernahme durch die Indische Volkspartei (B.J.P.) werden sie endlich rehabiliert und sogar mit Denkmälern geehrt.

4Diese neuen Grenzen hätten fast nirgends mit den bestehenden Grenzen der traditionellen indischen Fürstentümer überein gestimmt. Insbesondere Nehrū, dessen Familie aus dem mehrheitlich muslimischen Kashmīr stammte, widersetzte sich diesem Plan. Problematisch waren aber auch das überwiegend muslimische Haidarābād, das mitten in Indien lag, und mehrere Regionen entlag des Ganges. Eine durchgehende Hindū-Mehrheit gab es nur in Südindien, wo Nehrū aber ebenfalls keine autonomen Bundesstaaten zulassen wollte, da er eine Sezession der Drawiden von den Nordindern fürchtete. Erst nach Nehrūs Tod kam es in Indien zur Bildung neuer Bundesstaaten entsprechend den Volks- und Sprachgrenzen.

5Die Emory-Universität in Atlanta/Georgia legte 2006 eine Untersuchung vor, wonach es sogar "15 Millionen" Opfer gewesen sein sollen. Dikigoros mißtraut solchen nachträglichen Berechnungen, die mal eben um ein paar Millionen nach oben oder unten von früheren Zählungen abweichen, will sie aber seinen Lesern nicht vorenthalten. Er persönlich hält es für möglich, daß - ähnlich wie bei den sowjetischen Statistiken über "20 Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg" - die Millionen Opfer der voraus gegangenen Hungersnot mitgezählt wurden, um die letztere zu verharmlosen und schließlich ganz aus den amtlichen Geschichtsbüchern zu streichen.

6Man hat oft über die Gründe für Jinnāhs starre Haltung in diesem Punkt spekuliert. Einer davon könnte sein, daß in seinem Hinterkopf noch immer der Gedanke an ein so genanntes "Muģālistān" schlummerte, d.h. einen ungeteilten islamischen Staat in Indien, mit dem Ganges-Tal - in dem durchgehend Hindī, also Urdu, gesprochen wird - als Verbindung zwischen West- und Ost-Pakistan. Die beiden Staatshälften waren im übrigen ethnisch und sprachlich nicht weniger heterogen als West-Pakistan in sich, dessen Bevölkerung sich bei einer wirklich freien Abstimmung wohl für eine Teilung in mindestens fünf Staaten aussprechen würde: ein wiedervereinigtes und unabhängiges Kashmīr, ein wiedervereinigtes und unabhängiges Bälutschistān, einen wiedervereinigten und unabhängigen Panjāb, einen Sindh, der sich Rājāsthān anschließen würde, und einen mit seinen Brüdern in Afģānistān wiedervereinigten Staat der Pathānen. (Die Pathānen - nach ihrer Sprache auch "Paschtunen" genannt; "Afģānen" ist eine iranische Fremdbezeichnung - stellen den größten Teil der so genannten "Tālibän"; da sich ihr Siedlungsgebiet beiderseits der künstlichen Grenze erstreckt, ist diese von Außenstehenden praktisch nicht zu kontrollieren.)

7Die bekanntesten Beispiele sind Nehrūs Tochter Indirā Gāndhī und ihre Schwiegertochter Sonia in Bhārat, Sirimāwo Bhãdārnāyke und ihre Tochter Chandrika Bhãdārnāyke-Kumaratunga in Shrī Lankā, Mujibur Rahmans Tochter Hasina Wajed in Bãglādesh sowie Zulfikar Alī Bhuttos Tochter Benazir in Pākistān.

8Lee bezeichnete dies als die beste Rolle seines Lebens - wohl zu Recht; und Dikigoros hätte dem Streifen auch ein Kapitel in seiner Filmsammlung "Die [un]schöne Welt der Illusionen" gewidmet, wenn Lee nicht schon auf "Dracula" (und für andere vielleicht als Bond-Gegenspieler "Scaramanga" :-) geprägt wäre. Aber dann hätte er diese Seite mit Jinnāhs Kurzlebenslauf nicht geschrieben, und das wäre schade, denn sie hat sich völlig überraschend zu einer der meist gelesenen in dieser Kategorie entwickelt. (Dabei ist sie eigentlich gar nichts besonderes; aber es gibt halt sonst kaum deutschsprachige Webseiten über den Staatsgründer Pākistānas, und sie wird - wohl auch wegen der umfangreichen Bebilderung - auf einigen Suchmaschinen ganz oben geführt) Der Film ist originell und geschickt gemacht - der verstorbene Jinnāh kehrt in Begleitung seines moslemischen Schutzengels auf die Erde zurück, um seinen eigenen Lebensweg zu verfolgen und aus der Retroperspektive zu kommentieren -, aber nicht frei von historischen Ungenauigkeiten, um es vorsichtig auszudrücken. Dennoch - oder gerade deshalb - entwickelte er sich vor allem in islamischen Ländern an den Kinokassen zum Renner.

9Zu allem Überfluß ist Sādiq Khān ein radikaler Fundamentalist, der mehr als nur lockere Kontakte zur islamischen Terrorszene hat; diese [Aus-]Richtung wird jedoch offenbar von der überwältigenden Mehrheit der in England lebenden Muslime geteilt (ähnlich wie in Belgien, Frankreich und der BRDDR). Die Masseneinwanderung ist übrigens keine "Retourkutsche", denn Indien war für die Briten nie eine Kolonie in dem Sinne, daß sich eine größere Zahl von ihnen dort angesiedelt hätte. Sie stellten überwiegend Offiziere, Richter, Verwaltungsbeamte und Geschäftsleute in zeitlich begrenzter Mission und machten nie auch nur 1 Promille der indischen Bevölkerung aus. Umgekehrt machen Muslime aus Pākistān in den Grenzen von 1947 - also incl. Ost-Bengalens - 2016 bereits rund 10% der Bevölkerung Englands aus. Sie haben eigene Stadtviertel ("No-go-zones"), die Nicht-Muslime nur unter Lebensgefahr betreten können, mit eigenen Gesetzen, deren Einhaltung von einer Shari'ah-Polizei und eigenen Shari'ah-Gerichten überwacht wird. (Auf Akohol trinken, Rauchen, unziemliche Kleidung - z.B. hochhackige Schuhe - u.a. schwere Verbrechen steht die Todesstrafe durch Steinigung. Jinnāh und seine Frau hätten also nicht lange überlebt ;-)

[typische Londonerinnen 2016] [London 2016 - unweit der Großen Moschee] [Londoner Mode 2016]


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