INDIRĀ  GĀNDHĪ

(14.11.1917-31.10.1984)

[Indira Gandhi]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros

1917
14. November: Indirā1 Priydarshinī Nehrū wird als einziges Kind des Rechsanwalts Jwāharlāl Nehrū und seiner Ehefrau Kamala Kaul in Allahābād geboren. Indien ist Teil des britischen Empire, das seit 1914 einen Weltkrieg führt, um sein Territorium (ca. ein Drittel der bewohnten Erde) noch weiter zu vergrößern.



1918
Am Ende des Krieges verweigern die Briten den Indern - von denen ca. 1 Million für sie in den Kampf gegen Deutschland gezogen und ca. 100.000 gefallen sind - die dafür zuvor versprochene Unabhängigkeit.

seit 1922
Indirās Vater - der sich als einer der Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung zu etablieren beginnt - wird wiederholt wegen Anstiftung zum Landfriedensbruch verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt.

1926-41
Indirā besucht Internatsschulen und Universitäten in der Schweiz, Frankreich, Großbritannien und Deutschland.

1929
Dezember: Indirās Vater wird zum Führer der [Indian National] Congress-Partei gewählt und schreibt von da an "vollständige Unabhängigkeit [purna swarāj]" auf dessen Fahne.

1930
Oktober: Indirās Vater wird erneut von den Briten verhaftet und verbringt vier der folgenden fünf Jahre im Gefängnis.
(Die Briefe, die er während dieser Zeit an sie schreibt, werden später - stark verändertbearbeitet - als "Weltgeschichtliche Betrachtungen" heraus gegeben.2)

1939
3. September: Zwei Tage nach Beginn des Polenfeldzugs erklären Großbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg (nicht aber der Sowjetunion, als auch die Rote Armee in Polen einrückt), der sich in den folgenden Jahren zum Zweiten Weltkrieg ausweitet.
Während die Muslim-Liga unter Jinnah die Briten unterstützt, nehmen führende Politiker des Congress - fast durchweg heimliche Bewunderer Hitlers - dies zum Anlaß, die Briten zum Verlassen des Landes aufzufordern ("Quit India!"). Die Briten reagieren mit einer Auflösung der Congress-Verwaltung; sein "lieber Führer [Netajī]", der Bengale Subhas Chandr Bosh [im Westen fälschlich auch "Bose" genannt], flieht ins Ausland.

1941
April: Indirā kehrt nach Indien zurück.

1942
März: Indirā heiratet den Parsen Feroze Gāndhī - gegen den erklärten Willen beider Familien, ein in Indien außerordentlich seltener Vorgang, der jedoch im Hause Nehrū Tradition hat und behalten wird. (Aus der Ehe gehen zwei Söhne hervor.)


Indirās Hochzeitsreise nach Kashmīr bestärkt sie in der - auch von ihrem Vater geteilten - Überzeugung, daß diese Provinz ihre eigentliche Heimat sei, die zu halten jede Anstrengung, einschließlich kriegerischer Auseinandersetzungen, wert sei.
August: Indirās Vater wird erneut von den Briten verhaftet und bleibt bis kurz vor Kriegsende im Gefängnis.
Japanische Truppen erobern den Ostteil von Britisch-Indien (Barmā, heute "Myanmar").
Bosh stellt zur Unterstützung der Achsenmächte eine "Indische National-Armee [I.N.A.]" auf.

1943
Die Briten reagieren mit verstärkter Ausplünderung Indiens, insbesondere Bengalens. Bei einer Hungersnot, die nur mit der zu vergleichen ist, die zehn Jahre zuvor Stalin in der Ukraïne künstlich herbei geführt hatte, sterben mehrere Millionen Inder.

1944
Wiederholte Verhandlungen zwischen Jinnāh und Gāndhī über eine Teilung oder Nichtteilung Indiens scheitern an der kompromißlosen Haltung von Indirās Vater.

1945
August: Nach dem Abwurf zweier US-amerikanischer Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki endet der Zweite Weltkrieg. Subhas Chandr Bosh wird von den Briten ermordetverunfallt, die gar nicht daran denken, Indien in die Unabhängigkeit zu entlassen.

1946
Februar: Als die Briten versuchen, die 11.000 gefangen genommenen Angehörigen der I.N.A. pauschal zu "Kriegsverbrechern" zu stempeln und ihren höheren Offizieren vor einem Tribunal in Delhi den Schauprozeß zu machen, meutern die Besatzungen aller Flotteneinheiten in Britisch-Indien, ausgehend von Bombay, Kārāchī und Kalkattā, geschlossen und erklären sich zur "I.N.N. [Indischen National-Marine]". Binnen weniger Tage greift die Meuterei auf die Luftwaffeneinheiten und die Polizeikräfte in ganz Indien über, ferner auf die Armeeeinheiten in Punä und Madrās; in den größeren Städten brechen Generalstreiks aus. Die Briten bitten daraufhin die Führer der Muslim-Liga und des Congress, den nationalen Aufstand zu beenden, unter Zusicherung der Unabhängigkeit noch im selben Jahr.
September: Indirā trennt sich von ihrem Mann und zieht zurück zu ihrem Vater, der Chef einer "Übergangs-Regierung" von Englands Gnaden wird.
Dezember: Auf einer Konferenz in London akzeptieren die Muslim-Liga und der Congress eine Teilung Indiens mitten durch die beiden reichsten - und gemischt besiedelten - Provinzen, Panjāb und Bengalen, wobei der muslimische Staat aus einem Ost- und einem West-Teil bestehen soll, deren Völker außer der Religion nichts mit einander gemeinsam haben. (Kashmīr soll dagegen ungeteilt bleiben.)


1947
15. August: Großbritannien gibt seine Herrschaft über Indien auf. Die beiden wichtigsten Nachfolgestaaten sind das mehrheitlich hindūistische Bhārat und das fast rein muslimische Pākistān, die als "Dominions" dem "British Commonwealth of Nations" beitreten. Indirās Vater wird Premierminister Bhāratas.
Unmittelbar nach Ausrufung der Unabhängigkeit beginnt ein mörderischer Bürgerkrieg zwischen Hindus und Muslimen in allen gemischt besiedelten Gebieten, vor allem im Panjāb und in Bengalen; in weniger als zwei Monaten werden ca. 11 Millionen Menschen vertrieben oder ermordet3.
Pākistān und Bhārat beginnen einen ersten Krieg um Kashmīr, der zur Teilung der Provinz führt.

1948
Januar: Gāndhī wird bei einem Attentat getötet.
September: Auch Jinnāh stirbt; das Verhältnis zwischen Bhārat und Pākistān bessert sich jedoch nicht.

1955
Indirā wird Vorsitzende des Congress.
Indirās Vater ruft den Block der "Blockfreien" ins Leben. Zu seinen Mitstreitern zählen einige der übelsten Politverbrecher der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie der "indonesische" Diktator Soekarno, der "jugoslawische" Diktator Tito und der ägyptische Militärmachthaber Nasser.

1959
März: Die brutale Unterdrückung der indisch-geprägten Kultur Tibets durch die rot-chinesischen Besatzer desillusioniert Indirās Vater über die vermeintliche Solidarität "der" Asiaten; auf Indirās Drängen gewährt er dem Dalai Lama politisches Asyl. Rot-China reagiert mit Überfällen auf Nordost-Ladakh und Asām (bis 1962).
Juli: Indirās Vater löst auf ihr Anraten die kommunistische Regierung Keralas auf und schreibt Neuwahlen aus. Indirā führt den Wahlkampf persönlich.

1960
Februar: Indirās anti-kommunistische Koalition gewinnt die Neuwahlen in Keral mit großer Mehrheit.
September: Nach dem Tode ihres Mannes bleibt Indirā Witwe.


1964
Mai: Nach dem Tode ihres Vaters tritt Indirā dessen politisches Erbe an.
Dies bestätigt ein Fänomen des gesamten indischen Raums, wo - unabhängig von der Religion - Ehefrauen, Schwestern und/oder Töchter4 führender Politiker deren Nachfolger werden können.
Indirā wird zunächst Propaganda-Ministerin.

1965
März: In den südindischen Bundesstaaten kommt es zu Unruhen, als die Regierung Hindi anstelle von Englisch als Amtssprache in ganz Bhārat einführen will. Indirā - die selber sowohl Englisch als auch Hindi fließend spricht - reist nach Madrās und legt den Streit bei: Künftig sind beide Sprachen Amtssprachen. Im folgenden kommt es zu einer vernünftigen Neuordnung der Bundesstaaten nach Sprachgrenzen, die ihr Vater stets abgelehnt hatte.


September: Während Indirā Urlaub in Kashmīr macht, bricht ein zweiter Krieg zwischen Bhārat und Pākistān um diese Provinz aus.
Die Sowjet-Union vermittelt einen Waffenstillstand ohne territoriale Veränderungen.

1966
Januar: Als Premierminister Shastri nach Taschkend fliegt, um den Friedensvertrag zu unterzeichnen, stirbt er dortselbst (vermutlich an Gift); Indirā folgt ihm im Amt.


1969
Indirā empfängt den neuen (seit Januar) US-Präsidenten Richard Nixon zum Staatsbesuch in Dillī. Da sie einander auf Anhieb unsympathisch sind und beide sich in ihrem politischen Handeln weniger von Sachverstand als von persönlichen Gefühlen leiten lassen, ergeben sich daraus in den folgenden Jahren erhebliche Spannungen zwischen den USA und Bhārat.4a

1970
November: Verheerende Wirbelstürme im Golf von Bengalen zerstören große Teile "Ost-Pākistāns"; die Bevölkerung - die ca. 200.000 Todesopfer zu beklagen hat - fühlt sich von der im Westen sitzenden Regierung im Stich gelassen; die "Awami-Liga" des Oppositionspolitikers Mujibur Rahmān, der Autonomie für Ost-Bengalen fordert, erhält starken Zulauf.
Dezember: Bei den pākistānischen Parlamentswahlen ist das Land gespalten: Im Westen siegt die sozialistische "Volkspartei" unter Zulfikāar Alī Bhutto, im Osten die Awami-Liga, die 99% der Mandate und damit zugleich die absolute Mehrheit im Gesamtparlament gewinnt. Präsident Yahya suspendiert daraufhin das Parlament, verhängt das Kriegsrecht und verlegt Besatzungstruppen nach "Ost-Pākistān".

1971
März: Indirās Congress-Partei gewinnt bei den Parlamentswahlen mehr als zwei Drittel der Abgeordneten.
Mujibur Rahmān wird verhaftet und wegen "Hochverrats" zum Tode verurteilt; die aufflackernden Unruhen in "Ost-Pākistān" werden militärisch nieder geschlagen; Millionen Bengalen fliehen nach Bhārat, wo sie mit Indirās Billigung eine Exilregierung errichten und Guerilla-Truppen aufstellen, um Ost-Bengalen frei zu kämpfen.
August: Da die USA und Rot-China ihren Verbündeten Pākistān diplomatisch und mit Waffenlieferungen unterstützen, um sein "Auseinanderbrechen" zu verhindern, schließt Indirā einen Freundschaftsvertrag mit der UdSSR.
November: Indirā reist nach Washington, um Nixon für eine friedliche Lösung der Bengalen-Krise zu gewinnen - ohne Erfolg.


10. November: Während sich Indirā zu einem Staatsbesuch in Bonn, der provisorischen Hauptstadt der BRD, aufhält, dringen zwei Bataillone bengalischer Freischärler von West-Bengalen aus nach Ost-Bengalen ein; Nixon entblödet sich daraufhin nicht, Bhārat als den "Aggressor" zu bezeichnen und Yahya zur Kriegserklärung zu ermuntern, die drei Wochen später erfolgt.
Dezember: Da die Truppen Bhāratas - insbesondere die Einheiten der Sikhs, die auch einen Großteil des Offizierskorps der anderen Verbände stellen - denen Pākistānas an Kampfmoral und militärischem Know-how weit überlegen sind, endet der Krieg nach nur zwei Wochen mit der Kapitulation Pākistānas.


Pākistān muß Mujibur Rahmān frei lassen und die Unabhängigkeit Ost-Bengalens (künftig "Bānglādesh [Bengalenland]") anerkennen, ebenso die Zugehörigkeit von Ost-Kashmīr zu Bhārat. Dagegen verzichtet Indirā gegen den ausdrücklichen Rat ihres Verteidigungsministers nicht nur auf die - damals mögliche - Zerschlagung Rest-Pākistāns, sondern sogar auf eine Rückgabe des besetzten West-Kashmīrs.5 (Sie ermöglicht damit den von Pākistān unterstützten muslimischen Terror in Ost-Kashmīr, der 30 Jahre später zum De-facto-Verlust der ganzen Provinz führt.) Dennoch steht sie nunmehr auf dem Gipfel ihrer Popularität.


seit 1972
Indirās Ansehen sinkt infolge von Wirtschaftskrisen und Hungersnöten rapide. Die "Grüne Revolution", die zur landwirtschaftlichen Autarkie Bhāratas führen sollte, scheitert trotz großer Produktionssteigerungen am noch größeren Bevölkerungswachstum.
(Die Einwohnerzahl ist von knapp 240 Millionen zu Beginn des Jahrhunderts auf knapp 550 Millionen gestiegen; es zeichnet sich bereits ab, daß sie bis Ende des Jahrhunderts die Milliardengrenze erreichen wird.)
Indirā versucht dem erst mit Prämien für freiwillige Sterilisationen, dann mit Zwangssterilisationen in kinderreichen Familien der Unterschicht zu begegnen, was sie bei den kinderliebenden Indern viele Sympathien kostet.6
Vor allem in den Randprovinzen Panjāb, Asām und Keral, aber auch in Bihār und West-Bengalen kommt es zu - meist kommunistisch [maoïstisch] gelenkten - Unruhen.

1975
Mai: Indirā annektiert - nach einer "Volksabstimmung" zweifelhafter Art und Güte - das kleine Himālay-Königreich Sikkim.
(Dagegen tut sie nichts, um die Wühlarbeit der Rotchinesen im benachbarten Königreich Nepāl zu bekämpfen, wo 30 Jahre später die Maoïsten die Macht ergreifen.)
Juni: Indirā ruft den Notstand aus, wirft die Anführer der "außer-parlamentarischen Opposition" ins Gefängnis und läßt die anstehenden Wahlen "vertagen".


August: Indirās Protégé Mujibur Rahmān wird durch einen Militärputsch gestürzt und erschossen; die Beziehungen zu Bānglādesh kühlen sich ab.

1977
März: Gegen den Rat ihres Sohnes Sanjay schreibt Indirā kurzfristig Wahlen aus, die sie deutlich verliert.
Neuer Premierminister wird Morār Desāï (1896-1995), der Indirā und Sanjay verhaften und dafür alle Polit- und sonstigen Verbrecher frei läßt, die in den letzten zwei Jahren ins Gefängnis gekommen waren. Eine Welle der Kriminalität überrollt das Land. Indirās Popularität beginnt wieder zu steigen.


1980
Januar: Bei Neuwahlen gewinnt Indirā die absolute Mehrheit und wird wieder Premierministerin. Bald hat sie erneut mit Unruhen in Kashmīr, Asām und vor allem im Panjāb zu kämpfen, wo militante Sikhs einen eigenen Staat ("Khālistān") fordern.


Juni: Indirās Sohn Sanjay kommt bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.7

1983
Dezember: Sant Jarnail Singh Bhindranwale, der Anführer der militanten Khālistān-Befürworter, verschanzt sich mit seinen Anhängern - zu denen u.a. der ehemalige Fallschirmjäger-General Shabeg Singh8 zählt - im Bezirk des "Goldenen Tempels" in Amritsar, dem Heiligtum der Sikhs.


Sant Jarnail Singh Bhindranwale + + + Der Tempelbezirk in Amritsar mit dem "goldenen Tempel" Harmandar Sahib (links) und dem Akal Tākhat Sahib (rechts)

1984
5./6. Juni: Indirā - in religiösen Dingen ebenso indifferent wie ihr Vater und ihr Großvater9 und entsprechend rücksichtslos - läßt den Tempelbezirk mit Waffengewalt stürmen und alle dort angetroffenen Personen töten.10
Damit macht sie Bhindranwale (hinter dem bis dahin nur eine Minderheit der Sikhs stand - bei Wahlen erzielte er keine nennenswerten Erfolge) zum Martyrer und sich selber Millionen Sikhs zu Todfeinden.


Indirā will das freilich nicht wahr haben und hält demonstrativ an ihren Sikh-Leibwächtern fest.
31. Oktober: Indirā Gāndhī wird von zwei ihrer Sikh-Leibwächter erschossen.
Eine sechsstellige Anzahl von Sikhs wird anschließend Opfer von Pogromen aufgebrachter Hindus11; das Verhältnis zwischen den beiden Religionsgemeinschaften ist auf absehbare Zeit vergiftet.


Indirās politisches Erbe tritt ihr Sohn Rājiw an. Er fällt 1991 als Premierminister ebenfalls einem Attentat zum Opfer.

2004
Nick Read versucht, Indirā mit dem Film "The Death of Mother India [Der Tod von Mutter Indien]" ein Denkmal zu setzen, was jedoch selbst beim kinosüchtigen indischen Publikum nicht verfängt; offenbar ist es auch 20 Jahre nach ihrem Tod [noch] nicht möglich, sie dem Volk als "Martyrerin" zu verkaufen.


1"die Glänzende" - ein Beiname der vierarmigen Glücks-Göttin Lakshmī, die heute auch als Göttin des Glücksspiels und des Geldes angesehen wird. Dies nahmen ihre Gegner gerne als Aufhänger für Karikaturen.

Der Name wird eigentlich "Ĭ-di-rā" geschrieben, so auch auf offiziellen Dokumenten, Münzen usw.; sie selber pflegte aber mit "I-ndi-rā" zu unterschreiben; und so steht es auch auf einem der wenigen Denkmäler, die man ihr errichtete. Daher bleibt Dikigoros bei der außerhalb Indiens üblichen Transkription des nasalierten "ĭ" als "in", ebenso beim Nachnamen - der auf Indisch mit nasalisertem langem "a", ohne "n" geschrieben wird.

(Wer sich ein wenig mit unterschiedlichen Schriftsystemen auskennt weiß, daß diese Unklarheiten der Schreibweise - die vor allem bei Namen ein Ärgernis sind - keine Eigentümlichkeit der Dewnagrī sind, sondern auch im kyrillischen und sogar im lateinischen Alfabet vorkommen. So schreibt sich z.B. der Name "Wanja" im Russischen "W-a-n-ja", im Serbischen aber "W-a-nj-a"; und im Rumänischen sindwaren das "â" und das "î" bis zur letzten Rechtschreibreform austauschbar.)

2Indirās Schwiegertochter Sonia gibt später eine Auswahl unter dem Titel "Tochter der Freiheit" neu heraus.

3Die Emory-Universität in Atlanta/Georgia legte 2006 eine Untersuchung vor, wonach es sogar "15 Millionen" Opfer gewesen sein sollen. Dikigoros mißtraut solchen nachträglichen Berechnungen, die mal eben um ein paar Millionen nach oben oder unten von früheren, zeitnahen Zählungen abweichen, will sie aber seinen Lesern nicht vorenthalten.

4Die bekanntesten Beispiele sind - neben Indirā selber - ihre Schwiegertochter Sonia in Bhārat, Sirimāwo Bhãdārnāyke und deren Tochter Chandrika Kumaratunga in Shrī Lankā, Mujibur Rahmāns Tochter Hasina Wajed in Bānglādesh, Aung Sans Tochter Suu Kyi in Barmā sowie Jinnāhs Schwester Fatima und Bhuttos Tochter Benazir in Pākistān.
Eine unumstößliche Regel scheint ferner zu sein, daß indische Politiker[innen] kein "normales" Familienleben haben. So lebte Jinnāh die meiste Zeit seines Lebens mit seiner Schwester zusammen, Nehrū erst mit seiner Schwester, dann mit seiner Tochter, und Indirā mit ihrem Sohn. Benazir Bhutto wurde nachgesagt, daß sie ihren Bruder ermorden ließ, um ihren Vater beerben zu können.

4aNixon vergleicht den kühlen Empfang, den man ihm in Indien bereitet, mit dem begeisterten Empfang, der dort einst seinem Vor-Vorgänger Eisenhower bereitet wurde, und mit der demonstrativen Gastfreundlichkeit, die er kurz zuvor in Pākistān erfahren hatte. Anschließend bezeichnet er Indirā als "Hexe". Nixon spürt, daß die "hochmütige Brahmanin" ihn, der das Pech hat, von seinen Vorfahren die Fysiognomie eines irischen Kneipenwirts geerbt zu haben, als rassisch minderwertig ansieht und verachtet; in Indien hätte er es nach ihrer Auffassung allenfalls zum Latrinenreiniger gebracht.

5Was Indirā zu diesem rückblickend schwersten außenpolitischen Fehler ihrer Karriere veranlaßt haben könnte, ist bis heute nicht klar. Eine These lautet, die demonstrative Verlegung der US-Pazifik-Flotte in den Golf von Bengalen habe sie eingeschüchtert; aber das ist unwahrscheinlich, denn sie wußte bestimmt, daß dies nur ein Bluff Nixons war: Sein gesamtes Kabinett - allen voran der Secretary of State/Außenminister -, fast der gesamte US-Kongreß und nach Meinungsumfragen fast die gesamte US-Bevölkerung standen auf Seiten Bhāratas; selbst Nixon wäre nicht so dumm gewesen, unter diesen Umständen einen Krieg vom Zaun zu brechen, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Impeachment-Verfahren und seiner Absetzung geführt hätte. Eine andere These lautet, Indirā habe gefürchtet, die Zerlegung Pakistānas in seine Bestandteile hätte auch zu einem Zerfall Bhāratas führen können. Aber in diesem Punkt war sie eigentlich viel weniger ängstlich als noch ihr Vater - wie ja auch ihre Neuordnung der Bundesstaaten nach ethnischen und sprachlichen Grenzen zeigte; bei einer Wiedervereinigung Indiens in den Grenzen vor 1947 hätte man neue, größere Bundesstaaten mit erweiterter Autonomie schaffen können, wie ein Gesamt-Bengalen, ein Gesamt-Kashmīr und einen Gesamt-Panjāb. (Und möglicherweise hätten sich dann auch die buddhistischen Teil-Staaten Nepāl und Ceylon - die sich erst 1972 politisch völlig neu orientieren sollten - einem Gesamt-Indien angeschlossen.) Für diese These spricht ihr späteres Verhalten im Falle "Khalistān; aber wenn es 1971 zu einer Wiedervereinigung Indiens gekommen wäre, hätten die Sikhs nie auf die Idee kommen können, einen eigenen, zwischen Bhārat und Pākistān gelegenen Staat zu gründen. Man könnte also sagen, daß Indirā mit dem Versäumnis, Pākistān 1971 zu beseitigen, ihr eigenes Todesurteil schrieb.

6Die westlichen Medien haben Indirās wachsende Unbeliebtheit überwiegend der Ausrufung des Notstands im Juni 1975 und der damit verbundene Einschränkung "demokratischer Grundrechte", vor allem der "Pressefreiheit" zugeschrieben. Tatsächlich war das letztere nicht die Ursache, sondern vielmehr die Folge des ersteren, als Indirā sich nicht mehr anders zu helfen wußte. Dikigoros hat damals in Indien mit vielen Menschen aller Bevölkerungsschichten gesprochen. An erster Stelle der Kritik stand bei allen Gegnern Indirās das Sterilisations-Programm. (Dagegen interessierten "Demokratie" und "Pressefreiheit" allenfalls am Rande.) Im Westen - wo gerade erst die Abtreibung legalisiert worden war und "Familienplanung" groß in Mode kam - verstand man das nicht, da man eine Bremsung des indischen Bevölkerungswachstums für gut und wünschenswert hielt. (Dikigoros erinnert sich noch gut, mit welcher Begeisterung deutsche Medien über das Programm berichteten, das sie fälschlich als durchweg "freiwillig" darstellten. Aber die Freiwilligen gehörten überwiegend der christlichen Minderheit an, während sie unter Hindus und Muslimen eher dünn gesät waren.) Außerdem schien dieses Programm - das erst nach dem zweiten Kind griff - aus westlicher Sicht harmlos, vor allem im Vergleich zur VR China, wo die Ein-Kind-Familie propagiert und u.a. durch Zwangsabtreibungen forciert wurde.

7Merkwürdigerweise wurde nie ernsthaft bezweifelt, daß es sich dabei um einen bloßen Unfall handelte. Dabei war Sanjay der bestgehaßte Mann im Lande. Im Volk herrschte die Meinung vor, daß Indirā alle unpopulären Entscheidungen von ihrem Sohn "eingeflüstert" worden seien; Motive für ein Attentat gab es also reichlich. Sanjay war - wie sein Bruder Rājiw - ein erfahrener Pilot; der Looping, bei dem er abstürzte, war für ihn kein besonders schwieriges Manöver. Sabotage an seinem Flugzeug wurde jedoch ausgeschlossen. Daran änderte sich auch nichts, als 2013 durch 'Wikileaks' aufgedeckt wurde, daß bereits zuvor drei bis dahin geheim gehaltene Attentatsversuche auf Sanjay gescheitert waren. Allein einige notorische Indirā-Hasser vertraten (schon immer) die abwegige These, diese habe ihren Sohn umbringen lassen, um ihre Schwiegertochter - die sie ob ihres Kettenrauchens haßte - aus dem Haus zu bekommen.

8Shabeg Singh war in jungen Jahren ein großer Sportler (indischer Meister im 100-m-Lauf - auch Landesrekordhalter -, Weitsprung und Hockey) und später ein hoch dekorierter Kriegsheld. Er hatte in Barmā gegen die Japaner, in Malaya und Asām gegen die Chinesen und in Kashmīr gegen die Pākistānī gekämpft. 1971 war er maßgeblich am siegreichen Feldzug in Ost-Pākistān beteiligt, wo er zuvor heimlich eine Armee aus unzufriedenen Ost-Bengalen aufgebaut hatte, die auf Seiten Bhāratas kämpfte. Seine Entlassung im Jahre 1976 durch Indirā - mit äußerst fadenscheiniger Begründung - hatte ihr Verhältnis zum Offizierskorps im allgemeinen und zu den Sikhs im besonderen stark belastet.

9Indirā bekannte sich zum "Adi Dharm", einer Glaubensrichtung, die Dikigoros mit aller gebotenen Vorsicht als "Anti-Hinduïsmus" bezeichnen würde, die jedenfalls alle seine wesentlichen Grundsätze über Bord geworfen hat. In "besseren" Hindu-Tempeln hatte Indirā Zutrittsverbot.

10Indirā befürchtete, daß nach einer Unabhängigkeit "Khalistānas" auch andere Randprovinzen "wegbrechen" könnten und daß dies der Anfang vom Ende Bhāratas wäre, was in Anbetracht des Sonderfalls "Sikhs" - zumal nach der Abtrennung Hariyānās anno 1966 - nicht zwingend erscheint. Doch selbst wenn man ihre Auffassung teilte - und ferner glaubte, daß dies eine politische Katastrofe wäre -, so gab es doch keinen stichhaltigen Grund für eine gewaltsame "Eroberung" des Goldenen Tempels. Indirā meinte, daß diese Entscheidung nicht auf sie persönlich zurück fallen würde, da der Angriffsbefehl formell von Präsident Zail Sinh - einem Sikh - kam und auch der Angriff von Sikh-Offizieren geführt wurde - auch in diesem Punkt irrte sie. Mit etwas Geduld hätte sie den Tempel abriegeln und die "Rebellen" binnen einiger Wochen oder Monate aushungern lassen können; statt dessen schickte sie die Armee mit Panzern ins Gefecht, bei dem wahllos alles nieder gemacht wurde, was man antraf. Als Zeitpunkt wählte sie ausgerechnet die Nacht vom Heiligabend auf den Weihnachtstag der Sikhs, als der Tempelbezirk mit harmlosen Pilgern aus aller Welt überfüllt war. (Schätzungen schwanken zwischen ca. 500 und ca. 5.000 zivilen Opfern.) Die Behauptung, der Harmandar Sahib - der wichtigste Tempel des Bezirks - sei bei dieser Gelegenheit zerstört worden, ist allerdings unzutreffend. Stark beschädigt wurde "nur" der - zweitwichtigste - Akal Tākhat Sahib. Hauptvorwurf der Sikhs war auch nicht der Beschuß des A.T.S. - wo die Aufständischen schließlich selber Maschinengewehr-Nester eingerichtet hatten -, sondern die Entweihung des H.S. durch Soldaten, die ihn in Stiefeln betraten, und die "versehentliche" Vernichtung der heiligen Schriften.

11Die Angaben zur Zahl der Todesopfer schwanken extrem - zwischen "300" und "50.000". Auch die Zahl der vertriebenen oder in den Panjāb geflüchteten Sikhs ist nicht mehr genau zu ermitteln; die jüngsten Schätzungen von ca. 1,25 Millionen dürften zu hoch gegriffen sein; sie war jedoch zumindest sechsstellig. Weit weniger spektakulär - und von den westlichen Medien tot geschwiegen - verlief im selben Jahr in Pākistān die Ausschaltung der Ahmadiyya, einer Glaubensgemeinschaft, die - trotz erheblich jüngeren Alters - viel mit den Sikhs gemeinsam hatte: Ihre Angehörigen wurden aus dem Staatsdienst entlassen und mußten fortan einen Stempel im Ausweis tragen, der sie als Nicht-Muslime kennzeichnete, ihre Gotteshäuser wurden zerstört und ihre Geistlichen ermordet; ihr Oberhaupt entging dem nur durch Flucht ins britische Exil. All dies geschah ganz "legal", d.h. nach Verabschiedung entsprechender Gesetze; ein Widerstand fand nicht statt.


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