Subhāś Chandr Bōs

(1897 - 19451)

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros

1897
23. Januar: Subhāś Chandr Bōs2 wird als 9. von 14 Kindern des wohlhabenden Rechtsanwalts Janakinath Bōs und seiner Ehefrau Prabhawātī Dewī, geb. Datt (engl. "Dutt[a]", in Kreisen deutscher Fußballfans meist falsch - mit "u" statt kurzem englischem "a" - ausgesprochen :-), in Katak (engl. "Cuttack")/Bengalen3 geboren.

[Familienfoto 1905; S. steht in der 3. Reihe ganz rechts]

1902-1909
Bōs besucht die Missionsschule der Baptisten in Katak.

1909-13
Bōs besucht die alt-ehrwürdige Ravenshaw-Schule (eine Art Realschule mit angegliederter Kadetten-Anstalt) in Katak.

1913
Bōs wird in das renommierte Presidency College in Kålkattā (engl. "Calcutta") - eine Kaderschmiede für Hindūs im mehrheitlich muslimischen Bengalen - aufgenommen.
Nachdem er aus disziplinarischen Gründen (er soll einen "unpatriotischen" Lehrer geschlagen haben) relegiert worden ist, wechselt er an das Scottish Churches College der Universität Kålkattā.

1914-18
Während des Ersten Weltkriegs werben die Briten in ihren Kolonien um KanonenfutterFreiwillige mit dem Versprechen, ihnen nach dessen Beendigung die Selbstverwaltung zu gewähren. Rund eine Million Inder gehen den Limeys auf den Leim; die Gefallenenrate liegt bei 10%.


(Tatsächlich denken die Briten nicht im Traum daran, den Griff auf ihre Kolonien zu lockern; vielmehr sind sie in den Krieg eingetreten, um sich noch mehr Gebiete zu krallenihr Empire noch zu erweitern - honni soit qui mal y pense.)

[Raubstaat England]

1919
Bōs, der sein Studium mit dem Grad eines Bachelor of Arts [B.A.] (Hauptfach Filosofie) abgeschlossen hat, gehtschippert nach England mit dem erklärten Ziel, in den I.C.S.4 aufgenommen zu werden.
November: Bōs besteht die Anwärterprüfung und beginnt seine Ausbildung am Fitzwilliam College der Universität Cambridge.



1921
April: Bōs bricht den Vorbereitungsdienst aus unbekannten Gründen5 ab und kehrt nach Indien zurück, wo er sich dem Bengal Provincial Congress anschließt, einem Ableger des Indian National Congress.
Dezember: Bōs wird erstmals wegen anti-britischer Agitation zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

1923
Nach seiner Entlassung wird Bōs Vorsitzender des A.I.Y.C. - der Jugend-Organisation des Congress - und Chef-Redakteuer der Zeitung "Forward [Vorwärts]" von Chittaranjan Dās, einem der führenden Congress-Politiker in Bengalen.

1924
Dās wird Bürgermeister von Kålkattā; er macht Bōs zum Chef der Stadtverwaltung.

1925
Dās und Bōs werden wegen anti-britischer Agitation und Anstiftung zum Landfriedensbruch verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Bōs wird in Mandalay [Barmā, engl. "Burma" geschrieben, heute "Myanmar"] eingekerkert, wo er an Tuberkulose erkrankt.

1927
Um keinen Martyrer zu schaffen, entlassen die Briten den vermeintlich todkranken Bōs vorzeitig aus der Haft.
Er kehrt nach Bengalen zurück, wo er zum General-Sekretär des Congress aufsteigt.
Zusammen mit Nehrū, versucht er, eine Einigung zwischen dem Congress und der Muslim-Liga unter Jinnāh herbei zu führen; was jedoch an unterschiedlichen Vorstellungen über das künftige Wahlrecht scheitert.

1928
Dezember: Bōs - inzwischen auch "Kommandierender General" der Partei-Miliz C.V.C. - organisiert den (43.) Jahres-Parteitag des Congress in Kålkattā; sein Aufstieg zum Partei-Vorsitzenden scheint vorprogrammiert.


1929
Dezember: Nachdem Bōs erneut wegen anti-britischer Agitation verhaftet worden ist, wird beim 44. Jahres-Parteitag - auf Vorschlag Gāndhīs - Nehrū als Nachfolger seines Vaters zum neuen Vorsitzenden des Congress gewählt. Er schreibt erstmals "vollständige Unabhängigkeit [purna swarāj]" auf seine Fahne.

1930
Eine nach London einberufene "Round-table"-Konferenz scheitert an unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen der britischen Regierung, den vom Congress vertretenen Hindūs und den Muslimen, deren Vertreter Muhammad Iqbal anschließend zur Gründung eines eigenen Muslim-Staates in Nordwest-Indien aufruft.
Nehrū wird wiederholt von den Briten verhaftet und verbringt vier der folgenden fünf Jahre im Gefängnis. Damit scheint der Weg frei für den erneut vorzeitig entlassenen Bōs. Er wird zum Bürgermeister von Kålkattā gewählt, kann jedoch als solcher nicht viel bewegen.

1932-33
Nach einem Verbot durch die britische Besatzungsmacht muß der Congress vorübergehend in der Illegalität operieren.

1933-36
Bōs hält sich in Europa auf. Angeblich tut er das aus gesundheitlichen Gründen (als ob es in Indien keine Höhenkurorte für Tbc-Kranke gäbe :-), tatsächlich aber wohl aus politischen. Er sucht jedenfalls, soweit dies bekannt ist, keine berühmten europäischen Ärzte auf, sondern vielmehr Politiker, von denen denkbar scheint, daß sie Indien in einem etwaigen Unabhängigkeits-Krieg gegen England unterstützen könnten, u.a. den italienischen Duce Benito Mussolini, der - noch - als Schutzherr Abessiniens gilt, das die Briten gerne als Kolonie hätten. Er schlägt seinen Wohnsitz in "Österreich" auf, als dessen Schutzherr Mussolini ebenfalls gilt, seit er sich mit diesem in den "Römischen Protokollen" gegen Deutschland verbündet hat, dessen neuer Reichskanzler Adolf Hitler als großer Freund und Bewunderer Englands gilt (er hatte in "Mein Kampf" die britische Kolonialherrschaft in Indien ausdrücklich befürwortet) und schon deshalb für Bōs - noch - nicht von Interesse ist. (Bōs schreibt in bewußter Abkehr von Hitlers Buch - das in Indien als "My Struggle" bis heute ein Bestseller ist - "The Indian Struggle, 1920-1934".6)
In Bad Gastein lernt Bōs die Österreicherin Emilie Schenkl kennen, die er angeblichheimlich7 heiratet. (Aus der Verbindung geht eine Tochter hervor.)


Bōs kontaktiert auch den britischen Oppositionsführer, Clement Attlee, von dessen sozialistischer Arbeiter-Partei er sich im Falle einer Regierungsübernahme erhofft, daß Indien in die Unabhängigkeit entlassen wird.
Am Ende kehrt Bōs mehr oder weniger ergebnislos nach Indien zurück, wo er wieder verhaftet wird.

1937
Bei den Provinzwahlen erringt der Congress einen überwältigenden Sieg gegen die Muslim-Liga - auch im mehrheitlich islamischen Bengalen.
Bōs wird erneut aus der Haft entlassen.

1938
Februar: Auf dem (51.) Jahres-Parteitag des Congress wird Bōs zum neuen Vorsitzenden gewählt.


1939
Bōs gerät zunehmend in Gegensatz zu Gāndhī - nicht über die Ziele, sondern über die Methoden, mit denen sie erreicht werden sollen. Während letzterer auf langfristigen passiven Widerstand und "Gewaltlosigkeit" setzt, will Bōs den Briten ultimativ drohen, sie mit militärischer Gewalt aus Indien zu vertreiben, wenn sie nicht binnen sechs Monaten "freiwillig" gehen.
März: Auf dem 52. Jahres-Parteitag des Congress wird Bōs in einer Kampfabstimmung gegen den Kandidaten Gāndhīs als Vorsitzender bestätigt.
April: Seinen Vorschlag, den Briten ein Abzugs-Ultimatum zu stellen, kann er jedoch nicht durchsetzen; er legt daraufhin den Congress-Vorsitz nieder und beginnt im
Mai mit den Vorbereitungen zur Gründung einer eigenen Partei, des "[All India] Forward Bloc [Vorwärts-Block]".8


3. September: Zwei Tage nach Beginn des Polenfeldzugs erklären Großbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg (nicht aber der Sowjetunion, als infolge des deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrags vom 24. August 1939 ["Ribbentrop-Molotow-Pakt", später auch "Hitler-Stalin-Pakt" genannt] auch die Rote Armee in Polen einrückt), der sich in den folgenden Jahren zum Zweiten Weltkrieg ausweitet, den die Briten wieder bis zum letzten Inder zu führen gedenken.
Angesichts dessen macht sich nun auch Gāndhī die von Bōs entworfene Resolution "Quit India!" zu eigen.
Die Briten reagieren mit erneuter Auflösung der Congress-Verwaltung.

1940
Juni: Auf einer Konferenz in Nagpur wird der Forward Bloc offiziell als "sozialistische" Partei gegründet; Bōs wird ihr Vorsitzender. Er ruft offen zum Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft auf.
Juli: Bōs wird einmal mehr von den Briten verhaftet und in Kålkattā eingekerkert.
Dezember: Bōs erreicht durch einen Hungerstreik, daß seine Haft in Hausarrest umgewandelt wird.

1941
Januar-April: Bōs gelingt die Flucht. Er reist über Afģānistān und die Sowjet-Union in das - noch - mit dieser verbündete Deutsche Reich.
Mai: Bōs wird nacheinander von Himmler - einem begeisterten Hobby-Indologen -, Ribbentrop und Hitler empfangen.


Dezember: Japan tritt in den Krieg gegen seinen ehemaligen Verbündeten Großbritannien ein.


1942
Januar: Die Reichsregierung richtet Bōs u.a. indischen Flüchtlingen in Berlin einen Propaganda-Sender ("Āzād Hind Radio [Radio Freies Indien]") ein, mit dem sie ihre Landsleute über Kurzwelle zum Kampf gegen die britische Kolonialmacht aufrufen können. Gleichzeitig wird die Aufstellung einer "Legion Freies Indien" unter Bōsas Kommando bekannt gegeben.
(Tatsächlich hatte die Aufstellung bereits im Mai 1941, direkt nach Bōsas Ankunft in Deutschland, begonnen. Sie verlief jedoch schleppend. Die Rekrutierung erfolgte aus in Nordafrika gefangen genommenen Indern der britischen Streitkräfte, von denen sich ca. 20% meldeten. Insgesamt erreichte diese "Legion" nie mehr als Regimentsstärke; sie firmierte zunächst als "Infanterie-Regiment 950" des Heeres, später wurde sie als "Indische Freiwilligen-Legion" in die Waffen-SS übernommen. Nennenswerte militärische Einsätze hatte sie nicht zu verzeichnen.)


Januar-Mai: Japanische Truppen erobern mehre britische Kolonien, u.a. Malaya, Singapur und das zu Britisch-Indien gehörende Barmā.
Auch die Japaner versuchen, indische Angehörige der dabei gefangen genommenen britischen Streitkräfte für sich zu gewinnen. Sie stellen eine "Indische National-Armee [I.N.A.]" unter Mohan Sinh auf; die Resonanz ist jedoch so gering, daß der Versuch noch im selben Jahr wieder aufgegeben wird.
August: Die Briten verbieten den Forward Bloc, überfallen, plündern und zerstören alle Parteibüros und verhaften die Mitarbeiter.

1943
Februar: Angesichts der militärischen Lage an der Ostfront und in Nordafrika, die einen deutschen Vorstoß von Westen nach Indien immer unwahrscheinlicher macht, reift in Berlin die Erkenntnis, daß Bōs in Asien besser aufgehoben ist.
Februar-Mai: Bōs gelangt nach einer abenteuerlichen Reise auf deutschen und japanischen U-Booten nach Indonesien und von dort per Flugzeug nach Japan.


Juli: Bōs reist weiter nach Singapur und übernimmt dort die inzwischen neu aufgestellte, aber immer noch an Personalmangel leidende I.N.A.. Binnen kurzer Zeit sammelt er ca. 40.000 Männer (und ca. 1.000 Frauen, die ein Hilfsregiment in Bataillons-Stärke bilden, das nach der legendären Rānī von Jhānsī benannt wird :-).


August: Unter japanischem Schutz erklärt Barmā sich zu einem unabhängigen Staat und Großbritannien den Krieg.
Oktober: Bōs proklamiert eine indische Gegenregierung und sich selber zu deren provisorischem Führer. Seine Anhänger nennen ihn "Netā-jī [lieber Führer]".
Die Briten reagieren mit verstärkter Ausplünderung Indiens, insbesondere Bengalens. Bei einer Hungersnot, die nur mit der zu vergleichen ist, die einige Jahre zuvor Stalin in der Ukraïne künstlich herbei geführt hatte, sterben mehrere Millionen Inder.9


(Da Inder ein besseres historisches Gedächtnis haben als z.B. Deutsche, sind die Angelsachsen seitdem in Indien für alle Zeiten verhaßt.)

1944
März: Einheiten der I.N.A. dringen zusammen mit japanischen Truppen in Asām ein; danach bleibt der Vormarsch jedoch stecken, und sie müssen sich nach Barmā zurück ziehen.

1945
6.-9. August: Nach dem Abwurf zweier US-amerikanischer Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ist Japan kapitulationsreif.
Bōs löst die I.N.A. auf und versucht, in einem japanischen Flugzeug nach Mandschu-kuo zu entkommen. Seitdem ward er nicht mehr gesehen.


Die Japaner behaupten, die Maschine sei am
18. August über Taiwan abgestürzt und Bōs wenig später seinen Verletzungen erlegen. Sie stellen eine Urne, die angeblich seine Asche enthält, im Renkōji-Tempel in Tōkyō auf und errichten ihm ein Denkmal.


18. September: Die Japaner - die inzwischen kapituliert haben - veranstalten offizielle Trauerfeierlichkeiten für Bōs. Die US-amerikanischen Besatzer tolerieren das und lassen auch die Urne mit der Asche Bōsas und das Denkmal unangetastet - während die Briten als erste Amtshandlung im wieder besetztenbefreiten Singapur das dort von Bōs im Juli eingeweihte Denkmal auf die gefallenen I.N.A.-Kämpfer zerstören und die Gedenkstätte dem Erdboden gleich machen.

1946
Februar: Nachdem die Briten - deren neuer (seit August 1945) Premierminister Attlee zunächst keine Anstalten macht, an der Kolonial-Politik seiner Vorgänger etwas zu ändern - versucht haben, 11.000 ehemalige I.N.A.-Angehörige pauschal zu "Kriegsverbrechern" zu stempeln und ihren höheren Offizieren vor einem Tribunal in Delhi den Schauprozeß zu machen ("Red Fort Trials" - als Probelauf für die "Nuremberg Trials" und die Behandlung der Waffen-SS-Angehörigen), meutern die Besatzungen aller Flotteneinheiten in Britisch-Indien, ausgehend von Bombay, Kārāchī und Kålkattā, geschlossen und erklären sich zur "I.N.M. [Indischen National-Marine]". Binnen weniger Tage greift die Meuterei auf die Luftwaffeneinheiten und die Polizeikräfte in ganz Indien über, ferner auf die Armeeeinheiten in Punä und Madrās; in den größeren Städten brechen Generalstreiks aus. Das Andenken des toten Bōs bewirkt, was alle Politbonzen Politiker Indiens zusammen in Jahrzehnten nicht vermocht haben: die spontane Verbrüderung der Inder über alle Religionsgrenzen hinweg. Auf den meuternden Schiffen werden die Flaggen der Muslim-Liga und des Congress neben einander aufgezogen.
Die Briten begreifen urplötzlich, daß sie die Herrschaft über Indien nicht länger behaupten können und bitten die Führer der Muslim-Liga und des Congress, den nationalen Aufstand zu beenden, unter Zusicherung der Unabhängigkeit noch im selben Jahr. Jinnāh und Patel bewegen daraufhin die Anführer der Meuterei und der Streiks zum Einlenken.10
Dezember: Auf einer Konferenz in London akzeptieren die Muslim-Liga und der Congress eine Teilung Indiens mitten durch den Panjāb und durch Bengalen.


1947
14./15. August: Großbritannien gibt seine Herrschaft über Indien auf ("Freedom at Midnight [Um Mitternacht die Freiheit]"). Die beiden wichtigsten Nachfolgestaaten sind das überwiegend hindūistische Bhārat und das muslimische Pākistān, die beide als "Dominions" dem "British Commonwealth of Nations" beitreten. [Die buddhistischen Länder Nepāl und Bhūtān sowie das überwiegend buddhistische Shrī Lankā (engl. "Ceylon") werden erst später unabhängig; die Sikhs haben bis heute keinen eigenen Staat.]
Unmittelbar nach Ausrufung der Unabhängigkeit beginnt ein mörderischer Bürgerkrieg zwischen Hindūs und Muslimen in allen gemischt besiedelten Gebieten, vor allem im Panjāb und in Bengalen.


In weniger als zwei Monaten werden ca. 11 Millionen Menschen ermordet oder vertrieben.11

seit 1947
Mehrere Kriege zwischen Pākistān und Bhārat folgen, erst um Kashmīr, später auch um Ost-Bengalen.
Angesichts dessen, was Gāndhī, Jinnāh, Nehrū & Co. angerichtet haben, verklärt sich das Andenken an Bōs immer mehr - erst "nur" im Volk, später auch seitens der Regierung.

1948
Sushil Mazumdar produziert den ersten posthumen Film über Bōs, "Sipahī ka sapnā [Soldatentraum]".


seit 1964
Nach Nehrūs Tod wird, um dessen - durchaus nicht ungetrübtes - Andenken aufzupolieren, sein angeblich gemeinsamer Kampf mit Bōs heraus gestellt. Selbst "krummer" Geburtstage Bōsas wird auf einmal von Amts wegen gedacht. Eine Pilgerfahrt zum Renkōji-Schrein - vorzugsweise am 18. August - wird für indische "Spitzen"-Politiker zur fast so selbstverständlichen Pflichtübung wie ein Besuch im Yasukuni-Schrein für japanische.


1971
Alexander Werth veröffentlicht "Der Tiger Indiens: Subhas Chandra Bose. Ein Leben für die Freiheit des Subkontinents".

1995
In Singapur wird eine Gedenktafel an der Stelle errichtet, wo die Briten 1945 das Denkmal auf die gefallenen Angehörigen der I.N.A. geschändet haben, und zum "nationalen Kulturerbe" erklärt.


1997
Bōsas 100. Geburtstag wird in ganz Indien groß gefeiert.



2005
August: "Netaji Subhas Chandra Bose. The Forgotten Hero [Der vergessene Held]" kommt in die Kinos. Der Film erhebt den Anspruch, eine Dokumentation historischer Fakten zu sein, ist aber eher in die Kategorien "Fantasy" oder "Abenteuer" einzuordnen.


Der Produzentin Barbara Wrangell - bereits berühmt-berüchtigt durch ihren drei Jahre älteren Film "Kick it like Beckham" - ging es wohl in erster Linie darum zu zeigen, daß Frauen nicht nur ebenso gut Fußball, sondern auch ebenso gut Soldaten spielen können wie Männer. Die weibliche Hilfsbrigade der I.N.A. nimmt jedenfalls einen unverhältnismäßig breiten Raum ein - mit ein Grund für die selbst für indische Verhältnisse eklatante Überlänge. Es entbehrt auch nicht einer gewissen Komik, Bōs, Gāndhī und Nehrū auf Hindī reden zu hören - einer Sprache, die keiner der drei hinreichend beherrschte, um eine politische Diskussion zu führen. (Tatsächlich unterhielten sie sich in der Sprache ihrer Todfeinde - Englisch :-) Um alle Ungereimtheiten jenes Films aufzuzeigen, bedürfte es einer eigenen Webseite. Da jedoch, anders als im Falle von Richard Attenboroughs "Gandhi" (1982), zwar nicht Bōs - schon der Titel ist verfehlt! -, wohl aber der Film schnell vergessen war, hat Dikigoros davon Abstand genommen.
November: Eine vom indischen Parlament eingesetzte Untersuchungs-Kommission kommt zu dem Schluß, daß es sich bei der in Tōkyō beigesetzten Asche nicht um die Bōsas handelt.

2006
Mai: Nach ausgiebiger Debatte im indischen Parlament wird der Bericht der Untersuchungs-Kommission von der indischen Regierung ohne nähere Begründung verworfen.12


1)Das Todesdatum ist umstritten. Dikigoros schreibt darüber an anderer Stelle.

2)Dikigoros hat sich nach langem Zögern - und nicht ohne "Bauchschmerzen" - für die Hindī-Schreibweise entschieden, aus der Überlegung, daß B. letztlich kein nur bengalischer, sondern vielmehr ein gesamt-indischer Nationalheld war und ist (zumal nach der zunehmenden Demontage Gāndhīs und des Nehrū-Clans sowie dem allmählichen Vergessen Sawarkaras, an dem wohl auch der neue Regierungschef Modi - ein großer Fan des letzteren - nicht mehr viel wird ändern können). Er schrieb sich auf Englisch "Subhas Chandra Bose" und auf Bengalisch "Sūbhash Chåndr Våshū", wobei das "v" wie im Spanischen, also zum "b" hin gesprochen wird, das "å" wie ein offenes/dunkles "o" [während das Hindī-"ō" geschlossen/hell ist] und das Endungs-ū - trotz seiner theoretischen Länge - ähnlich wie das kurze Endungs-"a" im Hindī und das "schwa" im Deutschen halb verschluckt wird.

Kurioserweise erscheint sein Vorname ("der schön Redende", ein Name, den vor allem Politiker und Anwälte Söhnen, die sie in ihre Fußstapfen treten sehen wollten, gerne gaben :-) bei zweisprachigen indischen Münzen auf Hindī als "Subhāś" [gesprochen "ßu-bhaasch"], aber auf Englisch als "Subhas".

3)Nach der Teilung Bengalens 1905 wurde Katak Hauptstadt von Urīsā (engl. "Orissa", heute "Aurishā" geschrieben). Mit der von Vizekönig Lord Curzon verfügten - an sich durchaus vernünftigen - Teilung des einst größten und [nicht nur bevölkerungs-]reichsten Landes auf dem indischen Subkontinent machten sich die Briten die "echten", überwiegend muslimischen Bengalen nachhaltig zu Feinden. [Die Kritik an der Teilung war allerdings in sich widersprüchlich: Die Westbengalen beklagten den Verlust ihrer überwiegend von Hindūs bewohnten Vasallen-Provinzen, während die Ostbengalen den Verlust ihrer Mehrheit durch die Zusammenlegung mit Asām beklagten.]

Nach vehementen, z.T. gewalttätigen Protesten trat Lord Curzon entnervt zurück; unter seinem Nachfolger, Lord Minto, wurde die Teilung zwar 1912 rückgängig gemacht, aber dafür wurde die indische Hauptstadt 1911 von Kålkattā nach Neu-Delhi verlegt, was den Stolz der Bengalen fast noch mehr kränkte. An ihrer feindseligen Haltung gegenüber den britischen Kolonialherren sollte sich fortan nichts mehr ändern, auch und erst recht nicht durch die Unabhängigkeit 1947, die Bengalen besonders hart traf und deren Nachwirkungen bis heute andauern. Bei keinem anderen Volk der Welt sind die Briten so verhaßt wie bei den [Ost- und West-]Bengalen.

4)Der "Indian Civil Service" (auch als "Imperial Civil Service" verstanden) stellte ca. 1.000 höhere Beamte für den Verwaltungsdienst in Indien. Nach bestandener Aufnahmeprüfung absolvierten die Anwärter eine zweijährige Ausbildung in indischen Sprachen sowie in britischem und indischem (Straf-, Steuer- und Verwaltungs-)Recht in Oxford, Cambridge und/oder London. Wie es den Briten mit diesen - und ebenso wenigenvielen Offizieren der Streitkräfte - gelang, einen Raum, in dem bereits im 19. Jahrhundert eine neunstellige Anzahl Menschen lebte, zu beherrschen, ist für Dikigoros eines der größten Rätsel der neueren Geschichte, zumal die unteren Chargen durchweg - und die mittleren Chargen zunehmend - aus "eingeborenen" Indern bestanden, weil immer weniger Briten bereit waren, gegen relativ schlechte Bezahlung einen anstrengenden Dienst in einem klimatisch ungesunden Land zu leisten. [Lediglich jenen oberen Tausend wurde er durch gewisse Privilegien versüßt - aber keineswegs erleichtert.] Nach dem Ersten Weltkrieg öffneten die Briten auch den höheren Dienst für Inder, deren Anteil von gut 5% bis zur Unabhängigkeit 1947 auf ein knappes Drittel anstieg. Die meisten waren Bengalen.

5)Verschiedentlich wird - vor allem von Sikhs - behauptet, daß Bōs unter dem Eindruck der von anti-britischen Propagandisten zum "Amritsar-Massaker" aufgebauschten Ereignisse vom April 1919 - über die Dikigoros an anderer Stelle schreibt - an den Briten irre wurde und deshalb nicht mehr bereit war, für sie zu arbeiten; aber das ist völlig abwegig, da er erst im November 1919 in den I.C.S.-Vorbereitungsdienst eintrat.

6)Eine authentische Ausgabe jenes Buches ist heute nicht mehr aufzutreiben, ebensowenig ein Original-Exemplar des 2. Bandes ("The Indian Struggle 1934-42"). Die Jahrzehnte nach dem Krieg erschienene Gesamtausgabe wurde von Bōsas Großneffen Sisir und Sugata zensiert geglättet "überarbeitet".

7)Diese Heirat war so "geheim", daß darüber weder standesamtliche noch kirchliche Unterlagen existieren. Da auch kein Hindū-Geistlicher vor Ort war, ist wohl anzunehmen, daß es sich in Wahrheit um eine nicht-eheliche Beziehung handelte. Abwegig ist dagegen die These, daß Bōs und Schenkl ihre Eheschließung unter Druck der deutschen (!) "Nazi"-Behörden nicht registrieren lassen konnten oder wollten, weil es sich nach den "Nürnberger Gesetzen" um "Rassenschande" handelte. Aber 1. hielten sie sich nicht im Deutschen Reich auf, sondern in Österreich (dessen Wiedervereinigung mit"Anschluß" an Deutschland erst 1938 erfolgen sollte), 2. waren die "Nürnberger Gesetze" noch gar nicht verabschiedet, 3. handelte es sich nicht um "Rassengesetze", sondern um Religionsgesetze, die in ihren Bestimmungen hinsichtlich der Eheschließung vor allem als Gegenstück zu dem jüdische Verbot, Angehörige anderer Religionen zu heiraten, gedacht waren, und 4. hätte man auch im "Dritten Reich" höherkastige Inder ohne weiteres als "Arier" bzw. "Artverwandte" eingestuft. Bōs war ein Kāyasth, d.h. kastenmäßig zwischen den Brahmanen und den Kshatriyen angesiedelt. Diese Jāti zählt bis heute weniger als 1 Million Angehörige - also weniger als 1 Promille der Bevölkerung - und ist entsprechend elitär. Ursprünglich Schreiber am Hofe der Gupten, stiegen sie später zu Schriftgelehrten, und von Gerichtsschreibern zu Anwälten und Richtern auf. (Entgegen außerhalb Indiens weit verbreiteter Auffassung ist ein kastenmäßiger Aufstieg durchaus möglich - allerdings nur im Rahmen der ganzen Jāti.) Sowohl die Familie Bōs als auch die Familie Datt gehören zum bengalischen Uradel, der mehrere tausend Jahre zurück reicht und auch nach der Eroberung Bengalens durch die Muslime seine Hindū-Religion bewahrte. Im übrigen war Bōs für indische Verhältnisse ausgesprochen hellhäutig, sah also auch aus wie ein "Arya". (Seine Flucht aus Britisch-Indien gelang ihm mit den falschen Papieren eines italienischen Grafen, als der er ohne weiteres durchgehen konnte :-)

8)Es handelt sich um eine deutlich marxistisch gefärbte Partei, auch wenn ihre Anhänger das bestritten und bestreiten. Sie existiert - nach Neugründung, zahlreichen Richtungskämpfen und Abspaltungen - noch immer, führt allerdings eine bloße Randexistenz und gerät nur gelegentlich in die Schlagzeilen, wenn es wieder einmal um die Frage geht, ob Bōs bei dem ominösen Flugzeugabsturz im August 1945 ums Leben kam oder nicht oder doch - sie vertritt seit je her den Standpunkt, daß nicht.

9)Es hat nicht an Versuchen britischer "Historiker" gefehlt, ihre KrallenHände in Unschuld zu waschen. Indes ist keines ihrer Argumente - die z.T. in Widerspruch zueinander stehen - stichhaltig. Die häufigsten sind:
1. Durch Mißernten verursachte Hungersnöte kamen in Indien und speziell in Bengalen immer mal wieder vor; es war also reiner Zufall.
Aber die Ernteerträge in Indien und speziell in Bengalen waren 1943 sogar höher als im Durchschnitt der vorauf gegangenen Jahre - daran kann es also nicht gelegen haben.
2. Bose war schuld, denn seine Truppen und die mit ihm verbündeten Japaner hatten Burma besetzt, die "Kornkammer" Indiens, aus der Bengalen für gewöhnlich beliefert wurde; diese Lieferungen fielen nun weg.
Aber Bōs hatte - mit japanischer Einwilligung - angeboten, Bengalen mit der gleichen Menge Getreide zu beliefern wie dies vor dem Krieg geschah. Dies lehnten die Briten freilich ab, weil es Bōs in Indien nur noch populärer gemacht hätte als er ohnehin schon war, und weil sie eine möglichst große Anzahl Inder - vor allem Bengalen, die als besonders renitent galten - sterben sehen wollten.
3. Es gab gar keine "Hungersnot". Beweis: Es verhungerten nicht so sehr die Bauern als vielmehr die Handwerker in den Städten, weil die meisten Leute wegen der allgemeinen Teuerung ihr ganzes Geld für - durchaus vorhandene - Lebensmittel ausgaben, aber an allem Anderen sparten. Die Toten starben also nicht an Hunger, sondern vielmehr an Armut.
Aber 1. war die Teuerung nicht so schlimm wie bei vielen anderen Gelegenheiten, 2. hatten und haben Handwerker u.a. Dienstleistende in Indien bei vorübergehenden Zahlungsschwierigkeiten traditionell Kredit bei WucherernGeldverleihern, und 3. war eben auch die Teuerung auf die Geldpolitik der Briten zurück zu führen.

10)In den staatlichen Geschichts- und Märchenbüchern werden als Grund für die "Royal Indian Navy Mutiny" läppische Erklärungen wie "schlechte Verpflegung" oder "arrogantes Verhalten der britischen Offiziere" genannt; marxistische Historiker[innen] wollen ihnen gar klassenkämpferische Ursachen zuschreiben. Den "Meuterern" wird ihre Tat schlecht gedankt: Trotz Zusicherung von Straffreiheit werden ihre Anführer verhaftet und bei Lebzeiten nie rehabilitiert; zu tief sitzt die Angst der indischen Politiker vor einer Verbrüderung von Hindus und Muslimen zum Kampf gegen ihre Herrscher. Die Führer des Congress haben die nie wieder kehrende Gelegenheit verpaßt, den von ihnen angestrebten Gesamtstaat Indien zu schaffen. Im indischen Volk - das sich mangels flächendeckender Verbreitung von Massenmedien weniger leicht manipulieren läßt als die Untertanen westlicher Staaten - werden und bleiben die Aufständischen ebenso Nationalhelden wie Bōs und die Angehörigen seiner I.N.A. Nach der Regierungsübernahme durch die Indische Volkspartei (B.J.P.) werden sie endlich auch offiziell rehabilitiert.

11)Die Emory-Universität in Atlanta/Georgia legte 2006 eine Untersuchung vor, wonach es sogar "15 Millionen" Opfer gewesen sein sollen. Dikigoros mißtraut solchen nachträglichen Berechnungen, die mal eben um ein paar Millionen nach oben oder unten von früheren Zählungen abweichen, will sie aber seinen Lesern nicht vorenthalten. Er persönlich hält es für möglich, daß - ähnlich wie bei den sowjetischen Statistiken über "20 Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg" - die Millionen Opfer der voraus gegangenen Hungersnot mitgezählt wurden, um die letztere zu verharmlosen und schließlich ganz aus den amtlichen Geschichtsbüchern zu streichen.

12)Ein unglaublicher Vorgang. In einer westlichen Demokratie, wie der BRDDR, oder in einer Obamacracy, wie den Vereiniggerten Staaten von Amerika, hätte ein solcher Untersuchungs-Bericht selbstverständlich zu dem von der Regierung gewünschten Ergebnis geführt - andernfalls hätte er gar nicht veröffentlicht, geschweige denn öffentlich diskutiert werden dürfen, sondern wäre neu in Auftrag gegeben worden - so lange, bis das politisch gewünschte Ergebnis "wissenschaftlich bewiesen" gewesen wäre. In der Sache lassen sich keine sicheren Feststellungen mehr treffen. Die Person, die nach dem Absturz offiziell als Bōs "identifiziert" wurde, hatte Verbrennungen erlitten, durch die sie praktisch unkenntlich geworden war. Der japanische Stabsarzt, unter dessen Händen sie starb, kannte Bōs nicht; da er aber nur Japanisch sprach und die verletzte Person nicht, zog er nach eigener Aussage einen Dolmetscher hinzu, den er ebenso wenig kannte und der später "verschollen" blieb. (Der Stabsarzt konnte sich angeblich nicht mehr an dessen Namen erinnern.) Nach Aussage des Stabsarztes behauptete dieser Unbekannte, schon einmal für Bōs gedolmetscht zu haben und ihn an seiner Stimme wieder zu erkennen. Ein solcher "Beweis" würde vor keinem ordentlichen Gericht der Welt stand halten. Auch an der Asche in der Tempelurne lassen sich keine gentechnischen Untersuchungen mehr mit Aussicht auf Erfolg vornehmen; das Rätsel wird also ungelöst bleiben.


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