Heinrich Brüning

(1885 - 1970)

[Heinrich Brüning]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammen gestellt von
Nikolas Dikigoros

1885
26. November: Heinrich Brüning wird als Sohn eines Essigfabrikanten und Weinhändlers in Münster geboren.

1904
Brüning beginnt ein Studium der Geschichte, Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft; er studiert zunächst an den Universitäten zu München und Straßburg.

1911
Brüning legt das Staatsexamen für das höhere Lehramt ab.

1911-1913
Brüning absolviert ein Graduiertenstudium in England.

1915
Brüning wird an der Universität Bonn zum Dr. phil. promoviert, nachdem er eine Dissertation über die Verstaatlichung der englischen Eisenbahnen vorgelegt hat.

1915-1918
Brüning nimmt am Ersten Weltkrieg als Reserve-Offizier an der Westfront teil, zuletzt als Hauptmann und Führer einer Maschinengewehr-Scharfschützen-Kompanie (einer von General Erich Ludendorff geschaffenen Elitetruppe).
Das Ersuchen um Waffenstillstand im November 1918 lehnt Brüning vehement ab. Er spricht zwar nicht explizit von "Dolchstoß", meint aber das gleiche: Nach seiner Auffassung hätte der Kampf gegen die ebenfalls kriegsmüden Entente-Mächte erfolgreich fortgesetzt werden können, wenn man die Front auf verkürzte Stellungen, notfalls bis zur Reichsgrenze, zurück genommen und sie nach Entfernung der "Bolschewisten" und der alten, verkalkten Friedensgeneräle mit den noch verbliebenen zuverlässigen Truppen unter der Führung junger, modern denkender Offiziere verteidigt hätte, die über natürliche, vom Dienstgrad unabhängige persönliche Autorität verfügen. Politisch lernt Brüning die Kommunisten hassen (die für ihn durch den Spartakistenführer Karl Liebknecht personifiziert werden) und die Gewerkschaftler schätzen - in seiner Kompanie dienen überwiegend gut disziplinierte, gewerkschaftlich organisierte Metallarbeiter.

1919
Brüning wird in Berlin persönlicher Referent des katholischen Sozialpolitikers und preußischen Wohlfahrtsministers Adam Stegerwald (1874-1945).

1920
Brüning wird Geschäftsführer des Christlichen Deutschen Gewerkschaftsbunds (bis 1930).


1923
Brüning beteiligt sich zunächst an der Organisation des passiven Widerstands im Ruhrkampf, erkennt aber dann, daß dieser aussichtslos ist und befürwortet zu seiner Niederschlagung den Einsatz auch deutschen Militärs; die Reichswehrführung lehnt dies jedoch ab.

1924
Mai: Brüning wird als Abgeordneter der Zentrumspartei für den Wahlkreis Breslau in den Reichstag gewählt (bis 1933).

1925
Brüning übernimmt die Leitung der Bundeszeitung "Der Deutsche", die für eine Militärdiktatur und ein Kabinett unpolitischer Technokraten plädiert. Brüning ist der Meinung, daß man in die parlamentarische Verfassung "hineingestolpert" sei; die Minister seien unfähig, da "frei von Sachkenntnis", die Koalitions-Regierungen zu schwach.
Brüning setzt die Begrenzung des Lohnsteueraufkommens auf 1,2 Milliarden Reichsmark durch ("Lex Brüning").

1928
Brüning wird Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses (bis 1930).

1929
5. Dezember: Brüning wird Fraktionsvorsitzender der Zentrumspartei im Reichstag.

1930
30. März: Nach dem Bruch der von Hermann Müller geführten großen Koalition wird Brüning durch Reichspräsident Paul v. Hindenburg ohne parlamentarische Mehrheit zum Reichskanzler ernannt. Angesichts der Weltwirtschaftkrise, unter der Deutschland besonders leidet, verficht Brüning eine rigide Sparpolitik, und nimmt dafür in Erinerung an die Hyperinflation von 1923 eine Deflation in Kauf: Den Beamten und Angestellten im Öffentlichen Dienst wird das Gehalt ebenso um 20% gekürzt (was praktisch einer Rückgängigmachung der im Dezember 1927 vorgenommenen Erhöhung um 23% entspricht) wie den Millionen Arbeitslosen die Sozialhilfe. Diese Politik findet keine parlamentarische Mehrheit und muß daher mit Notverordnungen des Reichspräsidenten durchgesetzt werden. Als seine schärfsten Widersacher betrachtet Brüning die "Inflationisten" Hugenberg (DNVP), Schacht und Stresemann (DVP).
18. Juli: Nachdem der Reichstag dem Antrag der SPD-Fraktion auf Aufhebung der Notverordnung zur "Sicherung von Wirtschaft und Finanzen" zustimmt, löst Hindenburg den Reichstag auf.


14. September: Bei der Reichstagswahl gewinnt die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) 18,2% der abgegebenen Stimmen und wird mit 107 (von 577) Abgeordneten zweitstärkste Fraktion im Reichstag hinter der SPD, die Brüning weiterhin toleriert.
5. Oktober: Brüning empfängt den Führer der NSDAP, Adolf Hitler, zu einer persönlichen Aussprache. Sein Versuch, angesichts von 3 Millionen Arbeitslosen die NSDAP für einen Eintritt in die Regierung - und damit für sich selber eine parlamentarische Mehrheit - zu gewinnen, scheitert an außenpolitischen Gegensätzen: Während Brüning die Fesseln des Versailler Diktats im Zusammenspiel mit Frankreichs Außenminister Laval einvernehmlich und auf der Basis der Gleichberechtigung lösen will, betrachtet Hitler Frankreich als den Erbfeind Deutschlands und träumt - in Verkennung der Realitäten - von einem Bündnis mit England und den (damals noch überwiegend von germanischen Völkern besiedelten) USA, um Frankreich in die Knie zu zwingen. In ihren innenpolitischen Zielen - Reduzierung des Reichstags auf ein bloß beratendes Gremium, Beendigung der Parteienwirtschaft und -regierung - hätten sie dagegen durchaus auf einer Linie gelegen.
November: Brüning verfügt eine Senkung des Brotpreises um 8% (von 50 auf 46 Pf je 2,5-Pfund-Laib); im Gegenzug wird die "Ausmahlungsquote" des Getreides von 60% auf 70% herauf gesetzt (das Brot also um 10% verschlechtert; der Preis steigt binnen eines halben Jahres wieder auf 50 Pf, die Ausmahlungsquote bleibt bei 70%.)


1931
März: Das Deutsche Reich und die "Republik Österreich" vereinbaren eine Zollunion, die ihnen durch den von den Alliierten beherrschten "Völkerbund" und dessen Handlanger, das "Haager Schiedsgericht", umgehend verboten wird, was die Wirtschaftskrise in Mitteleuropa weiter verschärft.


Juli: Auf einer Rundreise nach Frankreich, England und Italien versucht Brüning, die Alliierten angesichts der verzweifelten deutschen Wirtschaftslage zum Verzicht auf weitere Reparationszahlungen zu bewegen. Er stößt überall auf eisige Ablehnung. (In Rom lebende Deutsche empfangen ihn mit Sprechchören "Nieder mit dem Judenkanzler!") Lediglich US-Präsident Hoover ist zu einer Stundung der Schulden bereit. (Das "Hoover-Moratorium" gilt freilich nur für die Rückzahlung von Privatkrediten, nicht für die laufenden Reparationsverpflichtungen aus dem Young-Plan.) Brüning versucht, die Einnahmen des Reiches durch Erhöhung der Einkommens- und Vermögenssteuer zu erhöhen, erreicht damit aber lediglich eine zunehmende Kapitalflucht. (Merke: Höhere Steuersätze führen in der Regel zu geringeren Steuereinnahmen - Laffers Gesetz :-)

[Kapitalflucht - Karikatur 1931]

Oktober: Brüning entläßt seinen Außenministers Julius Curtius (1877-1948) und übernimmt dessen Amt selber. Als der Reichstag ihm gleichwohl das Mißtrauen ausspricht, "vertagt" er ihn kurzerhand bis Februar 1932 und regiert während dieser Zeit als Diktator von Hindenburgs Gnaden.
November: Auf Anregung Brünings empfängt Hindenburg Hitler zu erneuten Verhandlungen über einen Eintritt der NSDAP in die Regierung, die jedoch wiederum erfolglos verlaufen.
Dezember: Brüning bewegt Hindenburg, "zur Eindämmung der Kapitalflucht" per Präsidial-Verordnung eine "Reichsfluchtsteuer" in Höhe von 25% einzuführen - mit mäßigem Erfolg.*

1932
Februar: Brüning nimmt persönlich an der Abrüstungskonferenz in Genf teil. Er erreicht nichts - weder eine Abrüstung der Alliierten noch deren Zustimmung zu einer Aufrüstung Deutschlands.
10. April: Hindenburg wird mit Unterstützung des Zentrums erneut zum Reichspräsidenten gewählt.
24. April: Bei den Landtagswahlen in Preußen erleidet Brünings Regierungskoalition aus Zentrum und SPD eine vernichtende Niederlage gegen NSDAP und KPD.
29. Mai: Brüning legt Hindenburg neue Notverordnungen vor, die ihn praktisch zum unumschränkten Diktator auf Dauer machen würden. Hindenburg lehnt deren Unterzeichnung ab.
30. Mai: Brüning tritt als Kanzler und Außenminister zurück - wie er später behauptet "100 m vor dem Ziel", nämlich der (von allen deutschen Parteien - einschließlich der KPD - geforderten) Revision des Versailler Diktats und des Erlasses der Reparationsschulden. Tatsächlich kann von der Erreichung dieses Ziels durch Brüning nicht die Rede sein. Er hat es sich am Ende mit allen Parteien und auch dem Reichspräsidenten persönlich verdorben; zu seiner Empörung erhält er anläßlich seines Ausscheidens aus dem Kanzleramt nur ein einziges Dankschreiben, nämlich von Admiral Raeder namens der Reichsmarine.
Brünings Nachfolger wird Franz v. Papen, der seinerseits noch im selben Jahr durch General v. Schleicher gestürzt und "politisch beerbt" wird.
Brüning versucht, bei allen Parteien zu intrigieren, u.a. Hitler und die Brüder Strasser gegen einander auszuspielen, um einen Teil der NSDAP für die Beteiligung an einer neuen Regierung (oder deren Tolerierung) zu gewinnen. Er erreicht jedoch lediglich eine innere Spaltung des Zentrums.

1933
30. Januar: Hindenburg beruft Hitler zum Kanzler einer Koalitionsregierung mit v. Papen und dem von Brüning so gehaßten Hugenberg. Brünings alter Feind Schacht wird Reichsbankpräsident und wirft das finanzpolitische Steuer um 180 Grad herum.
März: Das Zentrum stimmt dem "Ermächtigungsgesetz" zu.
Juli: Unter politischem Druck der neuen Regierung löst sich das Zentrum - wie andere Parteien auch - selber auf.

1934
Brüning, der seine Verhaftung befürchtet (und zeitlebens überzeugt ist, daß er in der "Nacht der langen Messer" ermordet worden wäre, wie General v. Schleicher), flieht über die Niederlande in die USA.

1937
Brüning wird Professor für Politische Wissenschaften an der Universität Harvard (bis 1951).

1951
Brüning wird Professor für Politische Wissenschaften an der Universität Köln (bis 1953).
Während Brüning die Gründung der Christlich-Demokratischen Union (CDU) begrüßt hatte, kritisiert er nun die Politik der Westbindung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU).

1955
Zwei Jahre nach seiner Emeritierung kehrt Brüning in die USA zurück.

1968
Brüning veröffentlicht einige seiner "Reden und Aufsätze".

1970
30. März: Heinrich Brüning stirbt in Norwich (USA). Seine Leiche wird nach Münster überführt und dort begraben.


Brünings "Memoiren 1918-1934" erscheinen posthum, da er nicht wagte, sie bei Lebzeiten zu veröffentlichen. Sie offenbaren ein derartiges Ausmaß an Inkompetenz, Korruption und Mißwirtschaft während der "Weimarer Republik", wie es in Deutschland erst wieder 60 Jahre später erreicht wurde, und das im Rückblick verständlich macht, daß die Mehrheit des deutschen (wie auch des französischen) Volkes der "Parteien-Demokratie" ablehnend gegenüber stand. Brüning outet sich als Anhänger der "Demokratur" mit Sätzen wie: "Die heutige Technik der Propaganda ist in ihren Folgen zerstörender als irgendeine militärische Waffe (...) Die Wirkungen des Rundfunks, der Zeitung und der Buchpropaganda verhindern weitschauende, konstruktive Lösungen (...) Männer, die unabhängig von Massenreaktionen ihre Verantwortung und ihren Gleichmut in den schwersten Stunden bewahren, werden immer seltener von ihren Völkern mit der höchsten Verantwortung betraut werden. Die Geschichte zeigt, daß diese Erscheinung charakteristisch ist für die endgültige Krise jeder Staatsform, in der unabhängige Kontrolle und Kritik keinen entscheidenden Einfluß mehr haben, und zwar gilt das sowohl für die Massendemokratie als auch für die Diktatur (...) Freiheit liegt in den Herzen der Menschen. Wenn sie da stirbt, nutzen Verfassung, Gesetzgebung und Gerichte nichts." Sie verursachen denn auch beim politischen Establishmentunter guten Demokraten einen entsprechenden Skandal und werden - bis auf eine Taschenbuchausgabe - nicht wieder aufgelegt.


2007
Die Universität Augsburg nimmt eine Brüning-Biografie von Peer Oliver Volkmann als Dissertation an, die später mit dem plakativen Untertitel "Nationalist ohne Heimat" veröffentlicht wird und ihren Schwerpunkt auf die von Brünings Memoiren nicht mehr erfaßten Jahre ab 1934 legt. Sie macht weniger Skandal als die letzteren, da der Verfasser die Fakten - die für "gute Demokraten" fast noch peinlicher sein müßten - geschickt zwischen fast 900 Seiten politisch korrekten Geschwafels versteckt. Er legt u.a. dar, daß Churchill schon 1934 angekündet hatte, Deutschland zu vernichten, wozu ihm der National-Sozialismus den passenden Vorwand liefern werde, daß die britische Regierung bereits 1938 zu einem Krieg gegen Deutschland um jeden Preis entschlossen war und das "Münchner Abkommen" nur mit dem Hintergedanken schloß, Zeit für die weitere Aufrüstung zu gewinnen, und daß sie bereits vor Beginn des Polenfeldzugs - der von blinden Hühnernamtlichen "Historikern" der BRDDR immer noch als "deutscher Überfall als Polen" bezeichnet wird - ein geheimes Kriegs- und Teilungsabkommen mit Polen geschlossen hatte, welches die heutige Westgrenze an Oder und Neiße vorsah. Ferner legt er dar, daß auch Roosevelt Brüning als gefährliches Hindernis ansah, da er seiner Politik, den von langer Hand vorbereiteten Weltkrieg gegen Deutschland als "Krieg gegen Hitler" darzustellen, im Wege war. (Volkmann garniert diese Fakten wohl bewußt mit sofort als lächerlich zu erkennenden Kommentaren wie dem, daß diese Vorgehensweise der angelsächsischen DiktatorenDemokraten im allgemeinen und ihre ablehnende Haltung gegenüber Brüning im besonderen völlig berechtigt gewesen sei, da auch Brüning - wie Hitler - ein böser Nationalist gewesen sei - halt bloß einer "ohne Heimat".)


*Eine verzerrte Geschichtsschreibung stellte es nachträglich so dar, als hätten die bösen Nazis diese Steuer eingeführt, um auswandernde Juden zu "schröpfen". Dabei wird gerne übersehen, daß diese Verordnung nicht nur von den braven Weimarer Demokraten eingeführt wurde, sondern auch in der braven Bonner Republik bis in die 1950er Jahre in Kraft blieb. Auswanderung - zumal vermögender Personen - war traditionell unerwünscht. "Verleitung zur Auswanderung" war schon vor Gründung des Kaiserreichs in den meisten Staaten des Deutschen Bundes strafbar und blieb es auch noch in der BRD bis in die 1980er Jahre. (Nach § 144 StGB - darauf standen immerhin bis zu 2 Jahre Gefängnis!) Wer es nach Aufhebung dieses Straftatbestands tat, wurde zwar nicht mehr eingesperrt, aber diffamiert und geächtet - Dikigoros erinnert sich noch gut an das Geschrei um die "Abwanderung" der finnischen Firma Nokia nach Rumänien, die man am liebsten enteignet hätte. Die Reichsfluchtsteuer von 1931 betraf alle Personen mit Wohnsitz im Deutschen Reich, egal welcher Rasse, Religion oder Nationalität sie waren. Daß sie in der Praxis überwiegend Juden traf, lag daran, daß nicht-jüdische Auswanderer meist weniger vermögend waren und die Steuerpflicht erst ab einem Vermögen von 200.000 Reichsmark (nach heutiger KaufschwächeKaufkraft ca. 2 Millionen Euro) griff. Bei der Auswanderung nach Palästina infolge des Ha'avara-Abkommens von 1933 zahlte die Reichsregierung sogar drauf, da sie die britische Einwanderungssteuer von 1.000 Pfund (20.000 Reichsmark) pro Kopf - die in harten Devisen oder Gold bezahlt werden mußte - bereit stellte, und zwar auch für vermögenslose Juden. (Für letzetere reichten die Einnahmen aus der bei vermögenden Juden eingezogenen Reichsfluchtsteuer insgesamt keineswegs aus.) Den Rest - immerhin 75% ihres Vermögens - durften die Auswanderer mitnehmen. In der Praxis wurde dieser Rest jedoch 1939 von den Briten als "Feindvermögen" beschlagnahmt, entschädigungs enteignet und nie wieder zurück gegeben. Später mußten diese Vermögen zwar im Rahmen der so genannten "Wiedergutmachung" zu 100% aus Steuergeldern der BRD-Untertanen "ersetzt" werden; aber die betroffenen Auswanderer (von denen die meisten ohnehin in britischen Konzentrationslagern umgekommen waren - auch noch nach Kriegsende, z.B. auf Zypern) sahen davon keinen Pfennig; vielmehr floß das Geld durchweg an kriminelle Vereinigungen, die sich als Vertreter der Opfer bzw. deren Nachkommen aufspielten, oder an den Staat Israel.


weiter zu Ernst Thälmann

zurück zu Politiker des 20. Jahrhunderts

heim zu Von der Wiege bis zur Bahre