GUSTAV  STRESEMANN

(10.5.1878 - 3.10.1929)

[Gustav Stresemann]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros

1878
10. Mai: Gustav Stresemann wird als eines von fünf Kindern des Bierhändlers Ernst Stresemann in Berlin geboren.

1897-1900
Nach dem Abitur am Andreas-Realgymnasium Berlin studiert Stresemann Geschichte, Literaturwissenschaften und Nationalökonomie (Volkswirtschaftslehre) in Berlin und Leipzig.


1900
Stresemann wird zum Dr. rer. pol. promoviert, nachdem er eine Dissertation über den Niedergang des selbständigen Mittelstands am Beispiel der Berliner Bierindustrie vorgelegt hat.

1902
Stresemann wird Justitiar des Verbands sächsischer Industrieller (bis 1908).

1903
Stresemann heiratet Käte Kleefeld, Tochter eines jüdischen Industriellen. (Aus der Ehe gehen zwei Söhne hervor.)


Stresemann wird Mitglied der Nationalliberalen Partei [NLP].

1906
Stresemann wird in den Stadtrat von Dresden gewählt (bis 1912).

1907-1912
Stresemann wird Mitglied des Reichstags (bis 1912), dessen jüngster Abgeordneter er ist. Wegen seines Engagements für eine Ausweitung der Sozialgesetzgebung wird er in seiner Partei zum Außenseiter und zunächst nicht wieder aufgestellt.

1914-1918
Stresemann wird erneut Reichstagsabgeordneter. Im Ersten Weltkrieg spricht er sich als Mitglied des "Deutschen Kolonialvereins" für Annexionen aus.

1917
Stresemann übernimmt den Vorsitz der NLP von Ernst Bassermann.

1918
November: Stresemann zählt zu den Gründern der (national-liberalen) Deutschen Volkspartei (DVP) und wird bald ihr führenden Politiker.

1919
28. Juni. Stresemann kommentiert das Diktat von Versailles mit den Worten: "Dieser Vertrag entehrt nicht den Besiegten, sondern den Sieger."



Juli: Stresemann wird Mitglied der Verfassunggebenden Nationalversammlung.


1920
Juni: Bei den ersten Wahlen der "Weimarer Republik" zum Reichstag kann die DVP die Zahl ihrer Abgeordneten - zu denen auch Stresemann zählt - gegenüber denen zur Nationalversammlung mehr als verdreifachen. Sie wird viertstärkste politische Kraft und Regierungspartei in einer Minderheits-Koalition mit dem (katholischen) Zentrum und der (links-liberalen) DDP.

1923
August: Stresemann wird Reichskanzler einer Großen Koalition aus DVP, Zentrum, DDP und SPD. Er ordnet die Einstellung des passiven Widerstands gegen die französische Ruhrbesetzung an und erreicht das Ende der Inflation durch die Einrichtung der Deutschen Rentenbank und die Währungsreform am 15. November.
Danach tritt er als Reichskanzler zurück, nachdem die SPD seiner Regierung wegen Differenzen über die Vorgehensweise gegen die Unruhen in Sachsen, Thüringen und Bayern das Vertrauen entzogen hat. In Stresemanns Augen ging die größte Gefahr für das Deutsche Reich nicht von jenen links- und rechtsextremen Umsturzversuchen aus, sondern von der Sezessions-Bewegung des Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer, der einen separaten westdeutschen Staat unter französischem Protektorat nach Muster des "Rheinbunds" von Napoleons Gnaden gründen wollte.

[Medaille auf den 'Rheinbund']

1923-1929
Stresemann gehört den drei folgenden Kabinetten als Außenminister an. Durch Annäherung an Frankreich sucht er die außenpolitische Isolation Deutschlands aufzubrechen. Die damit verbundene Aufgabe persönlicher Überzeugungen rechtfertigt er öffentlich mit dem Nietzsche-Zitat: "Nur wer sich wandelt bleibt mit mir verwandt." Privat gibt er jedoch seiner Enttäuschung über das Verhalten seiner französischen "Verhandlungspartner" mit dem Satz Ausdruck: "Wenn sie mir nur eine Konzession gemacht hätten, hätte ich mein Volk gewinnen können. Aber sie gaben nichts... Das ist meine Tragödie und ihr Verbrechen."

1924
April: Der von Stresemann ausgehandelte und nach dem US-Außenminister benannte Dawes-Plan wird unterzeichnet. Darin werden die Reparationszahlungen des durch Ruhrbesetzung und Hyperinflation ruinierten Deutschen Reiches neu festgesetzt.

1925
April: Stresemann spricht sich im Wahlkampf um das Amt des Reichspräsidenten gegen den pensionierten Feldmarschall Paul v. Hindenburg aus, der gleichwohl gewählt wird.
Oktober: Auf einer von Stresemann angeregten Konferenz in Locarno (Schweiz) verzichtet Deutschland gegenüber Frankreich und Belgien auf eine gewaltsame Veränderung seiner Westgrenze (Elsaß-Lothringen, Eupen-Malmedy).
(Pro forma verzichten auch Frankreich und Belgien auf weitere Annexionen über die bereits erfolgten hinaus; an der Besatzung des Rheinlands und des Saarlands durch französische und belgische Truppen ändert sich jedoch vorerst nichts; es handelt sich also um eine einseitige Anerkennung des status quo durch das Deutsche Reich.)

[Stresemann mit Chamberlain und Briand in Locarno]
Stresemann mit Chamberlain und Briand. Das Foto widerlegt das Gerücht, Stresemann
habe bei der Locarno-Konferenz rund um die Uhr das später nach ihm benannte Clowns-
kostüm (schwarz-silbern gestreifte Hosen, schmutzig-weiße Weste und kohlefarbener,
nochmals gecutteter Cutaway) getragen und damit eine langjährige "Mode" begründet.

1926
März: Stresemann verhandelt in Genf ergebnislos über einen Beitritt Deutschlands zum Völkerbund.

[Stresemann in Genf]

(Die Verhandlungen scheitern daran, daß Stresemann auf einen ständigen Sitz Deutschlands im Völkerbundsrat besteht. Spanien, Brasilien und China fordern daraufhin ebenfalls einen ständigen Sitz; da ihnen dieser nicht zugestanden wird, legen sie ihr Veto ein - das damals noch jedes Mitglied hat, auch ohne ständigen Sitz.)
April: Als Reaktion schließt Stresemann mit der Sowjet-Union - die kein Völkerbunds-Mitglied ist und eine Art "Rückversicherungs-Vertrag" gegen Locarno wünscht - einen Freundschafts- und Neutralitätspakt. [Ein deutsch-sowjetisches Handelsabkommen wurde bereits im Vorjahr geschlossen.]
September: Stresemann erreicht nach erneuten Verhandlungen die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund mit einem ständigen Sitz im Völkerbundsrat.*
(Brasilien und Spanien kündigen daraufhin ihre Mitgliedschaft; China und Polen erhalten als "Kompromiß" einen nicht-ständigen Sitz im Völkerbundrat, der augenzwinkernd regelmäßig verlängert wird.)
Dezember: Stresemann wird - wie auch dem französischen Außenminister Aristide Briand - der Friedensnobelpreis verliehen.

[deutsche Friedensnobelpreisträger]

1928
27. August: Stresemann, als erster deutscher Außenminister seit Unterzeichnung des Versailler Vertrags wieder in Frankreich, unterzeichnet für das Deutsche Reich den Briand-Kellogg-Pakt, dem sich insgesamt 63 Staaten anschließen; über die Ernsthaftigkeit dieser später als "Ächtung des Krieges" bezeichneten Absichtserklärung macht sich jedoch weder Stresemann noch sonst irgendjemand ernsthafte Illusionen.**

1929
3. Oktober: Gustav Stresemann stirbt in Berlin. Zur Beerdigung erscheint u.a. Briand.


1930
30. Juni: Die französischen Besatzungstruppen räumen das Rheinland. Stresemanns Anhänger halten das für sein Verdienst.


1931
In Mainz wird ein Ehrenmal für Stresemann eingeweiht, das im Krieg von alliierten Bombern zerstört wird.


1978
In der BRD wird der 100. Geburtstag Stresemanns - der die Gnade des frühen Todes hatte - von denen, die die Gnade der späten Geburt hatten, groß gefeiert. Er ist der einzige nicht-sozialistische Politiker der Weimarer Republik, dem diese zweifelhafte Ehre widerfährt.***

[5-DM-Gedenkmünze auf Stresemanns 100. Geburtstag]

1979
Zum 50. Todestag erscheint die umfangreiche Biografie "Mein Vater Gustav Stresemann" von Wolfgang Stresemann.

2004
Zum 75. Todestag erscheint die ebenso umfangreiche Stresemann-Biografie von Jonathan Wright mit dem Untertitel "Weimar's Greatest Statesman [Weimars größter Staatsmann]".

[Buch]


*Man vergleiche diese Hartnäckigkeit Stresemanns mit dem Verhalten seiner Epigonen, die 1973 die Aufnahme der BRD und der DDR in die UNO aushandelten: Keiner der beiden deutschen Staaten erhielt auch nur einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat; aber beide durften ab sofort einen Mitgliedsbeitrag zahlen, der zusammen höher war als der eines jeden anderen Mitglieds, einschließlich der USA und Japans, des anderen Kriegsverlierers. Freilich sind der Völkerbund und die UNO nicht ohne weiteres gleich zu setzen: Der Völkerbund war lediglich ein Debattierclub, dessen Vollversammlung sich nur einmal im Jahr traf, um irgendwelche Resolutionen zu verabschieden, die niemand ernst nahm, und dessen Rat ebenfalls kaum etwas anderes tat. Er war also nicht nur unnütz, sondern auch unschädlich, d.h. er beseitigte zwar keine einzige echte Krise auf der Welt, verursachte aber auch keine. Dagegen zettelte die UNO unzählige Kriege an und verhinderte die Beendigung unzähliger anderer, indem sie sich - zumeist auf der falschen Seite - einmischte.

**Dikigoros schreibt darüber an anderer Stelle mehr (dort Fußnote 2).

***Dies erregt die Verwunderung rechter Kreise - die Stresemann ebenfalls für sich in Anspruch nehmen. Nikolaus v. Preradovich stellt in seinem Nachruf (erschienen im "26. Deutschen Soldatenjahrbuch" - obwohl Stresemann ungedient war :-) besonders heraus, daß Stresemann schlagender Burschenschaftler war (bei der Neogermania in Berlin und bei der Suevia in Leipzig; seine häßlichen Gesichtsnarben - "Schmisse" - hatte er von diversen Mensuren) und sich nachdrücklich für die Wiedervereinigung der "Republik Österreich" - einschließlich Südtirols - mit dem Deutschen Reich ausgesprochen hatte. Aber 1978 war es durchaus noch nicht verfänglich, Burschenschaftler zu sein. (Dikigoros war selber Mitglied einer fakultativ schlagenden Verbindung - freilich ohne sich zu schlagen. Nicht aus Feigheit, sondern weil er es als unsportlich und falsch verstandene Mutprobe empfand und empfindet, einander auf dem Paukboden abwechselnd Säbel ins Gesicht zu hauen, ohne ausweichen zu dürfen. Fechten sollte - wie Boxen - die edle Kunst der Selbstverteidigung sein - wie schon das englische Wort "to fence" ausdrückt -, nicht die der Selbstzerfleischung.) Von Stresemanns Eintreten für den "Anschluß" der RÖ dürften die bundesdeutschen Politiker - geschichtlich halb- oder ungebildet wie sie waren und sind - nichts gewußt haben; und wenn, dann wäre es in ihren Augen wohl unerheblich gewesen, da es keine Konsequenzen hatte. Hätten Stresemanns diesbezügliche Bemühungen dagegen Erfolg gehabt, wäre er heute womöglich als Vorläufer Hitlers und des National-Sozialismus geächtet. (Im übrigen sollte man das Abhalten einer Feierstunde und das Auflegen einer Gedenkmünze nicht überbewerten: Unter der Regierung des CDU-Politikers Kohl wurde 1983 sogar eine Gedenkmünze auf den 100. Todestag von Karl Marx, dem geistigen Großvater der SPD, heraus gegeben :-)


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