Amānållāh Ķhān

seit 1919: Ģāzī Amānållāh Ķhān

(1892 - 1960)

[Amanallah]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros*

1892
01. Juni: Amānållāh wird als dritter Sohn von Ħabibållāh Ķhān - dem ältesten Sohn des Ämīrs** von Kābul - und dessen Hauptfrau*** Sarwar Sultānā in Paģmān geboren.
Wie weit sich das Herrschaftsgebiet des "Ämīrs" - das man damals "Kābulistān" nannte - erstreckte ist unklar. Einen Staat "Afģānistān" gab es ebenso wenig wie ein afģānisches Volk. [Der - angeblich von den Persern erfundene - Begriff taucht schriftlich erstmals im 19. Jahrhundert auf, als Staatsname aber erst 1919.] Im Gebiet zwischen dem Hindukusch, der Wüste von Bälutschistān und dem Industal lebten (und leben :-) zahlreiche Völker, Völkchen und Stämme, die ca. 200 Sprachen und Dialekte sprechen und zumeist nichts mit einander zu tun haben wollen, vor allem Pathānen - auch "Paschtunen" genannt -, Tadschiken - ein iranisches Volk -, Usbeken - ein Turkvolk - und Hazārā - ein mongolisches Volk, das zu allem Überfluß shi'itisch ist, während alle anderen sunnitisch sind. [Auch die Pathānen gelten als "iranisches Volk"; aber das trägt nicht viel zum Zusammenhalt bei, denn sie sprechen Paschtó - einen alt-persischen Dialekt -, während die Tadschiken Dari - einen neu-persischen Dialekt - sprechen; sie können einander kaum verstehen.] Die nachfolgende Karte ist stark vereinfachend.


Auch der Status jenes Gebiets war alles andere als klar: Nach einem Krieg in den Jahren 1878-80 hatten die Briten Amānållāhs Großvater 'Abd-äl-Raħmān Ķhān zwar zähneknirschend als Ämīr anerkannt; sie betrachteten ihn jedoch als ihren Vasallen und sein Herrschaftsgebiet als britisches Protektorat, da er sich im Friedensvertrag verpflichtet hatte, ihnen "seine" Außenpolitik zu überlassen. 'Abd-äl-Raħmān sah das genau umgekehrt, d.h. sich selber als Sieger, da die Briten - die Kābul ausnahmslos zu verlassen hatten; sie durften nicht mal einen Botschafter zurück lassen - sich im Friedensvertrag verpflichtet hatten, ihm Waffen zur Sicherung seiner Herrschaft zu liefern und jährlich stattliche Subsidien - die er als Tribut betrachtete - zu zahlen. Auf "Außenpolitik" verzichtete er leichten Herzens - die Stämme Afģānistāns hatten nie diesbezügliche Ambitionen.


1901
Nach dem Tode 'Abd-äl-Raħmāns wird Amānållāhs Vater Ħabibållāh neuer Ämīr.

1907
Im Vertrag von Sankt Peterburg teilen Großbritannien und Rußland Asien in Interessenzonen auf. (Beginn der englisch-russischen "Entente", die zum Ersten Weltkrieg führt.) Sie kommen überein, "Afģānistān" als "Pufferzone" zwischen beiden Reichen bestehen zu lassen.

1913
August: Amānållāh heiratet Tsorayā (1899-1968), die Tochter des einflußreichen Zeitungsverlegers Maħmūd Tarzī.****
Ein "einflußreicher" Zeitungsverleger in einem Land, dessen Bevölkerung mehrheitlich aus Analfabeten bestand und besteht? Ja, aber in Kābul gab es halt doch eine Mehrheit, die lesen und schreiben konnte. (Zumindest unter den Männern, und die konnten ihren Frauen ja vorlesen :-) Amānållāh sollte seinen Schwiegervater - der erst 1901 aus dem Exil zurück gekehrt war - später zum Außenminister machen.
(Aus der Ehe gehen binnen 13 Jahren sechs Töchter und vier Söhne - von denen zwei im Kleinkindalter an Lungenentzündung sterben - hervor.)

1914-1918
Im Ersten Weltkrieg bleibt Ħabibållāh neutral.
(Dafür hatten die Briten ihm - wie auch ihren indischen Vasallen - volle Unabhängigkeit gemäß den berühmnten "14 Punkten" des US-Präsidenten Wilson in Aussicht gestellt.)
Dies geschah gegen den Willen der meisten Stammesführer, die gerne auf Seiten des Osmanischen Reichs und der Mittelmächte - die 1915 eine Militär-Mission nach Kābul schickten - in den Krieg gegen Großbritannien und dessen Allierte eingetreten wären: Der Westrand von "British India" - vor allem die "North West Frontier" und "Waziristān", deren Abtretung bis zur "Durand-Linie" die Briten 1893 erzwungen hatten - wurde von Pathānen bewohnt, mit denen sie sich solidarisch fühlten. In einer britischen Anerkennung des Ämīrs von Kābul als "unabhängiger Herrscher" über sie alle sahen sie dagegen weniger Vor- als Nachteile.

1919
Februar: Ħabibållāh wird ermordet.
Der Täter ist bekannt, nicht aber der oder die Auftraggeber. Ein Motiv hatten alle, die für seine Nachfolge in Frage kamen, also insbesondere die lieben Verwandten.
März/April: Amānållāh setzt sich militärisch gegen seinen Onkel und seine Brüder durch. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei sein Vetter Nādir Ķhān, den die Briten bereits 1914 zum General befördert und zum Oberbefehlshaber ihrer "Westfront"-Truppen gemacht hatten und den Amānållāh später zu seinem "Kriegsminister" ernennt.
13. April: Amānållāh läßt sich von ihm wohl gesonnenen Stammesführern zum neuen Ämīr wählen.
Seine erste Amtshandlung ist die Erklärung der vollständigen Unabhängigkeit des Staates "Afģānistān" - der nun erstmals so genannt wird - von Großbritannien.
Mai: Als die Briten sich weigern, diese anzuerkennen, läßt Amānållāh die z.T. nur schwach bemannten britischen Garnisonen im Grenzgebiet von seinen Anhängern besetzen.
Die Briten reagieren mit Terrorbombardements ihrer Luftwaffe - auch unter Einsatz von Giftgas, wie schon im Irak - auf die Zivilbevölkerung von Kābul und Dschalālābād.
August: Nachdem die Kämpfe - mit unterschiedlichem Ausgang - mehr oder weniger eingeschlafen sind, wird der später so genannte "3. anglo-afghanische Krieg" im Vertrag von Rawalpindi beendet.
Auch über das Resultat dieses Krieges herrscht Uneinigkeit: Afģānische Historiker betonen, daß die Briten die vollständige Unabhängigkeit ihres Staates anerkennen, ihm insbesondere seine außenpolitische Souveränität zurück geben mußten. Britische Historiker verweisen darauf, daß sie dafür keine Subsidien mehr zu zahlen brauchten und daß die strategische Bedeutung des Hindikusch-Gebietes durch den Zusammenbruch des Tsarenreichs ohnehin stark abgenommen hatte.
Beide Seiten operieren mit Halbwahrheiten: Amānållāh mußte die Durand-Linie anerkennen - was die Grenzregion zum permanenten Zankapfel machte und in den nächsten 100 Jahren immer wieder die übelsten Folgen hatte. Die Briten gaben die außenpolitische Kontrolle nicht auf, weil sie die Sowjet-Union etwa nicht mehr zu fürchten gehabt hätten - vielmehr führten sie ja gerade gegen dieselbe Krieg, indem sie die "weißrussischen", d.h. tsaristisch gesonnenen Generale unterstützten, die den Kommunisten Widerstand leisteten.
Tatsächlich konnten sich die Briten einen längeren Krieg nicht leisten, da es gleichzeitig auch in Indien zu Aufständen gekommen war. Eigene Truppen hatten sie nach vier Jahren Weltkrieg praktisch nicht mehr vor Ort - lediglich ein paar [Reserve-]Offiziere -; die Mannschaften bestanden durchweg aus Indern, die in Scharen zu Amānållāhs Truppen desertierten.
Wie dem auch sei, Amānållāh nahm danach den Beinamen/Ehrentitel "Ģāzī [Besieger der Ungläubigen]" an. Die Briten wiederum überschütteten die Angehörigen aller Einheiten, die auf dem Papier am Krieg teilgenommen hatten, mit Orden - auch wenn sie in Wahrheit garnicht dabei gewesen waren.


1921
Mai: Amānållāh schließt einen Freundschaftsvertrag mit der Sowjet-Union. (Die "Freundschaftsbezeugungen" der SU bestehen hauptsächlich in Waffenlieferungen - auch Kampfflugzeugen -, sehr zum Ärger der Briten.)
Es wurde behauptet, daß auch Amānållāh enttäuscht und verärgert gewesen sei, weil die Sowjets nicht darüberhinaus den muslimischen Kolonien des einstigen Tsarenreichs an seinen Grenzen die Unabhängigkeit gewährten, sondern sie in sowjetische Kolonien "autonome Sowjet-Republiken" umwandelten. Das kann Dikigoros kaum glauben - so dumm konnte Amānållāh doch nicht sein: Wären Turkmenistān, Usbekistān und Tadschikistān damals tatsächlich unabhängig geworden, dann wäre das gerade erst gegründete "Afģānistān" mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gleich wieder auseinander gefallen, denn die Bewohner der Grenzregionen hätten sich "ihren" Nationalstaaten anschließen wollen - und nicht nur dort: Selbst in der Hauptstadt Kābul waren die Pathāen in der Minderheit. Amānållāh konnte also von Glück sagen, daß die Sowjets an den alten Tsaren-Kolonien in Asien festhielten. Außerdem führten sie dort ähnliche Reformen durch, wie Amānållāh sie plante; sie hielten ihm also den Rücken frei von etwaigen Einmischungen islamistischer Sympathisanten im Ausland.
Amānållāh beginnt - ähnlich wie Kemāl Paşa in der Türkei - mit Reformen des Rechts- und Bildungswesens nach westlichen Vorbildern.
Man hat diese Reformen im Rückblick als großartige Meilensteine gefeiert - allerdings vor allem im Westen. Vor Ort kamen sie dagegen weniger gut an: Die "Verfassung" und das "Wahlrecht" nahmen sich zwar auf dem Papier gut aus, hatten aber keinen größeren praktischen Wert. Dagegen war die Verschärfung des Strafrechts und des Steuerrechts für jeden Untertanen unangenehm spürbar. Die Einrichtung staatlicher Schulen sahen vor allem die Schüler (Tāliben) der Koranschulen mit Unbehagen, gleich gar deren Öffnung für Mädchen. (Die Einführung des Wahlrechts für Frauen hatte man gerade noch abwenden können :-) Die Lockerung der strengen islamischen Kleiderordnung***** hielt die Mehrheit - nicht nur der Männer, sondern auch und vor allem der Frauen - schlicht für unmoralisch; die meisten machten davon keinen Gebrauch: Selbst im "fortschrittlichen" Kābul wäre - anders als in Istanbul oder Ankara - kein Mann mit Zylinderhut auf die Straße gegangen und keine Frau mit offenem Haar. Und anders als sein türkischer Kollege machte Amānållāh gar nicht erst den Versuch, die arabische Schrift abzuschaffen, die christliche Zeitrechnung einzuführen oder die islamischen Stiftungen zu enteignen.

1924-1925
Die gegen jene Reformen gerichteten Widerstände - vor allem den "Khost"-Aufstand - bricht Amānållāh mit militärischer Gewalt. Seinen Vetter Nādir - der sich einer Heeresreform widersetzt hatte - setzt er als Kriegsminister ab und verbannt lobt ihn als Botschafter nach Paris weg.

1926
April: Amānållāh nimmt den Titel "Šāh" an - was er im Ausland mit "King" ["König"] übersetzen läßt.
(Rizā Ķhān, der Premierminister des benachbarten Īrān, nimmt daraufhin den Titel "Šāh-in-šāh [König der Könige, d.h. Kaiser]" an :-)

1927
Dezember: Amānållāh kommt auf die Schnapsidee, zusammen mit seiner Frau eine halbjährige Reise nach Europa zu unternehmen - was kann in seiner Abwesenheit zuhause schon groß passieren?!?

[Wie kann man nur so blöd sein?]

1928
Januar-Juni: Amānållāh besucht u.a. Kairo, Rom, Paris, Brüssel, London, Berlin, Warschau, Moskau, Konstantinopel und Ankara.
Angeblich dient die Reise der Information über die neuesten technischen Errungenschaften des Westens - im Hinblick auf die Modernierung Afģānistāns -, insbesondere der Infrastruktur unter besonderer Berücksichtigung der Verkehrsmittel.
Tatsächlich ist es mehr eine Goodwill-tour, um sich bei Staats- und Regierungschefs bekannt zu machen: Amānållāh wird vom ägyptischen König, vom Papst, vom italienischen König, vom Duce, vom französischen Präsidenten, vom belgischen König, vom englischen König, vom deutschen Reichspräsidenten, vom polnischen Ministerpräsidenten und vom türkischen Präsidenten empfangen.


(Was fällt auf? Während Amānållāh - eigentlich ein Zivilunke - ständig in Uniform herum läuft und fährt, tragen seine Gastgeber - auch wenn sie gestandene Militärs sind - beinahe demonstrativ Zivilkleidung.)

Wichtigste "Mitbringsel" von der Reise sind - neben zwei Ehrendoktorhüten der Universität Oxford und der TH Berlin sowie einer Mütze als britischer Ehren-Pfadfinder - zwei Dutzend deutscher Nähmaschinen, drei Junkers-Flugzeuge und ein knappes Dutzend britischer Luxus-Limousinen der Marke "Rolls Royce".******
Juli: Bei seiner Rückkehr nach Afģānistān muß Amānållāh feststellen, daß die Flüsterpropaganda seiner Gegner einige üble Gerüchte über ihn verbreitet hat, u.a. daß er heimlich zum indischen Bahāi oder zum katholischen Christentum konvertiert sei.
Das Faß zum Überlaufen bringt aber ein Foto der "halbnackten" Königin Tsorayā (von dem Amānållāh später behauptet, der britische Geheimdienst habe es bewußt in Umlauf gebracht, um ihn zu diskreditieren).


Fast gleichzeitig brechen Aufstände gegen Amānållāh in Laģmān, Nangarhar und Waziristān aus. Während er diese bekämpft, schickt sich der Räuberhauptmann Ħabibållāh Kalakānī an, das von Truppen entblößte Kābul mit seiner Bande zu erobern.


Man hat viel in seine Person hinein geheimnist, ihn zum "Führer der Saqqawisten-Bewegung" hoch stilisiert, zum ehemaligen Offizier, der erfolgreich gegen die Briten und gegen die Khost gekämpft habe, aber dann desertiert sei. Für all das gibt es keine belastbaren Beweise - schon gar nicht seine angebliche Autobiografie, die Jahrzehnte nach seinem Tode in London auftauchte. Hinter ihm stand kein Clan oder Stamm - "Kalakānī" bezeichnet einfach nur jemanden aus dem Dorf Kalakān -, und "Saqqawi" ist jemand aus der Kaste der Wasserträger. [Entgegen weit verbreiteter Ansicht haben in Südasien nicht nur die Hindus, sondern auch die Muslime ein Kastensystem, genauer gesagt zwei - eines den Warnen und eines den Jatis entsprechend.] Daß diese kleine Gruppe die Macht ergreifen konnte, lag an einem schlichten Faktor, der bis heute immer wieder übersehen wird: Kābul hatte und hat eine tadschikische Bevölkerungsmehrheit; und Kalakānī war Tadschike.

1929
14. Januar: Amānållāh dankt zugunsten seines Bruders Inayatållāh ab und flieht ins Exil nach Britisch-Indien.
16. Januar: Sein Bruder dankt seinerseits ab und überläßt Kalakānī Kābul kampflos.
März: Amānållāh sammelt Truppen, um seinen Thron zurück zu erobern, und marschiert auf Kābul.


Mai: Nachdem dieser Versuch gescheitert ist, geht Amānållāh erneut ins Exil nach Britisch-Indien.
[Zwischenfrage: Woran scheiterte Kalakānī? Antwort: Daran, daß er sich wie ein guter Tadschike verhielt: Er unterstützte den Versuch des in Kābul im Exil lebenden Ämīrs von Buchara, die "Tadschikische A.S.S.R." von der SU zurück zu erobern. Daraufhin stellten sich Briten und Sowjets in seltener Einmütigkeit gegen ihn und unterstützten den Aufstand des zurück gekehrten Nādir Ķhān und seiner Pathānen. Dagegen hatte die kleine Räuberbande der Wasserträger keine Chance.]
Oktober: Nādir Ķhān erobert Kābul, läßt es ausplündern und Kalakānī und seine Unterführer hinrichten.


Anschließend erklärt er sich selber zum Šāh.
Daraufhin gibt Amānållāh endgültig auf und verläßt Asien für immer. Mussolini gewährt ihm und Tsorayā Asyl in Italien.
Nādir Šāh macht die meisten Reformen seines Vetters rückgängig (mit Ausnahme der Einrichtung staatlicher Schulen) und setzt lieber auf den Ausbau seiner Streitkräfte. Viel hilft ihm das nicht: Er wird

1933
von einem shi'itischen Hazārā ermordet (anläßlich der Einweihung einer staatlichen Schule :-).
Sein Sohn Moħammad Zāhir (1914-2007) wird sein Nachfolger als Šāh. (Er ist freilich trotz seiner langen Regierungszeit - immerhin 40 Jahre, davon die ersten 20 unter Regentschaft seiner Onkeln - nie mehr als eine Marionette der Stammesführer.)

1939-45
Im Zweiten Weltkrieg bleibt Afģānistān wiederum neutral. Im Gegensatz zum - ebenfalls neutralen - Iran wird es auch nicht von angelsächsischen und sowjetischen Truppen überfallen und besetzt.
Allerdings werden Behauptungen laut, daß Amānållāh beabsichtige, seinen Thron mit Hilfe der Achsenmächte zurück zu gewinnen. Als sich die Kriegsniederlage der letzteren abzeichnet, verlegt er daher sein Exil höchstvorsorglich von Italien in die Schweiz.
(Ein müßiges Unterfangen. Die Schweiz lieferte bei Kriegsende alle dorthin geflüchteten Angehörigen der Achsenmächte nebst deren Vermögen an die Alliierten aus, nachdem Truman ihr im Weigerungsfall mit Krieg gedroht hatte. Schweden tat ein gleiches - auch ohne Kriegsdrohung. Lediglich Eire - unter Valera -, Spanien - unter Franco - und Portugal - unter Salazar - sowie einige südamerikanische Staaten ließen sich nicht erpressen. Amānållāh war indes für die Alliierten uninteressant; sie ließen ihn unbehelligt. Auch seiner Familie - die in Italien zurück geblieben war - geschah nichts.)

1960
25. April: Amānållā stirbt in Zürich.
Er ist zwar als erster der drei großen westasiatischen Reformer der 1920er Jahre gescheitert, hat jedoch am längsten fysisch überlebt.
(Seine Leiche wird später nach Dschalālābād überführt, wo ihm ein Mausoleum errichtet wird.)

* * * * *

1964
Januar: Afģānistān erhält eine neue Verfassung; es wird konstitutionelle Monarchie.

1973
Juli: Während Zāhir Šāh auf einer Auslandsreise weilt (in Italien), wird er durch einen Putsch seines Vetters Moħammad Daūd Ķhān gestürzt.
August: Daūd schafft die Monarchie ab, erklärt Afģānistān zur "Republik" und sich selber zu deren "Präsident".

1978
April: Kommunistische Militärs ergreifen die Macht. Afģānistān wird Volksrepublik.
Einige von Amānållāhs Reformen werden wieder in Kraft gesetzt; dagegen erheben sich erneut die meisten muslimischen Stammesführer.

1979
Dezember: Truppen der Sowjet-Union, deren Führer befürchten, daß sich das befreundete Regime in Kābul ohne ihre Unterstützung nicht wird halten können, marschieren in Afģānistān ein.
Wider Erwarten wird dies kein Spaziergang, zumal die muslimischen Widerstandskämpfer ("Mujahiddīn") von den USA mit Geld, Waffen und Know-how massiv unterstützt werden.

1989
Februar: Die sowjetischen Truppen ziehen aus Afģānistān ab. Der Krieg geht weiter.

1992
April: Anti-kommunistische Truppen erobern Kābul und errichten einen "Islamischen Staat". Die Reformen werden erneut rückgängig gemacht.
An Amānållāhs 100. Geburtstag ist sein Lebenswerk endgültig zerstört.
(Dikigoros erspart sich - und seinen Lesern - die Fortsetzung jener traurigen Geschichte, da sich im Ergebnis nichts geändert hat, allen Illusionen zum Trotz, denen man sich in den folgenden drei Jahrzehnten hingeben sollte.)

[Sharbat Gula 1984/2002]
Der schöne Schein der Illusion und
die häßliche Fratze der Realität
Jahrzehnte später.*******


*Warum bildet Dikigoros entgegen seiner sonstigen Praxis keine Flagge, sondern "nur" eine Münze ab? Weil es unter Amānållāh insgesamt 6 verschiedene Flaggen gab. Die meisten trugen das gleiche Motiv wie die Münze; die Farben waren anfangs nur schwarz und weiß, später schwarz-rot-grün, erst waagerecht, dann senkrecht angeordnet.

**Ein schwammiger Begriff, der aus dem Arabischen kommt und dort einfach "Befehlshaber" oder "Machthaber" bedeutet. (Das Wort "A[d]miral" hat die selbe Wurzel.) Im Deutschen wird es meist fälschlich "Emir" geschrieben und "Éhmir" ausgesprochen. (Spätestens seit einem Schlager der 1960er Jahre von Billy Mo: "Da sprach der Scheich zum Emir: Erst zahl'n wir, und dann geh'n wir..." - es muß sich ja reimen :-) Richtigerweise liegt die Betonung auf dem langen "i". Das unbetonte "a" wird ähnlich wie ein deutsches "schwa" gesprochen; Dikigoros transkribiert es daher als - kurzes - "ä". (Er könnte/sollte/müßte also eigentlich auch "Ämānållāh" statt "Amānållāh" schreiben; aber er will seine Leser nicht noch mehr verwirren mit seiner zwar korrekten, aber in Ländern mit lateinischem Alfabet leider völlig unüblichen Schreibweise :-)
Mag sein, daß heute in gewissen Scheichtümern des Nahen Ostens alle Söhne eines Herrschers so genannt werden - also im Sinne von "Prinzen" -; aber am Hindukusch war das im 19. Jahrhundert mit Sicherheit nicht so. Dort wurde der Ämīr von den Stammesführern auf einer eigens dazu einberufenen Versammlung ("Darbār") gewählt.

***Nichts anderes bedeutet "Begam". Manche Ignoranten schreiben das "Begum" und halten es für ihren dritten Namen.
Mag sein, daß es heute in gewissen Kreisen Mode ist, Mädchen so zu nennen; aber im 19. Jahrhundert war das mit Sicherheit noch nicht so. Ob der Begriff früher auf Hauptfrauen von Herrschern, hohen Würdenträgern o.ä. beschränkt war, kann dahin stehen, denn auf ihren Mann traf das ja unzweifhaft zu.

****Auf einer wenig Vertrauen erweckenden Webseite des British Museum wird behauptet, daß Amānållāh bereits 1910 eine gewisse "Shahzaha Hanim" geheiratet habe, die aber schon 1912 verstorben sei. 1929 habe er zudem eine gewisse "Aliah Begum" geheiratet. Außer der deutschsprachigen Wikipedia ist dem jedoch, soweit ersichtlich, niemand gefolgt. Auf letzterer wird überdies behauptet, daß aus der 1. Ehe mit S.H. ein Sohn hervor gegangen sei; auch über diesen ist anderweitig nichts bekannt.

*****Kleine islamische Kleiderkunde unter besonderer Berücksichtigung der Situation in Afģānistān - leider notwendig, da im www so viel Oberflächliches, Ungenaues und Unwahres herum schwirrt:

Frauenrechtler/Innen u.a. Kritiker/Innen im Westen zum Trotz erlaubt sich Dikigoros - dessen grundsätzliche Gegnerschaft zum Islam über jeden Zweifel erhaben sein dürfte - ausnahmsweise einmal, den advocatus diaboli zu spielen: Ein Volk, das Jahrzehnte lang Krieg führt und dabei jedes Jahr ca. 5% der Bevölkerung verliert, würde bald aussterben, wenn es sich den Luxus leistete, seine Frauen und Mädchen ihre besten Jahre auf Schulen und/oder Universitäten vertrödeln zu lassen, um später Papier zu schwärzen o.ä. emanzipatorischen Unfug zu treiben. Vielmehr besteht die bittere Notwendigkeit, daß sie so früh wie möglich heiraten und viele Kinder bekommen, im Idealfall von der Pubertät bis zu den Wechseljahren jedes Jahr eines. Die lautesten Schreihälse dagegen sind Angehörige derjenigen Staaten, die Afģānistān - das nie einen Krieg geführt hat, um ein anderes Land zu erobern - immer wieder mit Krieg überzogen haben.

******Wie Amānållāh das alles finanzierte? Nein, nicht aus eigenen, sondern hauptsächlich aus deutschen Steuergeldern: Die Reichsregierung gewährte ihm ein zinsloses Darlehen à fond perdu über 6 Millionen RM (verlangt hatte er 10 Millionen :-), und eines der drei Flugzeuge bekam er als Gastgeschenk.
(Wer sich darob noch nachträglich echauffiert möge bedenken, daß diese Kosten weniger als ein Promille dessen betrugen, was die BRDDR als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs im 21. Jahrhundert an Steuergeldern für Kriegseinsätze bewaffneten Friedenseinsätze, "Wiederaufbauhilfe", "Entwicklungshilfe" und last not least Aufnahme von 'zigtausenden Rapefugees ("Flüchtlingen") u.a. kriminellen Schmarotzern - die nicht nach ein paar Wochen wieder abreisten - verschwendete in Afģānistān "investierte".)
Die Briten machten es eleganter: Sie ließen Amānållāh auf ein Pferderennen und ein Fußballspiel wetten - die er beide persönlich besuchte - und sorgten dafür, daß er gewann:

*******Sharbat Gula, das "Afghan Girl", wurde zwar nicht ganz so berühmt wie Kim Fuck Phuc, das "Napalm Girl" aus Vietnam, über das - Dikigoros an anderer Stelle ausführlicher schreibt -; aber auch ihr Bild auf dem Titel von "National Geographic" (so hatte sich Dikigoros immer das Nomadenmädchen aus Mitcheners "Karawanen der Nacht" vorgestellt :-) war gefälscht geschönt - u.a. wurde die Augenfarbe aufgehellt.


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