ERNESTO  GEISEL

(03.08.1908 - 12.09.1996)

[Ernesto Geisel]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros

[Ordem e progresso (Ordnung und Fortschritt)]

1908*
03. April: Ernesto Geisel wird als mittleres von fünf Kindern des Lehrers Guilherme Augusto Geisel und seiner Ehefrau Lydia, geb. Beckmann, in Bento Gonçalves, einem überwiegend von italienischen Einwanderern bewohnten Städtchen in Brasiliens südlichstem Bundesstaat Rio Grande do Sul, geboren.
Brasilien ist seit dem Sturz des Kaisers anno 1891 eine föderative Republik mit den vormaligen Provinzen als nunmehr weitgehend autonomen Bundesstaaten. Der Versuch, Rio Grande do Sul - ähnlich wie das benachbarte Uruguay - unabhängig zu machen, war 1893-95 blutig gescheitert.


Obwohl beide Eltern deutscher Abstammung sind, erziehen sie ihre Kinder zu "guten Brasilianern", d.h. sie bringen ihnen kaum Deutsch bei. (Der Spitzname "O alemão [Der Deutsche]", den man Ernesto später beilegt, ist also schwerlich begründet.)

1914-18
Erster Weltkrieg. Brasilien gehört zu den Kriegsgewinnlern, da es die Entente-Mächte mit Nahrungsmitteln beliefert.

1921-28
Geisel besucht - wie schon seine beiden älteren Brüder Henrique und Orlando - zunächst die Kadettenanstalt in Porto Alegre, dann die Hauptkadettenanstalt in Realengo; er schneidet jeweils als Jahrgangsbester ab.
Während dieser Zeit kommt es wiederholt zu - erfolglosen - Putschversuchen junger Subalternoffiziere ("Tenentes [Leutnants]") in Rio de Janeiro, in São Paulo und in Rio Grande do Sul.

1928
Geisel wird zum Leutnant befördert.

1929
24. Oktober: Mit dem "Schwarzen Freitag" an der New Yorker Börse beginnt die Weltwirtschaftskrise, die Brasilien besonders hart trifft.

1930
Geisel wird zum Oberleutnant befördert.
Oktober/November: Nachdem der ehemalige Wirtschafts- und Finanzminister Getulio Vargas die Präsidentschaftswahl gegen Júlio Prestes verloren hat, putscht das Militär und erklärt ihn zum neuen Präsidenten. Er bedankt sich durch Erhöhung der Militärausgaben, die sich vor allem in Besoldungsanhebungen für die Angehörigen der Streitkräfte niederschlagen.
(Alle übrigen Maßnahmen seiner Regierungszeit erweisen sich im Rückblick als eher kontraproduktiv oder zumindest fragwürdig. Wer sich für Einzelheiten interessiert, mag den letzten Link anklicken.)

1932
Juli: Die Bundesstaaten São Paulo, Minas Gerais und Rio Grande do Sul erklären ihre Unabhängigkeit. Vargas läßt sie binnen drei Monaten mit Waffengewalt nieder kämpfen - die größte Tragödie der brasilianischen Geschichte im 20. Jahrhundert.

1937
November: Vargas setzt die Verfassung außer Kraft, löst das Parlament auf und verbietet die Parteien. Bei einer öffentlichen Bücher-Flaggen-Verbrennung in Rio de Janeiro werden die Bundesstaaten auch symbolisch zerstört. (In der Praxis werden sie wieder in den Status von Provinzen zurück versetzt, die von - durch den Präsidenten eingesetzten - Reichsstatthaltern Interventores regiert werden.)

1939
September: Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bleibt Brasilien zunächst neutral.

1940
Geisel heiratet Lucinda ("Lucy") Markus. (Aus der Ehe gehen zwei Kinder hervor.)
Lucy ist seine Cousine 1. Grades, wie übel gesonnene Biografen stets betonen - vor allem solche aus den USA, wo das als "Inzest" gilt. (Natürlich nur unter Christen. Unter Muslimen - bei denen solche Ehen nicht nur üblich, sondern geradezu selbstverständlich sind - ist das dagegen völlig in Ordnung :-)

1942
Januar: Brasilien bricht die diplomatischen Beziehungen zu den Achsenmächten Deutschland und Italien ab.
(Es verbietet außerdem deutsche Turn-, Gesangs- und sonstige Vereine; Deutsch darf in der Öffentlichkeit nicht mehr gesprochen und auch als Fremdsprache nicht mehr gelehrt werden.).
August: Brasilien erklärt Deutschland und Italien den Krieg - als erstes Land Südamerikas.

1943/44
Brasilien stellt den Alliierten Truppen (ca. 25.000 Mann) zur Verfügung, die sich an der Eroberung Befreiung Italiens beteligen und dabei vor allem durch zahlreiche Greueltaten an der Zivilbevölkerung auszeichnen. (Geisel wird nicht eingesetzt - als Deutschstämmiger aus einem italienischen Dorf gilt er als unzuverlässig.)

1945
Mai: Nach Ende der Kampfhandlungen in Europa versucht Brasilien, die Einwanderungspolitik wieder zu ändern, d.h. bevorzugt "arische" Immigranten ins Land zu locken.
Das mißlingt gründlich, da sich viele potentielle Einwanderer noch an seine deutschfeindliche Politik der letzten Jahre erinnern und deshalb lieber in die Nachbarländer gehen.

1946
Geisel wird Militärattaché an der brasilianischen Botschaft in Uruguay (bis 1947).

1950er Jahre
Der kriegsbedingte Wirtschaftsboom geht zuende. Inflation und Außenhandelsdefizit nehmen zu.
Der neue (seit 1953) US-Präsident Eisenhower, verärgert über Brasiliens Weigerung, sich aktiv, d.h. mit Truppen, am Korea-Krieg zu beteiligen, stellt die Finanz- und Wirtschaftshilfen weitgehend ein. An der New Yorker Rohstoffbörse wird brasilianischer Kaffee boykottiert.

1954
August: Präsident Vargas begeht, nachdem nicht nur ein peinlicher Finanzskandal, sondern auch die Ermordung von dessen Entdecker durch einen seiner Leibwächter aufgeflogen ist, Selbstmord. Seine Nachfolger fahren den Staatskarren noch tiefer in den Dreck, wobei man sich am Ende nur noch fragt, ob sie sich dabei mehr an Stalin orientieren oder an Mao Tse-tung.

1956-61
Unter Juscelino Kubitschek, der Brasilien binnen fünf Jahren vom Agrar- zum Industrieland machen will - auf Pump -, nimmt die Staatsverschuldung, besonders im Ausland, bedrohliche Ausmaße an.

1960
Geisel wird zum Brigadegeneral befördert.

1961-64
Der einstige Vargas-Vertraute und langjährige (seit 1955) Vizepräsident João Goulart driftet in den Marxismus-Leninismus-Maoismus (er ist ein großer Bewunderer des chinesischen Diktators) ab. Sein "Reform"-Programm:
Ob der dabei angewendeten Wildwest-Methoden wird er allenthalben nur "Jango" genannt. Ausländische Investoren - ohne die schon lange nichts mehr läuft - verlassen das Land. Brasilien steht vor dem wirtschaftlichen Kollaps; die Inflationsrate erreicht astronomische Höhen.

1964
März/April: Das Militär hat endlich genug von den unfähigen Zivilunken, die das Land zugrunde richten.
Feldmarschall Castelo Branco putscht und räumt unter den Parteibonzen in Quasselbude, Verwaltung und Justiz ordentlich auf, errichtet jedoch keine regelrechte Militärdiktatur.
(Inkompetente politische Beamte werden zwar entlassen, die politischen Parteien werden jedoch nicht verboten, und die Wirtschaft wird zwar nicht länger gegängelt, aber auch Gewerkschaften bleiben erlaubt.)
Geisel wird - unter Beförderung zum Generalleutnant - Stabschef bei Castelo Branco.

1966
Geisel wird zum General befördert.

1967-69
Geisel wird vom neuen Präsidenten, General Costa e Silva, weg gelobt zum Vorsitzenden Richter am Obersten Militärgerichtshof gemacht.
Allmählich wird klar, daß die Militärs die 4. und 5. Gewalt im Staate unterschätzt haben: Die Marxisten haben - bereits unter Goulart - ihren "Marsch durch die Institutionen" (so die Ausdrucksweise der "68er") angetreten und viele Schulen, Universitäten, Presseorgane, Rundfunk- und Fernsehsender unter ihre Kontrolle gebracht; so ist es ihnen gelungen, große Teile der Bevölkerung - vor allem die "Intellektuellen" - zu verblöden und gegen "die Generäle" aufzuhetzen.
Als die Regierung versucht, eine härtere Gangart einzuschlagen, gehen die "politisch Verfolgten", wie sie sich nun nennen, entweder als "Asylanten" ins Ausland (Goulart ist längst über Uruguay nach Argentinien emigriert) - wo sie fleißig Wühlarbeit gegen Brasilien leisten - oder als Terroristen in den Untergrund.
(Ähnlich wie Baader, Meinhof und die "RAF" in der BRD verüben sie Bombenanschläge, entführen "ausbeuterische" Industrielle und Diplomaten aus "kapitalistischen" Staaten.)
Bitter ist, daß auch die Kirche der Regierung in den Rücken fällt. Die marxistische "Befreiungstheologie" des Franziskaner-Paters Leonardo Boff breitet sich, von Brasilien ausgehend, wie eine Seuche über ganz Lateinamerika aus und verhetzt auch das "einfache Volk" der Nicht-Intellektuellen.

1969
Oktober/November: Geisel scheidet aus dem Militärdienst aus und wird Frühstücksdirektor Präsident der staatlichen Ölfirma Petrobras.
Schwer zu sagen, ob auch das eine "Kaltstellung" war. Dafür spricht, daß 4-Sterne-Generale normalerweise nicht schon mit 61 Jahren ihren Abschied nehmen, dagegen, daß der neue Präsident nicht gerade zu seinen Feinden zählte. (Gehaltsmäßig war es jedenfalls keine Degradierung :-)

1969-74
Unter General Emiliano Médici beginnt sich Brasilien langsam zu stabilisieren - trotz der Probleme, die sich aus der Explosion des Ölpreises infolge des Yom-Kippur-Krieges (1973) ergeben.
(Sogar die Fußballer werden endlich mal wieder Weltmeister - Balsam für Volkes Seele :-)
Geisels älterer Bruder Orlando - inzwischen ebenfalls General - wird Kriegsminister.

1974
März: Geisel wird Präsident - ein mittleres Wunder angesichts der Intrigen innerhalb des Militärs.

1974-79
Noch größer ist das Wirtschaftswunder, das Geisel gelingt: Unter ihm hat Brasilien regelmäßig die höchsten Wachstumsraten weltweit und steigt vom mittleren Schwellenland bis unmittelbar an die Grenze zur Industriemacht auf.
Er erreicht dies u.a. durch Ersetzung des zu teuer gewordenen Erdöls mit günstigem Atomstrom. Zu diesem Zweck schließt er Wirtschaftsabkommen mit der BRD, die damals auf dem Sektor friedliche Nutzung der Kernenergie weltweit führend ist.
Damit zieht er sich den Zorn des neuen (seit 1977), unfähigen US-Präsidenten Jimmy 'Peanuts' Carter (Ex-U-Boot-Fahrer und Erdnußzüchter) zu, der ihm "Verletzung von Menschenrechten" vorwirft.
(Merke: Die weltweite Vormachtstellung der USA auf dem Kernenergiesektor - egal ob militärisch oder zivil - ist ein Menschenrecht, das niemand ungestraft verletzen darf :-)
Geisel reagiert darauf ähnlich wie einige Jahr zuvor der spanische Caudillo Francisco Franco, als die Politbonzen in Washington gegen ihn eine ebensolche Propagandahetze begannen: Er kündigt das Militärbündnis mit den USA und nimmt Wirtschaftsbeziehungen zu Rotchina und der UdSSR auf (ohne sich ihnen politisch zu nähern).
Einige Jahre lang scheint es, als könnte Südamerika zum Kontinent der Zukunft werden, da auch anderswo vernünftige Militärs die Regierung übernommen und ihre bis dahin mehr oder weniger rückständigen Länder ein gutes Stück voran gebracht haben, wie General Banzer in Bolivien, General Stroessner in Paraguay und General Pinochet in Chile. (Leider trügt der Schein.)

1979
März: Geisel tritt als Präsident zurück.
Seine letzten Worte im Amt sind: "Ich weiß, daß das brasilianische Volk [...] politische Reformen will. Aber die Zeit wird kommen, da das Volk sich nach der Militärdiktatur zurück sehnt. Denn viele von denen, die deren Ende herbei führen, haben nicht das Wohl des Volkes im Auge, sondern nur ihre eigenen Interessen."
Selten hat die Prognose eines Politikers sich auf so makabre Art und Weise bewahrheitet.

1979-85
Sein Nachfolger, General João Baptista Figueiredo - ein Möchtegern-Reformer und Zauderer - agiert von Anfang an unentschlossen und glücklos. Er greift weitgehend Kubitscheks Politik wieder auf - mit ähnlichen Resultaten. Nach wenigen Jahren sind alle Brasilianer Millionäre. Nichts ist bezeichnender als die Visage von Kubitschek auf dem 100.000-Cruzeiros-Schein von 1985.


1985
Januar: Als Figueiredo nicht mehr weiter weiß, läßt er die Quasselbude das Parlament einen Zivilunken zum neuen Präsidenten küren. Die Wahl fällt auf den Wirtschaftswissenschaftler Tancredo Neves. Als dieser die Unterlagen des Staatshaushalts studiert, den er übernehmen soll, fällt er vor Schreck ins Koma, aus dem er nicht mehr aufwacht. Sein designierter Vize José Sarney - der zu seinem Glück von Wirtschaft null Ahnung hat - übernimmt.

1985-90
Sarney liefert den schlagenden Beweis, daß man "Demokratie" - was immer das genau ist - nicht essen kann.

1986
März: Der Cruzeiro wird im Verhältnis 1:1.000 abgewertet und in "Cruzado" umbenannt.**

1988
Brasilien verstaatlicht die Konkursmassen der ruinierten Betriebe und stellt die Bedienung der - immensen - Auslandsschulden ein; anderswo nennt man das "Staatsbankrott".

1989
Januar: Der Cruzado wird im Verhältnis 1:1000 abgewertet und in "Cruzado Novo [Neuer Cruzado]" umbenannt.
Oktober/November: Die Quasselbudler haben keine Lust mehr, den Präsidenten zu wählen und überlassen das wieder dem Wahlvieh Volk - es ist eh egal, wer oder was heraus kommt, denn der Staatskarren steckt so tief im Dreck, daß ihn niemand mehr heraus ziehen kann.


Der neue Präsident Fernando Collor de Mello folgt den alt-bewährten Mustern seines Vorgängers: Das Volk in Armut stürzen und sich selber die Taschen füllen.

1990
März: Der Cruzado Novo wird im Verhältnis 1:1000 abgewertet und wieder in "Cruzeiro" umbenannt.


1992
Collor wird der Korruption überführt (sein eigener Bruder hat geplaudert :-) und zurück getreten tritt freiwillig zurück. Vizepräsident Itamar Franco übernimmt sein Amt - und auch seine Politik.


1993
März: Der Cruzeiro wird im Verhältnis 1:1000 abgewertet und in "Cruzeiro Real" umbenannt.

1994
Juli: Der Cruzeiro Real wird im Verhältnis 1:2.750 (!) abgewertet und wieder in "Real" umbenannt.
Nach nunmehr 5 Geldentwertungen binnen 8 Jahren ist der Mittelstand de facto enteignet und nachhaltig ruiniert. Fast alle produktiven Kräfte haben Brasilien verlassen; in Massen zurück geblieben sind allein die 3S: Sesselpupser, Sozialhilfeempfänger und sonstige Schmarotzer.
Oktober: Stellt Euch vor, es sind Wahlen, und kaum jemand geht hin - wozu auch?

1995
Der neue Präsident Fernando Cardoso - dem man jedenfalls den guten Willen nicht absprechen kann - bietet die verstaatlichten Unternehmen zur Reprivatisierung an; aber so gut wie niemand im In- oder Ausland will sie haben - nicht mal geschenkt.

1996
12. September: Ernesto Geisel stirbt an Krebs; er hat es hinter sich. Dagegen beginnt für Brasilien - das wieder zum Dritte-Welt-Land abgesunken ist - der langsame, qualvolle Todeskampf erst richtig.


Dikigoros hat keine Lust, das Trauerspiel hier noch weiter abzuhandeln. Schließlich ist dieser Lebenslauf Bestandteil einer Webseite über Personen des 20. Jahrhunderts; und er hat bereits viel zu viele Ausnahmen gemacht, bei denen er das Nachleben auch bis ins neue Jahrtausend verfolgt hat. So beläßt er es bei den Worten aus einem anderen Trauerspiel (von William Shakespeare):

"DER REST IST SCHWEIGEN!"


*Nach anderen Quellen: 1907. Dikigoros war nicht dabei; er hält denn diesbezüglichen Streit indes für ziemlich unerheblich und läßt es getrost dahin stehen.

**Seit der Währungsreform von 1986 werden auf brasilianischen Geldstücken nur noch Köpfe von Negern oder Mulatten abgebildet - nicht ganz von ungefähr, denn die ethnische Zusammensetzung des Landes hat inzwischen eine verhängnisvolle Entwicklung genommen: Der Bevölkerungsanteil der Weißen tendiert gegen null; die Mischlinge stagnieren; dagegen vermehren sich die Schwarzen wie die sprichwörtlichen Karnickel - der Bevölkerungszuwachs wird allein von ihnen getragen. Da darf man sich nicht wundern, wenn die Politiker auf keinen grünen Zweig mehr kommen. (Ähnliches geschieht später auch in den Vereiniggerten Staaten von Amerika - was sich ebenfalls in den Geldstücken wiederspiegelt.)


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