LÁZARO CÁRDENAS

(21.05.1895 - 19.10.1970)

[Lázaro Cárdenas]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros

1895
21. Mai: Lázaro Cárdenas del Río wird als Sohn des Krämers Dámaso Cárdenas Pinedo und seiner Ehefrau Felícitas, geb. del Río Amezcua, in Jiquilpan de Juárez (Bundesstaat Michoacán) geboren.
México erlebt unter Porfirio Díaz eine Epoche politischer Stabilität, materiellen Wohlstands und kultureller Blüte.

1902-1906
Cárdenas besucht die ersten vier Klassen der örtlichen Volksschule.

1907
Die von den USA ausgehende Weltwirtschaftskrise trifft México hart. Mißernten und Lebensmittelknappheit führen zu Unzufriedenheit der Bevölkerung, Bauernunruhen und Arbeiterstreiks.

1909-1911
Cárdenas absolviert ein Praktikum beim Finanzamt.

1911
Cárdenas wird Druckerlehrling bei der linksliberalen Zeitung "La Económica".


März: Eine Revolution bricht aus.* Der unter Arbeitern und Bauern gleichermaßen populäre Räuberhauptmann Emiliano Zapata - ein Mestize aus Morelos - gewinnt mit seiner Bande gut ausgebildeter desertierter Soldaten erste Schlachten gegen die Regierungstruppen.


Daraufhin schließen sich weite Teile des Landes der Revolution an, so auch Cárdenas' Arbeitgeber, der Zeitung und Druckerei an seine Angestellten verkauft.
November: Nachdem Díaz ins Exil gegangen ist, erklärt sich der zwielichtige sefardische Millionärserbe Franciso Madero zum neuen Präsidenten; ihm schließt sich der ebenfalls sehr populäre Räuberhauptmann Francisco "Pancho" Villa an.


Dichtung und Wahrheit: Maderos Machtergreifung in Propaganda (links) und Realität (rechts)

1912
Zapata ruft zum Sturz Maderos auf; der Bürgerkrieg geht weiter.

1913
Februar: General Victoriano Huerta erklärt sich zum Präsidenten.
Madero wird festgenommen, entweicht jedoch aus der Haft und wird auf der Flucht erschossen.


März: Venustiano Carranza, Maderos Ex-Stellvertreter und Gouverneur von Coahuila, erklärt Huerta für abgesetzt und sich selber zum neuen Staatschef. Vorübergehend verbündet er sich mit Villa, Zapata und dem "Arbeiterführer" Álvaro Obregón (der tatsächlich, wie Madero, Großgrundbesitzer und Millionär ist). Der Bürgerkrieg geht weiter.


Da Cárdenas im Gegensatz zu den meisten Anhängern Zapatas lesen und schreiben kann, engagiert ihn dessen "General" Guillermo García Aragón als Adjutanten im Range eines Räuber-Hauptmanns.


1914
April: Die USA - die Waffen an die Carranza-Allianz liefern - besetzen die mexikanischen Häfen Veracruz und Tampico (Das spricht sich übrigens richtig "Tampieko" aus, nicht "Tämmpiko" :-), über die Huerta britische Waffen importierte.
Juli: Nach mehreren militärischen Niederlagen dankt Huerta ab und flieht außer Landes.
August: Die Allianz der Huerta-Gegner zerbricht: Carranza, Obregón und ihre Marionette ihr neuer "Präsident" Francisco Carvajal kämpfen nun gegen Villa und Zapata (die ihre Aktionen nicht koordinieren, da sie auch unter einander verfeindet sind :-).
Cárdenas wechselt ins Regierungslager und kämpft unter "General" Lucio Blanco im Süden gegen die Zapatisten, während "General" Obregón im Norden gegen Villa kämpft.


Er lernt schnell, daß der einzige Ismus, auf den es in der Politik ankommt, der Opportunismus ist.**

1915
Mai: Carranza erklärt sich zum Regierungschef und Obregón zum Kriegsminister.
Oktober: Die USA erkennen die Regierung Carranza an.
Cárdenas wechselt zwar nicht die Seiten, aber die Fronten und kämpft nun, da Obregón nach Verlust eines Arms nicht mehr felddiensttauglich ist, unter "General" Plutarco Calles im Norden gegen Villa, der zeitweise auf US-Gebiet ausweicht - auch um dort Pferde, Waffen und Munition zu erbeuten.

1916
März: Die USA nehmen das zum Anlaß, mit 12.000 Mann in Mexiko einzumarschieren, "um Villa festzunehmen". Anführer der Invasionstruppen ist der Räuberhauptmann Brigadier John Pershing ("Nigger Jack").


Dezember: Auch das Bündnis zwischen Carranza und Obregón zerbricht. Der Bürgerkrieg geht weiter; nun kämpft jeder gegen jeden.
Cárdenas wird zur Unterdrückung eines Aufstands der Yaqui-Indianer in Sonora eingesetzt.

1917
Februar: Die US-Truppen ziehen aus Mexiko ab - ohne Villa gefaßt zu haben -, um in den Krieg gegen Deutschland einzutreten. (Pershing trägt die Mexiko-Expedition den Oberbefehl über diesen "Kreuzzug gegen die Hunnen" ein.)


Carranza nimmt das zum Anlaß, eine neue Verfassung zu verkünden, die u.a. die Überführung aller Produktionsmittel in "Volkseigentum", vorsieht.
Man nennt das nicht "Verstaatlichung", sondern vornehmer "Nationalisierung", vielleicht weil sonst einige schon ahnen könnten, was es für "das Volk" bedeutet, wenn die Produktionsmittel eines Landes nicht mehr von Privatleuten gemanagt werden, sondern von Regierungsbonzen Staatsbeamten - obwohl es noch keine historischen Vorbilder, geschweige denn praktische Erfahrungen gibt. Mexiko ist der erste Staat mit einer marxistischen/sozialistischen/kommunistischen (oder wie immer man sie nennen will) Verfassung, lange vor der ruhmreichen Sowjet-Union. (Die erste Verfassung der UdSSR wird erst im Januar 1924, nach Lenins Tod, von Stalin verkündet. Man hat Calles und Cárdenas als "Stalinisten" bezeichnet; man könnte aber ebenso gut Stalin als "Carranzisten" bezeichnen :-)
Vorerst steht sie freilich nur auf dem Papier.
Mai: Carranza läßt sich zum Präsidenten "wählen"; der Bürgerkrieg geht weiter.

1918
Cárdenas wird von Carranza zum Oberst befördert.

1919
April: Zapata wird im Auftrag Carranzas in eine Falle gelockt und erschossen.
Daraufhin verbünden sich die Reste der Zapatisten mit Obregón gegen Carranza.

1920
Mai: Carranza wird gestürzt und auf der Flucht erschossen.
Juni: Adolfo de la Huerta erklärt sich zum kommissarischen Präsidenten. Er schließt Frieden mit Villa, der den Kampf aufgibt, sein Pferd gegen ein Ford-Automobil eintauscht, eine staatliche Pension als General a.D. und eine riesige Hazienda als Dotation erhält - wie es jemandem gebührt, der angeblich für die Rechte der armen Kleinbauern und gegen die reichen Großgrundbesitzer gekämpft hat.
September: Huerta schreibt Wahlen aus.
November/Dezember: Obregón erklärt sich zum Wahlsieger und neuen Präsidenten.

1923
20. Juli: Obregón läßt Villa in einen Hinterhalt locken und erschießen. (Wenigstens ein Attentat unter diesem Datum mußte ja mal gelingen :-)
August: Um sich den Rücken für weitere innenpolitische Kämpfe frei zu halten (und die zu diesem Zweck benötigten Waffenlieferungen zu sichern) parafiert Obregón einen Vertrag mit dem US-Botschafter, wonach die Verstaatlichungsartikel der mexikanischen Verfassung de facto nicht auf US-Bürger und -Firmen anzuwenden sind.
US-Rechte am mexikanischen Öl, die vor 1917 erworben wurden (das sind zufällig alle :-) dürfen überhaupt nicht enteignet werden, Grund und Boden nur gegen Entschädigung in bar. (Damit ist kein Papiergeld gemeint, sondern Gold - das Mexiko nicht aufbringen könnte, weshalb auch diese Enteignungen hinfällig wären.) Der Vertragsentwurf (flapsig "Bucureli-Vertrag" genannt, nach der Straße in Mexiko-Stadt, wo das Gebäude stand, in dem er ausgehandelt wurde) ist Gegenstand langwieriger Streitigkeiten in Legislative und Jurisdiktion.

1924
September: Cárdenas wird zum Brigade-General befördert.
Dezember: General a.D. Calles ergreift die Macht. Er erklärt sich zum neuen Präsidenten, die Revolution für beendet und gründet eine "Partei der institutionellen Revolution".


Calles zerreißt den "Bucureli-Vertrag", bevor er ratifiziert werden kann, stellt die Verstaatlichung von US-Eigentum jedoch erst einmal zurück, um sich anderen - vermeintlich leichteren - Projekten zu widmen.

1925
Februar: Calles gründet eine mexikanische Staatskirche und bricht mit Rom; die Latifundien der röm.-katholischen Kirche werden enteignet, kirchliche Schulen verboten. (An ihre Stelle sollen staatliche Schulen treten, um die Untertanen von klein auf im Sinne der Obertanen zu indoktrinieren.)

1926
Dagegen erheben sich alle guten Christen im Lande. Der eben erst für beendet erklärte Bürgerkrieg geht mit unverminderter - manche meinen sogar: mit noch größerer - Härte weiter, nun unter der Bezeichnung "Guerra Cristera".
[Man gebe sich keinen Illusionen über die Beweggründe beider Seiten hin, sondern lese vorab, was Dikigoros an anderer Stelle über die wahren Hintergründe des Aufstands der gut-katholischen Tiroler gegen die gottlosen Franzosen anno 1805 geschrieben hat. Es ging weder um Glaubensfragen noch um bessere Bildung, sondern um - Geld. Die Kirchensteuern waren niedrig, und die kirchlichen Schulen kostenlos. Calles hatte, um die Staatsfinanzen zu sanieren, massive Steuererhöhungen verfügt, und die staatlichen Lehranstalten kosteten Schulgeld. Es bedurfte keiner besonderen Frömmigkeit, um dagegen zu rebellieren (und die meist völlig unqualifizierten staatlichen "Lehrer" abzumurksen :-). Im Gegenzug verfügte Calles, das jüdische biblische Prinzip der "verbrannten Erde" anzuwenden: Die Felder der Bauern wurden verwüstet, wer sich wehrte erschlagen - Mann, Frau, Kind und Vieh, nicht anders als wenig später beim "Holodrom" in der Sowjet-Union - wieder stellt sich die Frage, wer wessen Vorbild war.]
Es wird bisweilen so dargestellt, als sei das alles allein auf Calles' Mist gewachsen, der auch "unter" seinen Nachfolgern die Fäden im Hintergrund weiter gezogen habe. Aber es war schon in Carranzas Verfassung von 1917 so vorgesehen; auch Obregón wollte einen ähnlichen Weg einschlagen. Und die gewaltsame Durchsetzung übertrug Calles niemand anderem als Cárdenas, der auch in prominenter Stelle in der anti-klerikalen Hetzpropaganda fungierte (im Bild unten rechts als Retter des Schuljungen aus den Klauen des papistischen Monsters).


1927
Calles nimmt auch den Kampf gegen die ausländischen Ölgesellschaften wieder auf: Er läßt Cárdenas Bohrlöcher zuschütten, Lager anzünden und andere Anschläge verüben.

1928
Juli: Bei Präsidentschaftswahlen obsiegt erneut Obregón; er wird jedoch noch vor Amtsantritt erschossen.
Damit hat die mexikanische Revolution endlich all ihre Väter gefressen - der Weg ist frei für ihre Kinder.
Calles - der bis November im Amt bleibt - befördert Cárdenas zum General und ernennt ihn zum Gouverneur von Michoacán - das er freilich erst einmal erobern muß, da auch dort eine Regional-Revolution ausgebrochen ist.
Angesichts immer unverhüllterer Drohungen der USA, zum Schutz ihrer Ölgesellschaften militärisch einzugreifen, handelt Calles mit dem neuen US-Botschafter Dwight Morrow (Schwiegervater in spe des neuen US-Nationalhelden Charles Lindbergh) ein Abkommen aus, in dem mehr oder weniger das gleiche steht wie im "Bucureli"-Vertragsentwurf stand.
Hauptunterschied ist, daß Rechte an Ölfeldern, die vor 1917 erworben wurden, nun doch enteignet werden dürfen, wenn sie bis jetzt noch nicht ausgeübt wurden, d.h. wenn noch kein Geld in sie investiert wurde. (Da letzteres jedoch meist gute Gründe hat - vor allem den, daß es sich um Fehlspekulationen handelte, in die zu investieren keine Seite ein Interesse hat - steht das bloß auf dem Papier :-)
Dezember: "General" Emilio Portes ergreift die Macht.

1929
Die USA vermitteln einen Waffenstillstand zwischen der Regierung Portes und den "Cristeros".
(Tatsächlich hält sich keine der beiden Seiten daran; der Kleinkrieg geht noch bis 1936 weiter; Frieden mit dem Vatikan wird erst 1992 unter Papst Joannes Paulus II geschlossen.)

1930
Oktober: Cárdenas wird Vorsitzender des PNR.

1932
Bei Veracruz werden wird ein riesiges Ölfeld entdeckt, das den programmatischen Namen "Poza rica [Reicher Brunnen]" erhält. Ohne Geldmittel und Know-how ausländischer Firmen kann es freilich nicht erschlossen werden.
September: Cárdenas heiratet Amalia, geb. Solórzano. (Aus der Ehe geht ein Sohn hervor, der den Namen des letzten Azteken-Herrschers, Cuauhtemoc, erhält. [Eine ältere Tochter ist kurz nach der Geburt gestorben.])

[Familie Cárdenas]

1933
Cárdenas wird Kriegsminister unter Präsident Abelardo Luján.

1934
Juli: Cárdenas wird zum Präsidenten gewählt.


November/Dezember: Gleich nach Amtsantritt verkündet Cárdenas einen "Fünfjahresplan" nach sowjetischem Vorbild.
Dazu gehört vor allem die als "Agrarreform" bezeichnete Enteignung der "Großgrundbesitzer" und Kulaken mittleren Bauern; insgesamt werden in den nächsten sechs Jahren 18 Millionen Hektar Land verstaatlicht und an Kommunen übereignet, um sie an Kleinbauern zu verteilen.
Die unter großem Propaganda-Aufwand eingeleitete Aktion hat katastrofale Folgen. Das letzte, was Mexiko nach vielen Jahren Bürgerkrieg, "verbrannter Erde" und Liquidierung hunderttausender Bauern brauchen kann, ist eine Zerschlagung der noch vorhandenen produktiven Haziendas in unwirtschaftliche Minihöfe, die allenfalls den Eigenbedarf der Kleinbauern decken (aber oft nicht mal das). Auch die - wiederum nach sowjetischem Vorbild - erzwungene Kollektivierung Zusammenlegung der letzteren zu Kolchosen Sowchosen LPGs "Ejidos" - unter Aufsicht staatlicher "Kommissare" - zeitigt naturgemäß keine Besserung. Seitdem exportiert Mexiko kaum noch landwirtschaftliche Produkte, dafür umso mehr hungrige Menschen. Ab 1940 versuchen Cárdenas Nachfolger, den Irrsinn durch eine "contrarreforma" wenigstens teilweise rückgängig zu machen; der Schaden ist jedoch angerichtet und zwar, wie man heute sagt, "nachhaltig". Dafür sorgt auch der große Bruder im Norden: Weil Roosevelt seine eigenen Untertanen als KanonenfutterSoldaten für den Krieg gegen Deutschland und Japan brauchte, warb er für die Drecksarbeit Handarbeit Armarbeit in der Landwirtschaft 2 Millionen mexikanische Vertragsarbeiter ("braceros", von "brazo [Arm]") an. Nach Beendigung des Koreakriegs wurden sie in den USA nicht mehr gebraucht, also gab man ihnen einen Tritt verabschiedete man sie im Einvernehmen mit der mexikanischen Regierung nach Hause - wo sie händeringend für den Wiederaufbau der von Cárdenas ruinierten Wirtschaft gesucht wurden. Ein gutes Drittel blieb jedoch in den USA, und die anderen kamen bald wieder nach - nunmehr ohne Vertrag, d.h. illegal, was von den USA augenzwingernd geduldet wurde, da es sehr praktisch war: Illegale belasteten die Kassen der Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung nicht; Steuern hätten sie wegen ihres niedrigen Lohns eh nicht zahlen müssen, und sonstige Sozialleistungen gab es für sie auch nicht - jedenfalls noch nicht zu Cárdenas' Lebzeiten; über die Fortsetzung dieser schmutzigen Geschichte schreibt Dikigoros daher an anderer Stelle unter dem Stichwort "sanctuary cities".

1935
August: Cárdenas läßt die Arbeiter auf den Erdölfeldern eine Gewerkschaft gründen, die den - durchweg ausländischen - Fördergesellschaften alsbald eine Liste unerfüllbarer Forderungen präsentiert, u.a. exorbitante Lohnerhöhungen und eine "Gewinnbeteiligung" von 65 Millionen Pesos.***

1936
Cárdenas erklärt den Kampf gegen die katholische Kirche für beendet und verweist Calles des Landes.


Calles geht, da ihn sein Freund und Kupferstecher "General" aus Bürgerkriegstagen, Saturnino Cedillo, im Stich läßt, ins Exil in die USA. (Cedillo überlegt es sich später anders und beginnt den bewaffneten Widerstand gegen Cárdenas, der ihn 1939 mitsamt seiner Familie ermorden läßt.) Calles kehrt 1941 nach Mexiko zurück, spielt aber keine politische Rolle mehr.

1937
Januar: Cárdenas gewährt Lew Dawidowitsch Bronstein ("Trotski") politisches Asyl.


Wie ehrlich das gemeint war, bleibt unklar. Cárdenas ließ zu, daß Trotski ein paar Jahre später von einem Schergen Stalins ermordet wurde, wie vor ihm schon der ungarische Jude Benjamin Cohen ("Béla Kun") und beinahe auch die ungarische Jüdin Netty Radványi-Reiling ("Anna Seghers"), die den Anschlag schwer verletzt überlebte. Mexiko war also kein sicheres Pflaster für prominente Asylanten, die auf der "Abschußliste" standen. Allerdings gewährte Cárdenas auch einigen tausend namenlosen Flüchtlingen Asyl, vor allem während des Spanischen Bürgerkriegs.

1938
März: Cárdenas enteignet unter Berufung auf die Verfassung von 1917 alle ausländischen Ölgesellschaften und überträgt deren Geschäfte der zu diesem Zweck gegründeten Staatsfirma Petróleos Mexicanos ("PEMEX"). ****


US-Präsident Roosevelt läßt ihm das durchgehen, da er schon seit Jahr und Tag Krieg gegen Deutschland und Japan plant und sich den Rücken frei halten will.


Die Folgen sind freilich ganz andere als erwartet: Während andere Erdölförderländer - z.B. Venezuela - jährlich mindestens zweistellige Zuwachsraten verzeichnen - vor allem während des

1939-1945
Zweiten Weltkriegs, der zu einer gewaltigen Nachfragesteigerung führt - wächst die mexikanische Ölförderung in den nächsten Jahrzehnten im Durchschnitt nur um magere 6%.
(Die Höchstfördermenge aus der Zeit vor Streik und Verstaatlichung wird erst 1973 wieder erreicht.)
Unfähigkeit und Korruption führen dazu, daß keine funktionierende Ölverarbeitungs-Industrie aufgebaut wird: Mexiko exportiert Rohöl billig und importiert Benzin u.a. Öl-Produkte teuer.


1955
Cárdenas wird der StalinLenin-Preis verliehen.*****


1957
Mexiko wird auch beim Rohöl zum Netto-Importeur.

1959
Juli: Cárdenas reist nach Kuba und beglückwünscht Fidel Castro zu seiner erfolgreichen Revolution.


Die Totengräber Mexikos und Kubas lassen sich feiern - so hoch steht der Dreck! (Das kann man nur im Suff ertragen :-)

(Castro tritt alsbald in Cárdenas' Fußstapfen, indem er alle ausländischen Unternehmen verstaatlicht. Binnen weniger Jahre wird Kuba vom reichsten zum ärmsten Land Lateinamerikas. Für Mexiko hat das immerhin einen positiven Effekt: Die enteignete Familie Bacardi verläßt Kuba und macht Mexiko zum weltweit größten Rum-Produzenten - endlich hat es wieder etwas zu exportieren! :-)

1968
Mexiko richtet als erstes lateinamerikanisches Land die Olympischen Sommerspiele aus. Linksradikale Studenten und Professoren der National-Universität unter Cárdenas Busenfreund Heberto Castillo nutzen die weltweite Aufmerksamkeit, um den gewaltsamen Aufstand zu proben. Als die Armee diesen ebenso gewaltsam niederschlägt, beklagt Cárdenas dies lautstark und vergießt literweise Krokodilsstränen.******


1970
19. Oktober: Lázaro Cárdenas stirbt in Mexiko Stadt an Leber-ZirrhoseKrebs und wird dortselbst auf der Gedenkstätte der Revolution begraben - neben Carranza, Villa und Calles.




* * * * * * * * * *

1988
Der 50. Jahrestag der glorreichen Verstaatlichungen wird mit großem Brimborium begangen, Cárdenas als Nationalheld gefeiert.


Auf den silbernen Gedenkmünzen, die zu diesem Anlaß geprägt wurden, nahm sich das recht imposant aus (wenn man mal davon absieht, daß sich deren Nennwert im Laufe des Jahres von 100 auf 5.000 Pesos verfünfzigfachte). Diese waren jedoch nur für den Export, d.h. den Verkauf an ausländische Sammler, bestimmt. Dikigoros und seine Frau haben sie jedenfalls im Lande nie gesehen; sie erinnern nur die schmuddeligen Papierlappen zu 10.000 Pesos, für die man gerade einmal essen gehen konnte. (Als junger Soldat hatte Dikigoros im Mexiko-Urlaub nie mehr als 10 Pesos für ein Essen ausgegeben - seine Ansprüche waren freilich nie so hoch wie die seiner Frau :-)


2013
Mexiko ist so gut wie bankrott, PEMEX dto. Die Regierung beschließt, das staatliche Öl-Monopol aufzugeben und den Energiesektor zu reprivatisieren, in der Hoffnung, Dumme zu finden ausländische Investoren anzuziehen, welche die marode Wirtschaft wieder auf die Beine bringen. (Immer mit dem Hintergedanken, sie nach erfolgreicher Sanierung erneut zu enteignen :-)
Cárdenas' Lebenswerk scheint dahin zu sein; er wird als Nationalheld bis auf weiteres entsorgt.


*Heute datieren die meisten Historiker den Beginn der Revolution auf das Jahr 1910, weil da Maduro aus seinem texanischen Exil zum Sturz Díaz' aufgerufen hatte. (Aber zwischen dem Aufruf zur Revolution und deren Ausbruch ist doch noch ein kleiner - nicht nur zeitlicher - Unterschied :-) Dikigoros weiß nicht, wann genau diese Vorverlegung statt fand; er erinnert nur, daß bereits 1985 der "75. Jahrestag der Revolution" amtlich gefeiert wurde.

(Verstanden hatte er das schon damals nicht, zumal im selben Jahr auch der 175. Jahrestag der Unabhängigkeit von Spanien gefeiert wurde und für 1987 der 125. Jahrestag der Schlacht von Puebla anstand. Dazwischen hätte man doch prima den Revolutionsbeginn von 1911 feiern können - so aber ging das Jahr 1986 leer aus.)

**Über die mexikanische Revolution von 1911 und ihre "Ismen" ist viel geschrieben worden - manche meinen: mehr verwirrendes als [er]klärendes. Mag sein, aber das liegt nicht notwendiger Weise an den Schreibern - zu denen u.a. ein so kluger Kopf wie Colin Ross zählte - sondern (auch) daran, daß jene Revolution halt verworren war. Es ist so bequem, Ursachen, Verlauf und Resultate einfach zu erklären, d.h. nach dem immer gleichen Schema F. Aber einfach muß nicht immer richtig sein. Mit Sicherheit falsch ist die These der Marxisten, daß Revolutionen entstehen - womöglich gar mit "historischer Notwendigkeit" -, wenn sich die "Klasse der Ausgebeuteten" gegen die "Klasse der Ausbeuter" erhebt, weil es ihr wirtschaftlich schlecht gehe. Das kommt fast nie vor. Die meisten Revolutionen entstehen vielmehr, wenn die Oberschicht die Zügel schleifen läßt, die wirtschaftlich prosperierende Mittelschicht auch politisch an die Macht will und es ihren Vertretern gelingt, die - durchaus nicht darbende, aber unzufrieden-neidische - Unterschicht, mit welchen Argumenten und Versprechungen auch immer, gegen die Oberschicht aufzuhetzen mit dem Ziel, nach deren Sturz selber an die Macht zu gelangen.

[Cardenas macht der Unterschicht große Versprechungen]

Das Resultat ist immer gleich: Nach den mit Revolutionen, Bürgerkriegen u.ä. zwangsläufig einher gehenden Zerstörungen geht es allen schlechter, außer den neuen Herrschern - in der Regel den "starken Männern", nach denen das Volk alsbald ruft, um den Revolutionen, Bürgerkriegen etc. ein Ende zu bereiten. Aber beide Erklärungsversuche passen weder auf die mexikanische noch auf die chinesische Revolution von 1911, weil sie einen wesentlichen Aspekt außer acht lassen, den man früher den "völkischen", heute lieber mit einem vermeintlich vornehmeren und weniger "belasteten" Fremdwort den "ethnischen" nennt: Weder Mexiko noch China haben eine heterogene Bevölkerung, darüber können weder die Gleichschaltungsversuche der Spanier seit dem 16. Jahrhundert noch die der Kommunisten seit Mitte des 20. Jahrhunderts hinweg täuschen - und früher hatten sie die noch viel weniger. Die "Räuberhauptmänner" in Mexiko und die "Warlords" in China waren keine "starken Männer", sondern eher zufällige Anführer unterschiedlicher Stämme (z.B. der Yaqui in Sonora und der Maya in Yucatán), die nach Unabhängigkeit von der Zentralmacht strebten. Auch an sich im ganzen Land populäre Gestalten wie Zapata und Villa behaupteten sich nur regional (ersterer im Süden, letzterer im Norden). Eigentlich kann man gar nicht von der Revolution sprechen, sondern nur von vielen unkoordinierten Revolutiönchen und Aufständen, die letztlich allesamt in Strömen von Blut erstickten. Die Zahl der Bürgerkriegs-Opfer ist nie genau ermittelt worden; Schätzungen schwanken zwischen 1,5 und 3 Millionen, zuzüglich ca. 700.000 Toten in der anschließenden "Guerra Cristera". Damit hätte Mexiko einen prozentual höheren Bevölkerungsverlust gehabt als jede am parallel statt findenden Ersten Weltkrieg beteiligte Nation. (In absoluten Zahlen forderten der chinesische Bürgerkrieg und der Stalin'sche "Holodrom" wohl noch deutlich mehr Opfer; aber wie viele genau wurde auch dort nie ermittelt.)

***Ca. 650 Millionen Euro nach der Währungsreform von 2002. Das klingt nicht viel, wenn man die heutigen Gewinne der Ölgesellschaften kennt. Und wenn man dann noch liest, daß Mexiko nach dem Ersten Weltkrieg der zweitgrößte Erdöl-Produzent und der größte Erdöl-Exporteur der Welt war, macht man sich leicht falsche Vorstellungen. Mexiko war der zweitgrößte Ölproduzent (nach den USA), weil die Ölfelder in Venezuela, Nordafrika und am Persischen Golf entweder noch nicht entdeckt oder noch nicht erschlossen waren. (Man förderte damals Öl in Niederländisch-Indien, in Rumänien, in Ungarn und selbst in der Lüneburger Heide. Über die damalige Ölproduktion in der UdSSR gibt es keine verläßlichen Zahlen.) Mexiko war der größte Öl-Exporteur, weil es selber noch kaum Erdöl [ver]brauchte: Es gab weder private Kraftfahrzeuge noch Ölheizungen noch eine nennenswerte Industrie. Und die Erlöse waren, verglichen mit heute, geradezu lächerlich gering: Eine Tonne Rohöl kostete nach Einsetzen der Weltwirtschaftskrise von 1929 weniger als einen US-$; der Umsatz brach denn auch um sage und schreibe 80% gegenüber den Höchstständen in den 1920er Jahren ein. Wobei "Umsatz" nicht mit "Gewinn" zu verwechseln ist: Die Exploration in Mexiko erforderte beträchtliche Investitionen, nicht bloß eine "Anschubfinanzierung", sondern sie verursachte auch hohe laufende Kosten (viel höhere als z.B. in den arabischen Ländern). Kurzum: Für große "Gewinnbeteiligungen" war kein Raum.

****Auch hier das gleiche Spiel wie bei der Revolution: Die Streikenden litten nicht etwa Not, sondern sie waren die mit Abstand bestbezahlten Arbeiter Mexikos, ja Mittelamerikas. Man liest heute oft, daß die lediglich "Gleichstellung" verlangten und daß die Ölgesellschaften ihnen im Durchschnitt nur halb so viel zahlten wie den Ausländern. Letzteres stimmt, lag aber einfach daran, daß jene Ausländer dem Management angehörten, während die Mexikaner Arbeiter waren. Es soll schon mal vorkommen, daß die letzteren weniger verdienen als die leitenden Angestellten - nicht nur in Mexiko und nicht nur im Ölgeschäft. Nach der Verstaatlichung wurde den Arbeitern nicht etwa die Lohnerhöhung gewährt, für die man sie vorgeblich hatte streiken lassen; vielmehr wurde ihnen der Lohn um 30% gekürzt. Wer jetzt noch streikte, wurde fristlos entlassen; Streikposten wurden ohne viel Federlesen erschossen.

*****In den offiziellen Verleihungslisten fehlen die Jahrgänge 1955-1957. Der Stalin-Friedenspreis wurde bis 1954 als solcher verliehen, ab 1958 als "Lenin-Friedenspreis". Die Preisträger vor 1958 wurden später aufgefordert, ihre Medaillen und Urkunden zurück zu geben zum Austausch gegen solche mit Lenins Bild und Namen. Wer davon Gebrauch machte oder nicht oder doch ist unbekannt - so auch im Fall von Cárdenas.

******Das gleiche Spiel zum Dritten: Noch nie hat eine Schüler- oder Studentenrevolte in irgendeiner Weise zur Verbesserung der Bildung oder der Berufsaussichten der Betreffenden beigetragen. Im besten Fall blieb die Obrigkeit hart und verwies die Krawallmacher von der Anstalt. Wenn nicht, wurde allenfalls eine Erleichterung der Zulassung oder der Prüfungen erreicht und damit eine Zunahme der Schüler und Studenten bzw. Absolventen. Dies führte aber wiederum zu einer schlechteren Ausbildung und verschlechterten Berufsaussichten auch für die besseren Schüler und Studenten. Massenuniversitäten und ein zahlreiches Proletariat arbeitsloser Akademiker sind Übel, die Hand in Hand gehen - so auch in Mexiko.


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