*Dikigoros verzichtet bewußt auf den Gebrauch unterschiedlicher Namen. In Asien war es üblich - und ist es z.T. bis heute -, seinen Namen mehrmals, je nach Lebensumständen, zu ändern, nicht nur wie im Westen bei Eheschließungen oder Adoptionen. "Sūn" ist der Name des Familienclans; den Rufnamen "Yat-sen" (auch in anderen Schreibweisen) soll er entweder während seiner Schulzeit in Hong Kong oder nach seiner Taufe angenommen haben.
**Ausweislich einer in den USA vorliegenden Geburtsurkunde wurde S. dagegen am 24.11.1870 auf Hawaii geboren. Die dortigen Behörden sind allerdings bekannt für ihre Großzügigkeit beim Ausstellen solcher Dokumente. Jüngstes Beispiel ist der Fall des in Kenya geborenen Krypto-Muslims Barack Hussein Obama, dem durch Falschbeurkundung bescheinigt wurde, auf Hawaii geboren zu sein; dies ermöglichte ihm, US-Präsident zu werden.
***Es ist sehr schwierig zu beurteilen, ob da ein Kausalzusammenhang vorlag oder lediglich eine zeitliche Koïnzidenz. Die chinesische Geschichtsschreibung, die Sūn uneingeschränkt verherrlicht, muß Yüan konsequenter Weise verteufeln (als schlechten Generalgouverneur von Korea, der dessen Abfall verschuldet habe) und lächerlich machen (als Sexprotz mit einem Dutzend Konkubinen, darunter, horribile dictu, Ausländerinnen - zumeist Koreanerinnen - und angebliche Ex-Prostituierte, von denen er an die 100 Kinder gehabt habe). Tatsächlich hatte auch Sūn, trotz seines ach-so-christlichen Glaubens, Konkubinen und von diesen Kinder - das war ganz einfach gute alte chinesische Tradition. (Allerdings wird darüber nicht gar so viel geschrieben :-) Militärisch war Yüan durchaus befähigt; seine Truppen waren für chinesische Verhältnisse recht kampfstark und zuverlässig - was man von denen Sūns nicht behaupten konnte. Yüan betrieb auch eine in Anbetracht der schwierigen Umstände halbwegs erfolgreiche Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die von ihm 1914 eingeführte Silberwährung - der "Yüan" - überlebte ihn um Jahrzehnte, während die "Zentralbank Chinas" - auf deren Gründung 1924 Sūns Biografen so stolz sind - nichts weiter produzierte als wertloses Papiergeld. [Die Silbermünzen mit Sūns Konterfei wurden erst 1929 unter Tschiang Kai-shek eingeführt; es waren umgeprägte Stücke aus Yüans Ära.]
(Die Umschrift ist jeweils von rechts nach links zu lesen. Beide Jahreszahlen sind - ähnlich wie früher bei der französischen Revolution von 1789 und wenig
später bei der italienischen Epoche des Fascismo - ab Beginn der Revolution von 1911 gerechnet. Links "3. Jahr" - also 1914 -, rechts "18. Jahr" - also 1929.)
****1929 wird der Sarkofarg in ein vor den Toren Nankings errichtetes Mausoleum überführt, wo er bis heute als Touristen-Attraktion dient.
*****Auch die USA widmen ihm zum 50. Jahrestag der Revolution von 1911 eine Briefmarke, nicht etwa Tschiang Kai-shek, mit dem sie offiziell - noch - verbündet sind. (Kennedy hatte sich bei den Präsidentschaftswahlen 1960 gegen Nixon durchgesetzt, der Taiwan 1972 zugunsten Rotchinas fallen lassen sollte.)
Ob dies mit der Wertschätzung seiner Person und/oder seiner politischen Ideen zu tun hat - oder doch mehr mit diplomatischem Kalkül - mag dahin stehen. Dikigoros muß gestehen, daß er sich nicht in Sūns Gedankenwelt hinein versetzen kann. Insbesondere entgeht ihm mangels ausreichender chinesischer Sprachkenntnisse der angebliche "tiefere Sinn" seiner "politischen Filosofie", die sich in den Wörtern "Min zu", "Min quan" und "Min sheng" ausdrücken soll. [Sie werden im Westen meist als "Drei Volksprinzipien" bezeichnet ("Min" bedeutet "Volk") und mit "Nationalismus", "Demokratie" und "sozialer Wohlfahrtsstaat" übersetzt; aber das greift wohl zu kurz.] Er würde das seiner eigenen Fantasielosigkeit anlasten, wenn da nicht diese doppelte Verehrung in zwei so unterschiedlichen Systemen wäre, die zeigt, daß auch viele Chinesen damit Verständnisschwierigkeiten haben - zumindest eine Seite muß sich ja irren.******
Wäre Dikigoros ketzerisch, dann würde er annehmen, daß Sūn sich zu keinem der beiden chinesischen Staaten bekannt hätte, die nach ihm entstanden, sondern vielmehr gewünscht hätte, es würde Nacht und die Preußen******* die Japaner kämen und würden dem ganzen Spuk ein Ende bereiten. Vielleicht war die auf seiner letzten Auslandsreise nach Kobe im November 1924 gehaltenen Rede, in welcher er die Errichtung einer "pan-asiatischen Wohlstandssfäre" befürwortete - s.o. -, doch ehrlich gemeint (vielleicht mit dem Hintergedanken, daß China aufgrund seiner größeren Bevölkerungszahl Japan eines Tages als deren Vormacht ablösen würde); dann hätte er die Zerstörung derselben durch die USA und ihre Alliierten womöglich als die größte Tragödie der chinesischen Geschichte angesehen.
Aber vielleicht war Sūn auch nur ein innerlich völlig zerrissener Mensch, der selber nicht genau wußte, was er wollte - außer persönlicher Macht -, wie so viele Politiker, die infolge ausländischer Erziehung zwischen den Kulturen hin und her gerissen waren.
******Sūn war in beiderlei Hinsicht kein Einzelfall. Ähnliches gilt für seine Zeitgenossen José Martí - der sowohl unter Fulgencio Batista auch unter Fidel Castro als Nationalheld Cubas diente - und José Rizal - der sowohl unter Ferdinand Marcos als auch nach dessen Sturz als Nationalheld der Pilipinen diente. Es ist halt immer leichter, jemanden zur Lichtgestalt zu machen, weil er gegen etwas ist - z.B. die böse Kolonialherrschaft - als weil er für etwas ist. Besonders dankbare Kandidaten sind Personen, deren Gedanken so verworren sind, daß völlig unklar bleibt, wofür sie eigentlich waren; man kann sie dann umso leichter für die eigene Ideologie in Anspruch nehmen.
*******Kleiner Scherz am Rande. Dikigoros hält diesen Spruch, der - so oder ähnlich - dem britischen General Wellington bei der Schlacht von Waterloo in den Mund gelegt wurde, nicht für authentisch, sondern für die Erfindung eines deutschen Drehbuchautors. Allerdings sollten die Preußen tatsächlich nach China kommen, nämlich in Person des Generalobersten a.D. Hans v. Seeckt, der 1933-35 als Militärberater von Tschiang Kai-shek fungierte.
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