Wie schrecklich ist Selbstherrschaft
ohne Selbstherrscher!* (Schulgin)
N I K O L A J II
(1868 - 1918)
Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros
- 1868
- 6./18. Mai**: Nikolaj ("Niki")*** Aleksandrowitsch Romanow wird als ältester Sohn des russischen Kronprinzen Aleksandr Romanow und seiner Ehefrau Marija (geb. Dagmar von Sonderburg-Glücksburg, Tochter des Königs von Dänemark und Herzogs von Schleswig-Holstein) in Tsarskoje Selo (heute: Puschkin) geboren.
- Das Haus Romanow herrscht theoretisch seit 1613 über Rußland. Ob dies auch mit der biologischen Praxis übereinstimmt, ist zweifelhaft. In Nikolajs Stammbaum befindet sich kaum eine gebürtige Russin; und die russischen Ehemänner standen bisweilen nur auf dem Papier. Das Haus Sonderburg-Glücksburg hat kurz vor seiner Geburt durch den Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 und den Preußisch-Österreichischen Krieg von 1866 Schleswig-Holstein an Preußen verloren; seitdem haßt Nikolajs Mutter Preußen abgrundtief; sie überträgt diesen Haß auch auf das 1871 von
Bismarck
gegründete [Klein]Deutsche Reich.
- 1874-1885
- Nikolaj erhält zunächst Privatunterricht. Zu seinen Lehreren zählt u.a. Konstantin Pobedonostsew (1827-1907), der bereits Erzieher seines Vaters gewesen war.
- 1881
- Nikolaj erlebt die Ermordung seines Großvaters, des Tsaren Aleksandr II, durch einen anarchistischen Attentäter mit.
- Nikolajs Vater besteigt als Aleksandr III den Thron; Nikolaj wird zum Thronfolger.
- 1885-1890
- Nikolaj studiert Rechtswissenschaften an der Universität von Sankt Peterburg; daneben absolviert er eine Offiziersausbildung an der Akademie des Generalstabs.
Wie einige "Historiker" angesichts dessen behaupten können, Nikolaj sei auf seine Rolle als Tsar "nur unzureichend vorbereitet" gewesen, bleibt schleierhaft; dies ist exakt die Ausbildung, die bis heute fast alle Monarchien ihren Thronfolgern angedeihen lassen.
- 1892
- August: Das russische Tsarenreich schließt ein
geheimes Militärbündnis
mit der Republik Frankreich gegen das Deutsche Reich.
- 1894
- 1. November: Nachdem sein Vater Aleksander III - wahrscheinlich an den Spätfolgen eines sozialistischen Attentats im Jahre 1888 - gestorben ist, erbt Nikolaj den Thron.
- 26. November: Nikolaj heiratet Alix, eine Tochter des Großherzogs von Hessen-Darmstadt (und Enkelin der Königin von England, Alexandrina v. Battenberg alias "Victoria"), die ihren Namen zu "Aleksandra" russifiziert.
- (Welcher Teufel Nikolaj ritt, als er diese Wahl traf, bleibt rätselhaft. Wohlwollende Biografen behaupten, es sei persönliche Liebe gewesen - als ob man sich davon bei Ehen dieses Standes leiten lassen dürfte! Vielleicht spielte eine Rolle, daß Alix - wie seine Mutter - Preußen abgrundtief haßte? [Mainstream-Historiker verneinen das; sie meinen vielmehr, die Tsarenmutter sei gegen diese Heirat gewesen.] Russische Patrioten, die sich endlich mal eine echte Russin als Tsarin gewünscht hätten, sehen in ihr nur die Deutsche und hassen sie von ganzem Herzen. Die Popularität des Hauses Romanow sinkt spürbar.)
- Aus der Ehe gehen vier gesunde Töchter und ein bluterkranker Sohn hervor.
Man soll die Natur nicht für dümmer halten als sie ist: Da die Bluterkrankheit nur auf Söhne vererbt werden - genauer gesagt nur bei ihnen ausbrechen - kann, läßt sie Frauen, die ihr Gen tragen - das bei ihnen aber rezessiv ist -, bevorzugt Töchter gebären. Erst im 5. Anlauf hatten die Romanows das Pech vermeintliche "Glück", einen Sohn zu bekommen.
- 1896
- 18. Mai: Bei den - erst jetzt statt findenden**** - Krönungs-Feierlichkeiten kommt es in Moskau zu einer Massenpanik, bei der sich tausende Schaulustige beim gierigen Kampf um die großzügig verteilten Geschenke des Tsaren tot trampeln. "Volkes Stimme" gibt Nikolaj die Schuld an den Vorkommnissen und deutet sie als schlechtes Omen für seine Herrschaft; er wird nie wirklich populär.
- 1899
-
- 18. Mai: Auf Anregung Nikolajs II. - der richtig erkannt hat, wie schlecht Rußland für militärische Auseinandersetzungen gerüstet ist - wird im niederländischen Den Haag eine internationale Friedenskonferenz abgehalten, bei der ein Abkommen zur Schlichtung von Konflikten und zur Einführung von Kriegskonventionen geschlossen wird (das freilich in der Praxis kaum Bedeutung erlangt).
- 1904-1905
- Im Krieg gegen Japan (um die Mandschurei und Korea) erleidet Rußland zu Lande und zu Wasser schwere Niederlagen; durch Intervention Deutschlands und der USA zugunsten Rußlands erreicht dieses jedoch einen milden Frieden. Dennoch kommt es im ganzen Reich zu Aufständen mit Massenstreiks der von den Sozialisten verhetzten Arbeiter, denen Nikolaj II unklugerweise nachgibt*****, indem er das allgemeine Wahlrecht einführt. (Das Parlament ["Duma"] ist freilich eine reine Legislative, d.h. die rechtsstaatliche Gewaltenteilung bleibt - anders als in modernen Parteien-"Demokratien" - erhalten.)
- 1905
- Juli: In Anbetracht der
heimlichen Unterstützung wohlwollenden Neutralität des Deutschen Reichs, insbesondere hinsichtlich der Überführung der russischen Ostsee-Flotte nach Tsushima, und der Verweigerung jeglicher Unterstützung durch seinen Bündnispartner Frankreich trifft sich Nikolaj mit seinem Vetter, dem Deutschen Kaiser
Wilhelm II,
im finnischen Björkö und schließt mit ihm einen geheimen Bündnisvertrag - der freilich auf den entschlossenen Widerstand der führenden politischen Kreise beider Staaten stößt und nie ratifiziert wird.
- 1906
- Wegen der Bluterkrankheit seines nunmehr zweijährigen Sohnes Aleksej holt Nikolaj II auf Druck seiner Frau den "Wunderheiler" Grigorij Rasputin an den Tsarenhof.
- (Auch dies nimmt ihm "Volkes Stimme" außerordentlich übel und trägt zu seiner wachsenden Unbeliebtheit bei.)
- 1907
- Juni: Nikolaj II löst die im Vorjahr gewählte Duma auf und beschränkt das Wahlrecht auf Steuern zahlende Bürger. Danach setzt er Neuwahlen an, die zu einer gemäßigten Parlamentsmehrheit führen.
- August: Nikolaj II empfängt den britischen Außenminister Nicholson in Sankt Peterburg. Rußland verbündet sich auch mit Großbritannien, obwohl Wilhelm II weiterhin nichts unversucht läßt, "von Monarch zu Monarch" zu einem guten Einvernehmen mit ihm zu gelangen.
- Diese Bemühungen waren weniger aussichtslos, als sie im Nachhinein dargestellt wurden. Die Briten schlossen die "Entente cordiale" - die eine Aufteilung des Iran (in "Interessensfären") vorsah - in erster Linie, um sich in Indien/Afģānistān den Rücken frei zu halten; gegen Deutschland richtete sie sich nur insofern, als sie de facto einen Bau der "Bagdad-Bahn" über Mesopotamien hinaus gen Osten verhinderte. Nicht nur ihre Gegner im Oberhaus debattierten noch bis 1914, ob man sie nicht kündigen sollte, um sich einen größeren Teil des Irans unter den Nagel zu reißen (obwohl man sich bereits alle Ölvorkommen gesichert hatte; die Russen hatten nur scheinbar, d.h. flächenmäßig, besser "abgeschnitten") -, sondern auch ihre Befürworter sahen sie wohl mit einer gehörigen Portion Cynismus. Allein auf ihrer Grundlage, d.h. ohne - offene oder verdeckte - Beteiligung anderer Staaten, insbesondere Frankreichs und der USA, wäre Großbritannien schwerlich an Rußlands Seite in einen Krieg gegen das Reich eingetreten, und entgegen der britischen Propaganda handelte es sich noch nicht um eine "Triple Entente", sondern um drei bilaterale Abkommen mit durchaus unterschiedlichen Inhalten.
- Überdies war Nikolaj im republikanischen Frankreich äußerst unpopulär - was er genau wußte, denn dort kursierten ganz offen, ohne daß die Regierung oder die Justizbehörden dagegen eingeschritten wären, Ansichtskarten mit Vexierbildern nach anglo-amerikanischen Vorbildern, die mehr oder weniger deutlich zur Ermordung der Tsarenfamilie aufriefen. (Die beschönigende Interpretation als "Anklage gegen das mörderische Tsarenregime" ist schwerlich haltbar, denn die Tsarin konnte dafür kaum verantwortlich gemacht werden, geschweige denn der kleine Tsarjewitsch.)
- ab 1910
- Nikolaj verschärft die ohnehin schon schwer auf den nationalen Minderheiten lastende Russifizierungs-Politik gegenüber Polen, Deutschen, Finnen und Balten. Zugleich unterstützt er die "pan-slawistischen" National-Bewegungen auf dem Balkan.
- 1912
- Von Sibirien ausgehend breitet sich erneut eine Streikwelle über Rußland aus; diesmal läßt Nikolaj sie kompromißlos niederschlagen.
- 1913
- Nikolaj läßt mit großem Aufwand das 300-jährige Thronjubiläum der Romanow-Dynastie feiern. Die Begeisterung der Bevölkerung hält sich in Grenzen.
- 1914
- Juli: Nach der Ermordung des Habsburger Thronfolgers Ferdinand durch den Angehörigen einer - von Rußland unterstützten - serbischen Terroristengruppe erklärt Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Entgegen den Warnungen seiner Ratgeber entschließt sich Nikolaj II zum Krieg an der Seite Serbiens gegen Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich, der sich durch den Kriegseintritt Frankreichs und Großbritanniens zum
Ersten Weltkrieg ausweitet.****** Die russisch-serbischen Kriegsziele sind beinahe bescheiden zu nennen.
- Nikolaj II läßt die Nachkommen der deutschen Siedler, die sich einst von Katharina II mit großzügigen Versprechungen (Steuerfreiheit, Religionsfreiheit, eigene Schulen, Befreiung vom Militärdienst) - die bereits von Nikolajs Vater und Großvater gebrochen wurden - in die Grenzprovinzen Wolhynien und Podolien hatten locken lassen, enteignen und ins Innere Rußlands deportieren; der Gebrauch der deutschen Sprache wird unter Strafe gestellt.
- 1915
- September: Nachdem einige militärische Anfangserfolge durch schwere Niederlagen zunichte gemacht worden sind, übernimmt Nikolaj II. persönlich den Oberbefehl über seine Streitkräfte; er exponiert sich dadurch noch mehr, da die weiteren Niederlagen nun ihm selber angelastet werden. Erschwerend wirkt sich aus, daß er mit einer Deutschen verheiratet ist, was den Russen zunehmend suspekt wird.
- 1916
- Militärische Rückschläge - vor allem das Scheitern der anfangs viel versprechenden "Brussilow-Offensive"******* -, Versorgungs-Engpässe und sozialistische Hetzpropaganda führen zu Meutereuen in den Streitkräften sowie zu landesweiten Streiks und Arbeiteraufständen.
- 1917
- 28. Februar: Die bürgerlichen Parteien der Duma bilden eine "provisorische Regierung" unter Fürst Lwow.
- 11. März: Nikolaj II löst die Duma auf und befiehlt, die Aufstände militärisch nieder zu werfen - was mißlingt.
- 15. März: Nikolaj II dankt ab. Die Reaktionen darauf sind geteilt: Während in Deutschland Friedenshoffnung aufkommt, weil der russische Bär seine Ketten, die ihn im Krieg hielten, zerrissen hat, glaubt man in Frankreich, daß nun, da nicht mehr die Tsarenkrone, sondern die Jakobinermütze über dem Doppeladler steht, der Sieg im Fluge nahe.
- 21. März: Nikolaj II wird verhaftet und zunächst in Tsarskoje Selo festgesetzt, später mitsamt seiner Familie nach Jekaterinburg (Sibirien) deportiert.
- Oktober: Die Bolschewisten unter dem Juden Wladimir Uljanow
("Lenin")
ergreifen die Macht. Sie wandeln das Tsarenreich in einen "Bund der sozialistischen Sowjet-Republiken" (im Westen kurz "Sowjet-Union" genannt) um.
- 1918
- 16./17. Juli: Nikolaj II und seine Familie werden von den Bolschewisten ermordet.
* * * * *
- 1926
- Februar: Die Kronjuwelen und der persönliche Schmuck der Romanows werden vom bankrotten Sowjet-Regime beim Londoner Auktionshaus Christie's für
600.000 Pfund
verscherbeltversteigert.********
- 1991
- Die Sowjet-Union zerbricht in ihre Bestandteile; die nicht-russischen Völker machen sich selbständig; das Kernland wird wieder zu "Rußland".
- 1998
- Juli: Der russische Präsident
Boris Jeltsin
läßt die sterblichen Überreste Nikolajs und seiner Familie mit großem Pomp in Sankt Peterburg neu beerdigen.
- 2000
- August: Nikolaj II wird von der russisch-orthodoxen Kirche heilig gesprochen; seine gesamte Familie wird zu "Martyrern [Blutzeugen]" erklärt.
- 2006
- September: Die sterblichen Überreste von Nikolajs 1928 im Exil verstorbenen Mutter werden unter Jeltsins Nachfolger
Wladimir Putin
von Dänemark nach Rußland überführt und ebenfalls in Sankt Peterburg beigesetzt.
- 2008
- Juni/Juli: Der russische Staatssender Rossija läßt seine Zuschauer den "größten Russen aller Zeiten" wählen. Nikolaj II landet auf Platz 2 (hinter
Stalin :-).
- Oktober: Nikolaj II - von der Sowjet-Propaganda Jahrzehnte lang verteufelt - wird von den russischen Behörden offiziell rehabilitiert.
*Die amtliche Bezeichnung des russischen Herrschers lautete nicht "Tsar" (eine Verballhornung von "Caesar"), sondern "Imperator i samoderzhets", Kaiser und Alleinherrscher (wörtlich "Selbstführer"; Dikigoros folgt hier ausnahmsweise der im Ausland üblichen - ungenauen - Übersetzung "Selbstherrscher"). Ob er seine Herrschaft tatsächlich "selbst" ausübte, wurde allerdings bezweifelt, und zwar nicht erst im Nachhinein von Historikern im Elfenbeinturm, wie bei seinem Vetter, dem deutschen Kaiser Wilhelm II, sondern bereits von seinen Zeitgenossen, allen voran der veröffentlichten Meinung, zu der auch Schulgin zählte. Im Volk war bald der Glaube verbreitet, daß Nikolaj sich seine politischen Entschlüsse von der Tsarin und deren Günstlingen, allen voran dem berühmt-berüchtigen Rasputin, "einflüstern" ließ. Quellenmäßig belegen lassen sich diese Vermutungen freilich nicht. (Aber das liegt auch in der Natur der Sache Quellen; "Flüsterprotokolle" pflegen nun mal nicht erstellt zu werden :-)
**In Rußland galt damals noch der "iulianische Kalender", in den meisten anderen Staaten der "gregorianische", aus dem 12 Tage gestrichen wurden. Dikigoros verwendet im folgenden die Datierung des letzteren.
***Entgegen vor allem in Deutschland verbreiteten Gerüchten war dies nicht bloß ein Spitzname, den Kaiser Wilhelm II sich für den persönlichen Verkehr mit seinem Vetter ausgedacht hatte - dieser nannte ihn vielmehr auf Englisch "Nicky" [mit kurzem "i"]. Dagegen wurde Nikolaj von seiner Mutter "Niki" [mit langem "i"] gerufen und unterschrieb so auch noch als Tsar seine Briefe an sie. Noch etwas für die Besser-Wessis: (Dikigoros betont ausdrücklich, daß er keine diesbezüglichen Mails von Ossis erhalten hat; dies, weil er kürzlich in einem Forum las, wie sich jemand darüber beklagte, daß bei ihm "wir Ostgoten oft so schlecht weg kommen". Aber liebe Ossis, das wollt Ihr doch bitte nicht als Pauschalurteil mißverstehen! Auch Wessis kommen bei ihm oft schlecht weg; er verkneift sich hier die Ergänzung: "weil er sich als Nordi fühlt"; sonst würden Ossis und Wessis womöglich unisono über ihn herfallen mit dem - berechtigten - Hinweis, daß auch Sarah Sauer, geb. Kasner, gesch. Merkel,
die größte Politiverbrecherin der deutschen und europäischen Geschichte, gebürtige "Nordi" ist.) Der russische Name des letzten Tsaren wird in der BRDDR meist "Nikolai" geschrieben, also am Ende mit "i"; aber das ist falsch. Dikigoros weiß wohl, daß es vor der bolschewistischen Rechtschreibreform von 1918 im Russischen nicht nur zwei, sondern gleich drei "i" gab: das weiche geschlossene "и", das harte geschlossene "i" (das es heute nur noch im Ukraïnischen und Weißrussischen gibt) und das [halb-]offene "ы"; aber er kann seinen Lesern versichern, daß sich "Nikolaj" am Ende mit keinem der drei schrieb, sondern immer mit "й", also "j"! (Daß Nikolaj das, was des Russischen unkundige deutsche Leser als "U-Strich" zu bezeichnen pflegen, in seiner Signatur wie ein riesiges deutsches "l" schrieb, steht auf einem anderen Blatt und ist eher ein Thema für Psychologen als für Historiker :-)
****Das ist nicht so außergewöhnlich, wie man meinen könnte: Bereits Nikolajs Vater war erst mit zwei Jahren "Verspätung" gekrönt worden.
*****Die später von der sowjetischen Hetz-Propaganda verbreiteten "Greueltaten" sind überwiegend frei erfunden. So wurden z.B. die Szenen vom "Sankt Peterburger Blutsonntag", die bis heute gerne in Pseudo-"Dokumentar"-Filmen gezeigt werden, ebenso von Schauspielern dargestellt wie die Szenen auf der
Richelieu-Treppe von Odessa mit den von tsaristischen Kosaken erschossenen Frauen und Kindern, die der Spielfilm
Panzerkreuzer Potëmkin berühmt gemacht hat.
******Angesichts dessen hat man oft gefragt, wer der "[Haupt-]Schuldige" am Ausbruch des 1. Weltkriegs gewesen sei. (Favorit der neueren, "neutralen" Forschung ist der französische Präsident Poincaré, der ein paar Tage nach dem Attentat von Sarajevo nach London und Sankt Peterburg reiste - sicher nicht nur, um ein paar schöne Paraden abzunehmen, sondern vielmehr, um seine lieben Verbündeten zu "bearbeiten", sich einem Krieg gegen Deutschland anzuschließen.) Aber eine solche juristische Fragestellung ist in der Politik fehl am Platze. Schon Nietzsche hatte bemerkt: "Es gibt ein fortwährendes Umwandeln [...] der Moral - das bewirken die Verbrechen mit glücklichem Ausgange." Und zwei Generationen zuvor hatte ein Zeitgenosse von Napoleon Bonaparte (wahrscheinlich nicht Talleyrand, dem es meist zugeschrieben wird, aber darauf kommt es hier nicht an :-) das Bonmot geprägt: "C'est pire qu'un crime, c'est und faute [Das ist schlimmer als ein Verbrechen, es ist ein Fehler]." Die Kausalkette, die 1914 zum Krieg führte, hatte viele Glieder, und an jedem einzelnen hätte sie unterbrochen werden können. Die Frage sollte lauten: Welches dieser Glieder beging den größten Fehler, als es das nicht tat? Oder, anders ausgedrückt: Wessen Festhalten am Kriegspfad war am unsinnigsten? Da fällt die Antwort nicht schwer: Nikolaj glaubte, das kleine, schwache Brudervolk der Serben gegen das große, starke Habsburgerreich schützen zu müssen. Aber das war völlig unnötig: Die gerade erst in zwei Balkankriegen gestählten Truppen Serbiens waren den Schlipssoldaten Österreich-Ungarns, die seit fast einem halben Jahrhundert bloß in Friedensmanövern "erprobt" waren, qualitativ weit überlegen. Letztere holten sich trotz erdrückender numerischer und materieller Vorteile blutige Nasen, bis die Deutschen endlich ein paar Divisionen schickten, um Serbien für sie zu erobern - was sie aber mit Sicherheit nicht getan hätten, wenn Rußland nicht an Serbiens Seite in den Konflikt eingegriffen hätte. So steht am Anfang des 1. Weltkriegs ein Treppenwitz der Geschichte; und sein Urheber Nikolaj - der von allen Beteiligten am wenigsten zu gewinnen und am meisten zu verlieren hatte, wie ausgerechnet Rasputin ihm eindringlich dargelegt haben soll - hatte am Ende nicht mal mehr Gelegenheit, über ihn zu lachen.
*******Wenn es um idiotischkurios verlaufene "große" Schlachten des 1. Weltkriegs geht, hört oder liest man meist die Schlagwörter "Marne", "Verdun",
"Somme" und "Skagerrak". Dabei zählt die Brussilow-Offensive mit zu dieser "Spitzengruppe" - wenn ihr nicht sogar der erste Rang gebührt: Ursprünglich nur als Ablenkungsmanöver für eine weiter nördlich geplante Offensive gedacht, traf sie in vorderster Linie auf tschechische Einheiten der k.u.k. Armee, die geschlossen die Seiten wechselten, damit beinahe die gesamte Karpathenfront der Mittelmächte zum Einsturz und auch das bis dahin auf dem Papier mit letzteren verbündete Rumänien zum Kriegseintritt auf Seiten der Entente brachten; lediglich kleinere deutsche Kontingente hielten aus und verhinderten den völligen Zusammenbruch. Nachdem jedoch die tschechischen und rumänischen Stoßtruppen verheizt worden waren und die russischen Kommandeure versuchten, die Offensive mit eigenen Truppen fortzusetzen, verweigerten diese den Befehl und begannen zu meutern, wodurch sich das Blatt wendete. Zwei Jahre nach Beginn der Kampfhandlungen hatte Rußland neben 2 Millionen Gefallenen auch 1,5 Millionen Deserteure verloren. (Es hatte sich irgendwie herum gesprochen, daß die Verpflegung in deutschen Kriegsgefangenenlagern immer noch besserweniger schlecht war als bei den russischen Fronttruppen.)
********Die Geschichte der Romanow-Juwelen ist eine Räuberpistole sonder gleichen. Ihr Wert war im Vorfeld der Auktion auf rund 50 Millionen Pfund geschätzt worden, also mehr als das 80-fache. Das Ergebnis war also mehr als enttäuschend. Aber damals gab es in den meisten "kapitalistischen" Ländern (und nur die zählten auf den Devisenmärkten :-) noch eine unabhängige Justiz; und trotz der "öffentlichen Versteigerung" lief der Erwerber Gefahr, wegen der unklaren Eigentumslage von etwaigen Erben der Romanows belangt zu werden und das ersteigerte Raubgut entschädigungslos zu verlieren - von der Gefahr, Fälschungen zu ersteigern, ganz abgesehen. Daher fielen insbesondere potentielle Interessenten aus den USA weg. (Die Sowjet-Union wurde von den meisten "kapitalistischen" Ländern diplomatisch nicht anerkannt; von den USA erst nach der Machtergreifung des Stalin-Bewunderers
Roosevelt.)
Der Zuschlag ging schließlich an eine BandeInteressengemeinschaft jüdischer Juweliere aus Frankreich; seitdem sind die Juwelen nie wieder aufgetaucht.
Seit einigen Jahr[zehnt]en ist jedoch eine Tendenz zur systematischen Legendenbildung "von oben" festzustellen, folgenden Inhalts: Die Sowjets haben die Juwelen keineswegs 1926 in England versteigern lassen; vielmehr hatten sie diese bereits 1920 an die Republik Irland verpfändet für einen Kredit in Höhe von 25.000.- US-$. (Die Übergabe erfolgte in den USA.) In Irland wurden sie dann einstweilen "vergessen"; erst 1948 wurden sie "zufällig wieder entdeckt"; daraufhin zahlte die Sowjet-Union den Kredit an Irland zurück und erhielt im Gegenzug 1950 die Juwelen zurück, die seitdem im Kreml-Museum zu sehen sind.
Dieses Märchen wird u.a. auf der Verdummungs-Internet-Plattform
Wikipedia
verbreitet; Filmaufnahmen der Auktion bei Christie's anno 1926, die noch existieren und gelegentlich bei
YouTube
und anderswo aufgeladen werden, werden immer wieder gesperrt. (Dikigoros ist bemüht, eine aktuelle URL zu verlinken, kann sie aber nicht ständig kontrollieren. Wer feststellt, daß sie down ist, darf ihm gerne eine funktionierende
mailen.) Tatsächlich ließ die Sowjet-Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg Kopien der 1926 verscherbelten Juwelen anfertigen, um diese im Kreml auszustellen.
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