RAINER  BARZEL

(20.06.1924 - 26.08.2006)

[Rainer Barzel]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros

1924
20. Juni: Rainer Candidus Barzel wird in Braunsberg (Ostpreußen) als fünftes von sieben Kindern des Oberstudienrats Candidus Barzel und seiner Ehefrau Maria geboren. Als Ermländer ist er Katholik.


Er wächst in Berlin auf, wo er das (jesuitische) Canisius-Kolleg1 und das Luisen-Gymnasium besucht. Er wird Mitglied im katholischen Bund Neudeutschland.

1939
September: Großbritannien und Frankreich erklären dem Deutschen Reich den Krieg, der sich bald zum Zweiten Weltkrieg ausweitet.

1941-45
Nach dem Not-Abitur zur Wehrmacht eingezogen, dient Barzel als Marineflieger, zuletzt im Range eines Leutnants d.R.

1945-49
Nachdem seine Heimat von Polen annektiert unter vorübergehende polnische Verwaltung gestellt worden ist, die alle Deutschen, die nicht rechtzeitig geflohen sind, ermordet die allen Deutschen, die es nicht vorgezogen haben, in ihrer Heimat zu sterben, großzügiger Weise die Ausreise erlaubt, geht Barzel erst nach Schleswig-Holstein, dann ins Rheinland.

[Besatzungszonen 1945] [Köln 1945]

An der Universität zu Köln absolviert er ein Studium der Rechtswissenschaften und der Volkswirtschaftlehre, das er mit dem 1. juristischen Staatsexamen und einer Promotion zum Dr. iur. abschließt.
(Seine Dissertation befaßt sich mit einer angesichts der anstehenden Verabschiedung des Grundgesetzes hoch aktuellen Frage, nämlich den verfassungsrechtlichen Grundrechten und - wie der Doktorvater von Dikigoros, der unter einem anderen Aspekt über das gleiche Thema promoviert hat, stets zu betonen pflegte - Grundpflichten :-)

1948
Mai: Barzel heiratet Kriemhild, geb. Schumacher. (Aus der Ehe geht eine Tochter hervor.)

1949
Barzel wird, ohne ein Referendariat absolviert, geschweige denn das 2. Staatsexamen abgelegt zu haben, in den höheren Dienst des neu gegründeten Landes Nordrhein-Westfalen (die unter vorübergehender britischer BesatzungVerwaltung stehende ehemalige Rheinprovinz des von den alliierten BesatzernBefreiern für aufgelöst erklärten Preußen) übernommen und arbeitet zunächst in dessen Vertretung beim Wirtschaftsrat der Bi-Zone in Frankfurt am Main, nach Gründung der "Bundesrepublik Deutschland" (bestehend aus den drei westalliierten Besatzungszonen mit Ausnahme des Saarlands - das bis 1957 französisch besetzt bleibt - und West-Berlins, das einen Sonderstatus erhält) in dessen Vertretung beim Bund in Bonn am Rhein.

[Frankfurt 1949] [Bonn 1949]

1954
Barzel, der bis dahin nach außen dem Zentrum nahe stand, wird angesichts dessen offensichtlichen Niedergangs offiziell2 Mitglied der von breiten Wählerschichten als dessen Nachfolgepartei wahrgenommenen "Christlich-Demokratischen Union (CDU), die damals in Nordrhein-Westfalen regiert.

1955
Barzel wird Wasserträgerpersönlicher Berater und Redenschreiber des NRW-Ministerpräsidenten Karl Arnold im Range eines Ministerialrats - typisches Karriere-Beispiel eines politischen Beamten.

1956
Oktober: Nach dem Sturz Arnolds wird Barzel hauptamtlicher Mitarbeiter der CDU Nordrhein-Westfalens, zunächst als geschäftsführendes Mitglied im Landespräsidium.

1957
September: Bei der Bundestagswahl gewinnt die CDU/CSU erstmals (und letztmals :-) die absolute Mehrheit. Barzel wird MdB für den Wahlkreis Paderborn-Wiedenbrück.


1959
Barzel - der sich als "Spezialist für Verfassungsrecht" sehr für die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht und die dazu notwendige Änderung des Grundgesetzes mit Zweidrittelmehrheit der BT-Abgeordenten eingesetzt hat - wird von der Bundesmarine zum Oberleutnant d.R. befördert.

1960
Barzel wird Mitglied des CDU-Bundesvorstand und des Vorstands der CDU/CSU-Bundestags-Fraktion.

1961
Bei der Bundestagswahl verliert die CDU/CSU ihre absolute Mehrheit und geht eine Koalition mit der FDP ein.

1962
Barzel wird Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen im letzten Kabinett Adenauer.

1963
Oktober: Adenauer wird von der eigenen Partei gezwungen, als Bundeskanzler zurück zu treten. Sein Nachfolger Ludwig Erhard entläßt Barzel und macht den FDP-Vorsitzenden Erich Mende zum neuen BMgF.

1964
Dezember: Barzel wird offiziell3 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

1965
Bei der Bundestagswahl wird die Koalition aus CDU/CSU und FDP bestätigt; letztere beginnt jedoch zu schwächeln.


1966
November/Dezember: Auch Erhard wird von der eigenen Partei gezwungen, als Bundeskanzler zurück zu treten. Barzel versucht, neuer CDU-Vorsitzender und Bundeskanzler zu werden, unterliegt jedoch in einer Kampfabstimmung dem Minister-Präsidenten von Baden-Württemberg, Kurt-Georg Kiesinger. Barzel wird immerhin zum stellvertretende Parteivorsitzenden gewählt. Mit seinem Kollegen, dem Fraktionsvorsitzenden der neuen Koalitionspartnerin SPD, Helmut Schmidt 'Schnauze', verbindet ihn bald eine enge persönliche Freundschaft.
Die Illustrierte stern kürt ihn zum "Mann des Jahres".


1969
Oktober: Nach der Bundestagswahl wird der SPD-Vorsitzende Willy Brandt neuer Bundeskanzler.
Barzel wird Oppositionsführer; er kritisiert besonders die "neue Ostpolitik", die auf eine Anerkennung der Oder-Neiße-Linie ohne Gegenleistung hinaus läuft.

1971
Juli: Kiesinger erklärt seinen Verzicht auf den CDU-Vorsitz.
Oktober: Barzel wird nach einer Kampfabstimmung gegen den Minister-Präsidenten von Rheinland-Pfalz, Helmut Kohl, neuer Bundesvorsitzender der CDU.

1972
April: Der Versuch, Brandt durch ein konstruktives Mißtrauensvotum zu stürzen und Barzel zum neuen Bundeskanzler zu machen, scheitert daran, daß die SPD (mit Geldern des Ministeriums für Staatssicherheit der "DDR") einen Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion mehr gekauft4 hat als umgekehrt.
November: Bei der vorgezogenen Neuwahl zum Bundestagswahl wird die CDU erstmals von der SPD überflügelt - sie hat einen ausgesprochen stümperhaften Wahlkampf geführt, in dem sich Barzel alleine auf kein einziges Wahlplakat getraut hat, mit bei der US-Negerbewegung abgekupferten Slogans, bei denen das CDU-Logo schamrot wird und sich ganz klein macht.


Barzels Traum von einer Kanzlerschaft ist damit ausgeträumt.

1973
Mai/Juni: Barzel tritt von seinen Ämtern als CDU-Bundesvorsitzender und CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender zurück. Nachfolger werden seine Intimfeinde Helmut Kohl bzw. Carl Carstens.

1976
Barzel wird Vorsitzender des BT-Wirtschaftsausschusses.

1980
Februar: Barzel wird Frühstücksdirektor"Koordinator" für die deutsch-französische Zusammenarbeit.
Oktober: Kriemhild Barzel stirbt an Blutkrebs.
Dezember: Barzel wird Vorsitzender des BT-Ausschusses für Auswärtiges.

1982
Mai: Barzel heiratet in 2. Ehe Helga, geb. Henselder (1940-1995), die er zwei Jahre später zur FrühstücksdirektorinPräsidentin der Welthungerhilfe macht.
Oktober: Nachdem der FDP-Vorsitzende Genscher die Seiten gewechselteine neue Koalition mit der CDU/CSU eingegangen hat, wird Kohl Bundeskanzler und Barzel noch einmal BMgF - unter der neuen Amtsbezeichnung "Bundesminister für Innerdeutsche Beziehungen".

1983
März: Nachdem die CDU die vorgezogene Bundestagswahl gewonnen hat, legt Barzel sein Ministeramt nieder und wird Bundestagspräsident.

1984
Oktober: Nach Vorwürfen im Zusammenhang mit der "Flick-Affäre" - angesichts derer ihn Kohl demonstrativ hängen ertrinken auf dem Trockenen sitzen läßt - tritt Barzel als Bundestagspräsident zurück.5


1987
Barzel hat die Nase voll von der großen Politik und zieht sich ganz aus dem Bundestag zurück.
Er verbringt seinen Lebensabend damit, Bücher zu schreiben und Filme zu drehen.

1995
Dezember: Helga Barzel stirbt bei einem selbst verschuldeten Autounfall.

1997
Mai: Barzel heiratet in 3. Ehe die Schauspielerin Ute, geb. Cremer. (Sie ist drei Jahre jünger als seine Tochter Claudia - die er bereits 1977 durch Selbstmord verloren hatte - und die einzige Frau in der Familie, die ihn überlebt.)


2004
Juni: Barzels 80. Geburtstag wird in München mit einem großen BahnhofEmpfang gefeiert.

2005
Januar: Barzel wird zum letzten Mal in der Öffentlichkeit gesehen.

[Barzel 2005 mit lachender Witwe in spe]

2006
26. August: Rainer Barzel stirbt in München und wird eine Woche später auf dem Zentralfriedhof in Bonn-Kessenich beerdigt.


1Das Canisius-Kolleg genoß lange Zeit einen ausgezeichneten Ruf und verfügte über eine hervorragende Bibliothek, von der andere Schulen, wie z.B. das ehemalige Jesuiten-Kolleg, das Dikigoros bis zum Abitur besuchte, nur träumen konnten. Sie enthielt vor allem zahlreiche Werke aus den 1920er und 1930er Jahren, die anderswo längst den Bücherverbrennungen gut-demokratischen Säuberungen der BRD-Zensoren zum Opfer gefallen waren. Seit Ende des 20. Jahrhunderts machte das Kolleg freilich nur noch durch Schwulitäten von sich reden und verramschte einige seiner bestennicht mehr zeit[geist]gemäßen Bücher, die dadurch in den Besitz von Dikigoros gelangten.

2Tatsächlich war Barzel schon längere Zeit "Panzerschrank"-Mitglied, d.h. sein unterschriebener Antrag auf Mitgliedschaft ruhte in einem Panzerschrank des zuständigen CDU-Kreisverbands. Dies war eine gängige Praxis, der z.B. auch im Falle von Ludwig Erhard gefolgt wurde, der lange Zeit als "parteilos" galt und offiziell erst unmittelbar vor seiner Wahl zum Bundeskanzler Mitglied wurde.

3Tatsächlich hatte Barzel bereits seit 1963 den schwer erkrankten Fraktions-Vorsitzenden Brentano vertreten.

4In diesem Zusammenhang wird öfters das Wort "Bestechung" verwendet, was jedoch politischjuristisch unkorrekt ist: Nach deutschem RechtGesetz dürfen sich BT-Abgeordenete ungestraft bestechen lassen können BT-Abgeordnete nicht bestochen werden.

5Dikigoros schreibt bewußt nicht "wurde Barzel zum Rücktritt... gezwungen", denn das hätte auch Kohl nicht gekonnt. Vielmehr war Barzel zu diesem Zeitpunkt offiziell von allen Vorwürfen rein gewaschen entlastet.


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