CHAIM  WEIZMANN

(27.11.1874 - 09.11.1952)

[Chaim Weizmann 1943]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros

1874
27. November: Chaim Weizmann wird als drittes von 15 Kindern des Kaufmanns Oizer Weizmann und seiner Ehefrau Rachel in Motal nahe Pinsk geboren.
[Die Juden im Tsarenreich leben ausschließlich im "Rayon", d.h. solchen Gebieten, die früher zum polnisch-litauischen "Iagiellonenreich" gehörten; im eigentlichen Rußland dürfen sie nicht siedeln.]


1879-85
Weizmann besucht eine Jéder (fundamentalistische jüdische Religionsschule, einer muslimischen Koranschule vergleichbar).

1885-1892
Weizmann besucht die deutschsprachige Oberschule in Pinsk.

1892
Weizmann geht nach Deutschland und nimmt ein Studium der Chemie an der TH Darmstadt auf.

1894
Weizmann wechselt an die TH Berlin.*


1896
Der Deutsch-Ungar Theodor Herzl (1860-1904) veröffentlicht "Der Judenstaat". Darin propagiert er, daß die Juden angesichts des zunehmenden Anti-Semitismus (vor allem in Frankreich - wo gerade die "Affaire Dreyfus" hohe Wellen schlägt) Europa verlassen und sich eine neue Heimstätte in Palästina (das damals noch zum Osmanischen Reich gehört) schaffen sollen. Weizmann ist von dieser Idee fasziniert.

1897
August: Auf dem 1. Zionisten-Kongreß in Basel wird die "Zionistische Weltorganisation" (Englisch - und seit 1960 offiziell -: "World Zionist Organisation [WZO]") gegründet, deren erster Präsident Herzl wird (und bis zu seinem Tode bleibt).
Weizmann übersiedelt in die Schweiz und setzt sein Studium an der Universität Freiburg fort.

1899
Weizmann wird zum Dr. rer. nat. promoviert.

1901
Weizmann wird Assistent an der Universtität Genf.

1902
Weizmann kommt auf die Schnapsidee, daß der Judenstaat Hebräisch - eine tote semitische Sprache, die außer ein paar Rabbis und Streng-Orthodoxen niemand mehr richtig beherrscht - zur Staatssprache machen müsse, und beginnt sie durch Flugblätter für eine "Hebräische Universität" in Jerusalem zu propagieren.

1904
Weizmann wird Dozent an der Universität Manchester, dem Wahlkreis des konservativen Premierministers Arthur Balfour, mit dem er persönliche Bekanntschaft** schließt.

1906
Weizmann heiratet die aus Rostow/Don stammende Medizin-Studentin*** Wera, geb. Chatzmann (1881-1966), die er bei einem Zionistentreffen in Genf kennen gelernt hat. (Aus der Ehe gehen zwei Söhne hervor.)

1910
Weizmann erwirbt die britische Staatsbürgerschaft.

1914
August: Großbritannien erklärt dem Deutschen Reich den Krieg, der sich bald zum Ersten Weltkrieg ausweitet.
November: Großbritannien und seine Verbündeten erklären auch dem Osmanischen Reich den Krieg, um sich die Meerengen und die arabischen Gebiete als Kolonien einzuverleiben.


1916
Weizmann wird Leiter der britischen Giftgas-Labore. Dank seiner Effizienz gelingt es, die seit 1915 schwelende Munitions-Krise zu überwinden.
(Im Kriegsdurchschnitt wird jede zweite britische Granate mit Giftgas befüllt; bis 1918 steigt ihr Anteil auf ca. 80%.)

1917
Weizmann erhält von Balfour die schriftliche Zusicherung, nach dem Sieg über die Türken für die jüdischen Zionisten eine Heimstatt in Palästina zu schaffen.
(Den Führern der Araber, die auf Seiten der Entente kämpfen, sichert er dagegen zu, dortselbst einen unabhängigen muslimischen Staat zu schaffen. Keine der beiden Zusicherungen war ernst gemeint. Ernst gemeint war allein die mit Frankreich getroffene Vereinbarung ("Sykes-Picot-Abkommen"), den "Mittleren Osten" unter sich aufzuteilen)

1918
Juli: Nach BesetzungBefreiung Jerusalems durch britische Truppen erfolgt auf dem Skopus-Berg mit viel Tamtam die Grundsteinlegung für die von Weizmann geplante "Hebräische Universität".
Damit ist eine verhängnisvolle Vorentscheidung zuungunsten der althergebrachten Kultursprachen Jiddisch und Ladino gefallen; Israel isoliert sich mit Einführung dieser Sprache - und vor allem der altertümlichen, unpraktischen Schrift - scharf vom Rest der Welt. (Aber vielleicht haben Weizmann und seine Gesinnungsgenossen das ja gerade beabsichtigt :-) Allerdings ist es einstweilen nur eine Vorentscheidung, da es für mehr als die demonstrative Grundsteinlegung finanziell noch nicht reicht.

[Grundsteinlegung] [Weizmann und Faisal]

1919
Januar: Am Rande der Friedenskonferenz in Paris schließen Weizmann und der Beduinen-Scheich Haschemiten-Ämir Faisal ein Abkommen, in dem sie unter Hinweis auf ihre gemeinsame Abstammung von Kain und Abel Abraham erklären, in dem künftigen Staat "Palästina" als friedliche Brudervölker miteinander leben zu wollen. Die Araber sollen die Regierung stellen, die Juden unbegrenztes Einwanderungsrecht erhalten.
Da die Entente-Mächte kein unabhängiges Palästina zulassen, ist das Abkommen von Anfang an gegenstandslos.
"Palästina" (bestehend aus dem heutigen Israel und dem heutigen Jordanien), Mosul, Bagdad und Basra (später zusammen gefaßt unter der Bezeichnung "Irāq") fallen als Kolonien Mandate des Völkerbunds an Großbritannien, "Syrien" (bestehend aus dem heutigen Syrien und dem heutigen Libanon) an Frankreich.


1920
April: Die Araber in Palästina veranstalten ausgedehnte Pogrome gegen die jüdische Minderheit (ca. 11% der Einwohner), die von den Briten nur halbherzig unterdrückt werden. [Obwohl die jüdische "Landnahme" friedlich und rechtlich einwandfrei - durch ordnungsgemäßen Kauf von Grund und Boden - erfolgt, macht sie bei den Arabern viel böses Blut.] Um weiteren Unruhen vorzubeugen, schränken sie die jüdische Einwanderung nach Palästina drastisch ein.
In den Jahren 1920-23 lassen die Briten insgesamt nur 12.000 Juden legal nach Palästina einwandern. [Rund 18.000 weitere kommen illegal.] Weizmann hatte mit 60.000 Einwanderern pro Jahr gerechnet.

1921
Nach dem Tode Otto Warburgs wird Weizmann Präsident der WZO.

1922
Der britische Kolonialminister Winston Churchill stellt in einem "Weißbuch" klar, daß die Briten die Herrschaft über Palästina nicht aufgeben und die jüdische Einwanderung auch weiterhin nur in beschränktem Umfang dulden werden.

1925
April: Die "Hebräische Universität" in Jerusalem nimmt ihren Lehrbetrieb auf. (Die drei ersten - und vorerst einzigen - "Fakultären" sind Chemie, Mikrobiologie und Judaistik, mit den Forschungs-Schwerpunkten chemische Kampfstoffe, biologische Kampfstoffe bzw. hebräische Sprache.)

1928-29
In Palästina kommt es erneut zu Judenverfolgungen durch arabische Muslime, die von den Briten wiederum nur halbherzig unterdrückt werden.

1930
Ben Gurion gründet Die "Zionistische Arbeiterpartei Israels" ("MAPAI").

1933
Der neue deutsche Reichskanzler Hitler schließt mit der Zionistischen Vereinigung für Deutschland das Ha'avara-Abkommen zur Förderung der von Großbritannien durch prohibitive finanzielle Hürden erschwerten Einwanderung deutscher Juden nach Palästina.

1936-39
Die Araber in Palästina führen einen Aufstand gegen die Briten, um diese zu zwingen, die weitere Einwanderung von Juden nach Palästina sowie den weiteren Landerwerb von bereits dort ansässigen Juden - ihr Bevölkerungsanteil ist inzwischen auf 29% gestiegen - zu verbieten.

1939
Mai: Der arabische Aufstand in Palästina endet mit einem Kompromiß: Großbritannien - das bereits zuvor den weiteren Landerwerb von Juden de facto unmöglich gemacht hatte - beschränkt die Einwanderung von Juden auf nur noch je 15.000 Personen in den nächsten fünf Jahren; danach wird sie ganz verboten. Dafür werden verstärkt Muslime aus den angrenzenden KolonienMandatsgebieten in Palästina angesiedelt.
September: Großbritannien und Frankreich erklären dem Deutschen Reich den Krieg; die Immigration deutscher Juden nach Palästina wird mit sofortiger Wirkung verboten; in Großbritannien auf ihre Ausreise wartende deutsche Juden werden als "Angehörige einer feindlichen Macht" in Konzentrations- Internierungs-Lager gesteckt.

1940
Februar: Großbritannien verbietet den Landwerb durch Juden in Palästina vollständig.
Juli: In Palästina bilden sich radikale jüdische Gruppen, die den gemäßigten Kurs Ben Gurions gegenüber Großbritannien ablehnen, u.a. die "Lochamei Herut Yisrael [Freiheitskämpfer für Israel]" unter Abraham Stern (kurz "Lehi" oder "Stern-Gruppe" genannt). Sie verüben regelmäßig Anschläge auf britische Einrichtungen.

1942
Mai: Auf einer Konferenz im Hotel Biltmore in New York fordert Ben Gurion im Namen der "Jewish Agency" die Errichtung eines jüdischen "Commonwealth" in Palästina nach Kriegsende ("Biltmore-Programm"). Zur Begründung führt er an, es gebe "unumstößliche Beweise", daß die Nazi-Deutschen bereits zwei Millionen Juden in Konzentrationslagern vergast hätten. Selbst in den - mit anti-deutscher Greuel-Propaganda nicht eben zimperlichen - USA nimmt das niemand ernst. [Nach heutiger offiziöser Geschichts-Schreibung hat der im Januar 1942 auf der Wannsee-Konferenz beschlossene so genannte "Holocaust" erst im März 1942 begonnen, und Vergasungen finden erst ab 1943 statt.]

1945
November: Die "Haganah" - die mittlerweile offiziell Gurions "Jewish Agency" untersteht - schließt sich mit der "Lehi" und der von Menachem Begin geführten "Irgun" zu einer gemeinsamen "Widerstandsbewegung [Tenuat Hameri]" zusammen. Gemeinsam befreien sie jüdische Immigranten aus britischen Konzentrationslagern.

1946
Juli: Die "Irgun" sprengt das Hauptquartier der britischen Militärverwaltung im Jerusalemer Hotel "König David" in die Luft. Da die Briten eine vorherige Warnung und Aufforderung zur Räumung nicht ernst genommen haben, gibt es zahlreiche Tote.


August: Ben Gurion und die "Haganah" distanzieren sich von dem Anschlag und beschimpfen Begin als "Terroristen"; die "Tenuat Hameri" zerbricht.

1947
April: Die UNO (Nachfolger des "Völkerbunds") gründet ein "Spezial-Kommitee für Palästina [UNSCOP]", das Vorschläge für dessen politische Zukunft erarbeiten soll.
August: Das UNSCOP schlägt eine Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen muslimischen Staat vor: Die Juden sollen die Osthälfte von Galiläa, einen schmalen Küstenstreifen am Mittelmeer und den nordöstlichen Teil der Negev-Wüste erhalten, die Muslime den Rest.


November: Die UNO-Vollversammlung nimmt den UNSCOP-Plan an; sowohl die Juden als auch die Muslime - die Palästina jeweils für sich allein wollen - lehnen ihn ab, ebenso die arabischen Nachbarstaaten.
Dezember: Die Briten erklären, Palästina im Mai 1948 räumen zu wollen; unmittelbar darauf brechen Kämpfe zwischen Juden und Muslimen aus. Ben Gurion wirbt nun wieder um Begins "Irgun", die für ihn die "Drecksarbeit" erledigen soll.

1948
14. Mai: Ben Gurion ruft den Staat "Israel" aus.


15. Mai: Die Briten räumen Palästina; sie übergeben alle militärischen Stützpunkte an die Muslime und überlassen ihnen auch die kriegsmäßig ausgerüstete "Arabische Legion", um Ben Gurions Judenstaat nieder zu kämpfen.
20. Juni: Ben Gurion läßt einen Waffentransporter der "Irgun", die Altalena, vor der Küste von Israel zusammen schießen, da er fürchtet, Begin könnte ihm die Herrschaft über Israel streitig machen. Die resultierende Schwächung der israelischen Streitkräfte - die ihren arabischen Feinden materiell ohnehin fast hoffnungslos unterlegen sind - nimmt Ben Gurion, dem es allein um seine persönliche Macht geht, billigend in Kauf.****
September: Der schwedische Graf Bernadotte, der im Auftrag der UNO einen weiteren "Teilungsplan" ausgeheckterarbeitet hatte, wonach Israel weitere zwei Drittel seines ohnehin dünnen Staatsgebiets an die Muslime abtreten sollte, fällt in Jerusalem einen Attentat zum Opfer. Ben Gurion nimmt dies als willkommenen Anlaß, die "Lehi" zu verbieten und die "freiwillige" Selbstauflösung der "Irgun" zu erzwingen.

1949
Januar: Bei den ersten Wahlen zur "Knesset" siegt Ben Gurions "Arbeiterpartei"; er wird zum ersten Ministerpräsidenten Israels.
Januar-Juli: Nacheinander schließen Ägypten, der Libanon, Jordanien und Syrien Waffenstillstand mit Israel, das sie gleichwohl als Staat nicht anerkennen; insbesondere ist damit kein Friedensschluß verbunden. Immerhin hat Israel ein wenig mehr als das im Teilungsplan der UNSCOP vorgesehene Gebiet behaupten können, u.a. West-Galiläa und einen Zugang zu West-Jerusalem; seine schmalste Stelle ist jetzt nicht mehr zwei, sondern ca. zwanzig Kilometer breit.


1952
September: Israel schließt mit der BRD {Bundeskanzler Adenauer, CDU} das "Luxemburger Abkommen", das jährliche Tribut-Reparations-Zahlungen der BRD an Israel in Milliardenhöhe ("Wiedergutmachung") für unbegrenzte Zeit (in alle Ewigkeit) vorsieht. Der kurz vor dem Bankrott stehende Staat Israel wird dadurch langfristig saniert; Weizmanns Lebenswerk ist vollendet.


09. November: Chaim Weizmann stirbt in Rechowot und wird dortselbst auch beerdigt.


*Die erst ein paar Jahre zuvor aus einer polytechnischen Schule hervor gegangene (eigentlich bloß umbenannte) TH Darmstadt galt in Deutschland als drittklassig. Sie krebste ständig am Rande der Pleite und damit der Schließung, und sie hatte noch kein Promotionsrecht. Vor dem Weltkrieg waren bis zu 75% ihrer Studenten Ausländer - was damals noch nicht als Empfehlung galt -, vor allem Juden aus dem Tsarenreich. Ganz anders die TH Berlin, die einen ausgezeichneten Ruf genoß. (Es zählt zu den Treppenwitzen der Universitäts-Geschichte, daß es heute beinahe umgekehrt ist :-)

**Daß die beiden auch so etwas wie "Freundschaft" geschlossen haben sollen, hält Dikigoros für ein späteres Märchen. Allerdings müßte Weizmann Balfour gut genug kennen gelernt haben um zu wissen, daß dessen Vorstellungen von einem "Judenstaat" sehr weit von seinen eigenen abwichen, daß er insbesondere gar nicht daran dachte, den Zionisten Land in Palästina zur Verfügung zu stellen - dieses wollte er vielmehr als Kolonie für England.

***Bisweilen wird kolportiert, Wera sei "Kinderärztin" gewesen. Das ist unzutreffend. Sie studierte zwar in Richtung Pediatrie, machte ihren Abschluß aber erst 1913 und arbeitete dann kurz als Assistenz-Amtsärztin in der britischen Gesundheitsbehörde, gab diese Tätigkeit aber schon 1916 wieder auf, um ihrem Mann als chemische Assistentin zuzuarbeiten.

****Hätte Israel damals schon die Golan-Höhen, Judäa, Samaria und den Gaza-Streifen für sich gewinnen können, dann gäbe es wahrscheinlich nicht einen Bruchteil der heutigen Nahost-Probleme.


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