Carl v. Ossietzky

(1889 - 1938)

[Carl v. Ossietzky]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros

1889
3. Oktober: Carl v. Ossietzky wird als einziges Kind der Eheleute Carl Ignaz und Rosalie v. Ossietzky in Hamburg geboren.
Sein Vater ist Stenograf in der Anwaltskanzlei des späteren Bürgermeisters Max Predöhl; seine Mutter ist Kneipenwirtin.

1891
Ossietzkys Vater stirbt; Max Predöhl finanziert seine weitere Ausbildung.

1896
Ossietzky wird an der Rumbaum'schen Schule aufgenommen.

1901
Rosalie v. Ossietzky heiratet den Sozialisten Gustav Walther, einen Freund August Bebels, der Ossietzky nachhaltig beeinflußt.

1904
Ossietzky verläßt die Schule ohne Abschluß. Die folgenden drei Jahre vergammelt er und treibt sich in sozialistischen Kreisen herum.

1907
Oktober: Max Predöhl besorgt Ossietzky eine Stelle als Hilfsschreiber beim Amtsgericht Hamburg.

1908
Ossietzky tritt der "Demokratischen Vereinigung" und der "Deutschen Friedensgesellschaft" bei.

1911
Ossietzky wird freier Mitarbeiter der Zeitschrift "Das freie Volk".

1913
August: Ossietzky heiratet die anglo-indische Frauenrechtlerin Maud Lichfield-Wood, mit der er eine Tochter hat.

1914
Januar: Ossietzky kündigt seinen Job als Schreiber, um Journalist zu werden. Aufgrund eines Artikels über "Das Erfurter Urteil" wird Ossietzky wegen "Öffentlicher Beleidigung der Militärgerichtsbarkeit" zu einer Geldstrafe verurteilt.
Im Ersten Weltkrieg gelingt es Ossietzky zunächst, sich vor dem Wehrdienst zu drücken, indem er sich wieder zum Justizdienst meldet.

1916
Ossietzky wird doch noch eingezogen und als Armierungssoldat* in der Etappe hinter der Westfront eingesetzt. Nach der Schlacht von Verdun schreibt er Artikel gegen die Romantisierung des Krieges und plädiert für dessen Beendigung.

1918
Während der Novemberrevolution ist Ossietzky Mitglied des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrats.

1919
Juli: Nach Zusammenbruch der Räteherrschaft zieht Ossietzky nach Berlin und wird dort Generalsekretär der "Deutschen Friedensgesellschaft".
Ossietzky veröffentlicht "Der Anmarsch der neuen Reformation", sein einziges zusammenhängendes Werk in Buchform.

1920
Ossietzky arbeitet hauptamtlich für die sozialistische "Volks-Zeitung".


Als Mitinitiator der Friedensbewegung "Nie wieder Krieg!" lernt Ossietzky den Pazifisten Kurt Tucholsky kennen.

1922
Ossietzky wird Mitglied der aus dem "Bund Neues Deutschland" hervor gegangenen "Deutschen Liga für Menschenrechte" und verantwortlicher Redakteur der "Volks-Zeitung" (bis 1924).

1924
Ossietzky zählt zu den Gründern der "Republikanischen Partei", die keine Bedeutung erlangt und sich bald wieder auflöst.

1924-1926
Ossietzky arbeitet in der Redaktion der linksliberalen Wochenzeitung "Das Tage-Buch" und beim "Montag-Morgen".

1927
Ossietzky wird als Nachfolger von Siegfried Jacobsohn Herausgeber und Chefredaktuer der "Weltbühne", für die auch Tucholsky arbeitet. In seinen Leitartikeln hetzt er gegen die "Weimarer Republik", insbesondere gegen die Wiederaufrüstung, über die er aus gut informierten Quellen unterrichtet wird. Wegen Geheimnisverrats wird er wiederholt vor Gericht gestellt und erst zu Geld-, dann zu Bewährungsstrafen verurteilt.

1931
Nach einem Artikel über geheime Einzelheiten der Zusammenarbeit zwischen der Reichswehr und der Roten Armee auf dem Gebiet der Sowjetunion (Erprobung von Panzern und Flugzeugen) wird Ossietzky zu einer Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt.**


1932
Mai: Ossietzky tritt im Berliner Gefängnis Tegel seine Haftstrafe an.
Dezember: Ossietzky wird im Rahmen einer Weihnachtsamnestie des Reichspräsidenten Paul v. Hindenburg vorzeitig entlassen.

1933
30. Januar: Nach der Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler denkt Ossietzky nicht an Flucht.***
28. Februar: Nach dem Reichstagsbrand wird Ossietzky verhaftet.
März: Die Weltbühne wird als kommunistisches Hetzblatt verboten.
April: Ossietzky wird im Konzentrationslager Sonnenburg in Schutzhaft genommen.

1934
Ossietzky wird in das Konzentrationslager Papenburg verlegt.

1936
Mai: Ossietzky wird wegen seiner Tuberkulose aus dem Konzentrationslager entlassen und in das Staatskrankenhaus in Berlin eingeliefert; er bleibt unter Polizeiaufsicht.
November: Ossietzky wird - als bewußte politische Provokation gegen Deutschland**** - der Friedensnobelpreis für das Jahr 1935 verliehen.


Ossietzky nimmt den Nobelpreis und das Preisgeld an, kann aber wegen seiner Erkrankung nicht nach Oslo zur Preisverleihung reisen. (Angeblich wäre es ihm auch dann verboten worden, wenn er gesund gewesen wäre - eine müßige Spekulation.)
Im Ausland wird daraufhin die Legende verbreitet, Hitler habe persönlich verfügt, daß kein Deutscher mehr einen Nobelpreis annehmen dürfe.*****

1938
4. Mai: Carl v. Ossietzky stirbt im Berliner Krankenhaus Nordend an Tuberkulose.

[Ossietzkys Grab]

1962
Die "Deutsche Liga für Menschenrechte" vergibt erstmals die "Carl-von-Ossitzky-Medaille", und zwar an Otto Lehmann-Rußbüldt. Im Laufe der folgenden Jahre zählen zu den Preisträgern so verdiente Persönlichkeiten wie Günter Grass, Carola Stern, Heinrich Böll,****** Heinrich Albertz, Gert Bastian, Martin Niemöller, Günter Wallraff, Lea Rosh, Klaus Bednarz, Antje Vollmer und Liselotte Funke.


1964-1989
In den folgenden Jahrzehnten wetteifern BRD und DDR darin, Ossietzky populär zu machen, u.a. durch allgegenwärtige Briefmarken.


(Was Dikigoros dabei vor allem auffällt sind die extrem abweichenden Faksimile-Unterschriften Ossietzkys.)

1974
Maud v. Ossietzky stirbt.


1991
Die rot-grüne Landesregierung Niedersachsens unter Ministerpräsident Gerhard Schröder verfügt die Umbenennung der 1973 aus der Pädagogischen Hochschule Oldenburg hervor gegangenen Universität in "Carl von Ossietzky Universität". Damit trägt erstmals eine Universität auf dem Boden der BRD den Namen eines "Drop-outs" ohne Schulabschluß - passenderweise falsch geschrieben, als Sinnbild der später unter dem Schlagwort "PISA" bekannt gewordenen Bildungsmisere.

[Ossietzky-Denkmal in Berlin]


*Entgegen dem Namen handelt es sich um unbewaffnete Arbeiter in Uniform, in der DDR "Bausoldaten" genannt, im Landserslang "Spatenpaulis".

**Die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee an sich war kein Geheimnis; sie wurde seit Ende 1926 sogar öffentlich im Reichstag diskutiert, allerdings nicht unter militärischen, sondern lediglich finanziellen Aspekten - wie es einem verantwortungsvollen Parlament früher noch oblag, denn das ganze war nicht billig, und das Reich war finanziell nicht auf Rosen gebettet. Daß dabei aber auch massiv gegen die Bestimmungen des Diktats von Versailles verstoßen wurde, wurde damals nicht in allen Einzelheiten breit getreten. Angesichts dessen muß die Bestrafung Ossietzkys als außerordentlich milde angesehen werden, denn die deutsche Justiz war damals in Sachen "Verrat militärischer Geheimnisse" äußerst streng. Zur selben Zeit stand ein gewisser August Jäger in Leipzig vor Gericht, von dem mit 15 Jahren Verspätung bekannt geworden war, daß er im April 1915 in französische Gefangenschaft geraten war und dort unter der Folter verraten hatte, daß die Deutschen bei Ypern einen Giftgasangriff vorbereitet hatten. Obwohl die Franzosen ihm damals keinen Glauben schenkten und daher keinerlei Gegenmaßnahmen einleiteten, wurde Jäger vom Reichsgericht zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt mit der absurden Begründung, er habe maßgeblich zur Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg beigetragen. Die französischen Denunzianten, die Jäger ans Messer geliefert hatten, bezeugten selbstverständlich auch, daß er entgegen seinen Behauptungen zu keiner Zeit gefoltert worden sei, was ihnen die deutschen Richter gerne glaubten. Ossietzkys Verrat wog ungleich schwerer; er hätte von den Franzosen zum Anlaß genommen werden können, das gerade erst geräumte Rheinland wieder zu besetzen.

***Diese "Ablehnung", Deutschland zu verlassen, ist der einzige Punkt, aus dem spätere Gutmenschen eine "Widerstandstätigkeit" Ossietzkys gegen das "Dritte Reich" zu konstruieren versuchen. Richtig ist, daß er vor allem die "Weimarer Republik" bekämpfte, als deren logische Fortsetzung er das "Dritte Reich" betrachtete.

****Auch im Ausland stieß die Verleihung an einen bloßen Kriminellen, der zum Frieden gleich gar nichts beigetragen hatte, auf Kritik. Der norwegische Dichter Knut Hamsun gab seinen Nobelpreis für Literatur aus Protest zurück.

*****Diese Behauptung ist ebenso haltlos wie die, daß Hitler bei den Olympischen Sommerspielen in Berlin den US-Afrikaner Jesse Owens aus rassistischen Motiven nicht zur Siegerehrung empfangen habe. (Tatsächlich wurde ihm der Empfang vom Olympischen Komitee verboten.) Richtig ist, daß 1936-45 keinem Deutschen mehr ein Nobelpreis zugesprochen wurde. (1940-45 wurde wegen des Weltkriegs ohnehin kein Friedensnobelpreis verliehen.) Daher wurde ab 1937 der "Deutsche Nationalpreis" verliehen, u.a. an die Mediziner August Bier und Ferdinand Sauerbruch. (Daß der deutsche Chemiker und Farmazeut Gerhard Domagk schon 1939 den Nobelpreis für Medizin erhalten sollte, erscheint Dikigoros wenig glaubhaft. Domagk erhielt den Nobelpreis - als einer der letzten, die seiner unzweifelhaft würdig waren - tatsächlich erst 1947, mit der Behauptung, er sei für das Jahr 1939 gedacht.)

******Bei der Verleihung an Böll kommt es 1974 zum Eklat, als die Berliner CDU sich weigert, an den Feierlichkeiten teilzunehmen. (Böll hatte während des Bundestagswahlkampfs 1972 massiv gegen die CDU gehetzt.)


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