AUGUSTO  B.  LEGUÍA

(19.2.1863 - 6.2.1932)

[Augusto Leguía]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros*

1863
19. Februar: Augusto Bernardino Leguía y Salcedo wird als Sohn von Nicanor Leguía und seiner Ehefrau María del Carmen, geb. Salcedo, in Lambayeque geboren. Beide Eltern sind baskischer Abstammung.
Perú hat seit seiner viel bejubelten Unabhängigkeitserklärung von Spanien anno 1821 mehr als zwei Drittel seines Staatsgebiets verloren, ist mit allen Nachbarn verfeindet und kommt auch sonst auf keinen grünen Zweig. (Immerhin herrscht schon seit fünf Jahren kein [Bürger-]Krieg und auch keine "Rebellion".) Während die Länder im Norden, Süden und Osten Lateinamerikas Millionen tüchtige Zuwanderer aus Europa aufnehmen, ist Perú seiner Zeit weit voraus: Es bekommt Immigranten einer "Qualität", wie sie Europa erst im 21. Jahrhundert heimsuchen aufsuchen.**

[Die Unabhängigkeit von Spanien wird verkündet] [Migranten strömen ins Land]

1865
In Perú bricht der nächste Bürgerkrieg aus, der - mit chilenischer Unterstützung - Oberst Prado an die Macht bringt.

1866
Perú, Ecuador und Bolivien schließen sich dem Krieg Chiles gegen Spanien an, der von der Propaganda zum "zweiten Unabhängigkeitskrieg" hoch gejubelt wird. Der glorreiche "Sieg" (die spanische Flotte segelt nach ein paar Schußwechseln praktisch kampflos ab) erzeugt die gefährliche Illusion einer dauerhaften Interessengemeinschaft der vier Staaten.


1869-78
Leguía besucht die Volksschule in Lambayeque und die (englische) Handelsschule in Valparaíso (Chile).
Danach arbeitet er als Commis im Handelshaus Prevost in Lima.

1879-1884
Perú läßt sich von Bolivien in den "Pazifikkrieg"*** gegen Chile hinein ziehen. Leguía bringt es zum Sergeanten der Reserve, kommt aber so gut wie nicht zum Einsatz. Am Ende verliert Perú seine südlichen Provinzen Arica und Tarapacá an Chile.


Grenzen 1879 vor dem Pazifikkrieg

1884
Leguía kehrt nach Lima zurück. Nachdem Prevost in Konkurs gegangen ist, macht er sich als Kaufmann in Zucker, Reis und Leder selbständig und baut Verbindungen in die USA auf.

1884-85
Aus einem neuerlichen Bürgerkrieg geht General Cáceres als Sieger hervor.

1888
Leguía wird Repräsentant der New York Life Insurance Company für Perú, Ecuador und Bolivien mit Sitz in Guayaquil.

1890
Leguía heiratet die Millionenerbin Julia Swayne y Mariátegui (die Ehe - aus der sechs Kinder hervor gehen - hält, bis der Tod sie scheidet) und geht mit ihr nach London - damals das Finanzzentrum der Welt -, wo er wieder in den Zuckerhandel einsteigt.

1894-95
Im fernen Perú stürzt der nächste Bürgerkrieg Cáceres und spült - wieder mit chilenischer Unterstützung - den selbsternannten "Demokraten"**** Nicolás de Piérola an die Macht.

1896
Leguía gründet - zusammen mit dem Handelshaus Locket - die "British Sugar Company Ltd", deren Geschäftsführender Gesellschafter er wird.

1900
Leguía kehrt nach Perú zurück.

1902
Leguía wird Mitglied der Zivilpartei, deren Vorsitzender Manuel Candamo Iriarte

1903
zum Präsidenten gewählt wird. Er macht Leguía zum Wirtschafts- und Finanzminister. Als solcher versucht er, den Anbau von Weizen, Mais, Süßkartoffeln und (natürlich :-) Zuckerrohr auszuweiten.
(Das ist leichter gesagt als getan: Für den Anbau landwirtschaftlicher Produkte gut geeignet ist in Perú nur ein relativ schmaler Küstenstreifen - und selbst dort bedarf es kostspieliger Bewässerungsanlagen. Im Landesinneren führen die Anden mit jedem Meter Höhenanstieg zu mehr Arbeitsaufwand und weniger Ertrag; darüber können auch staatliche Fördermittel nicht hinweg täuschen.)

1904
Leguía wird zusätzlich Premierminister.

1907
Leguía legt seine Regierungsämter nieder, um für die Präsidentschaft zu kandidieren.

1908
September: Leguía gewinnt die Wahl als Kandidat der Zivilpartei haushoch und wird zum ersten Mal Präsident von Perú.
(Piérola und seine "Demokratische Partei" hatten die Wahl boykottiert.)

1908-12
Leguía erhöht Steuern und Zölle und weitet das Öffentliche Auftragswesen stark aus - allerdings nicht, um zusätzliche Wirtschaftszweige in Staatsregie zu überführen, sondern um bisher vernachlässigte "klassische" Staatsaufgaben zu erfüllen, vor allem die darniederliegende Infrastruktur zu verbessern. Das Straßen- und Schienen-Netz wird ausgebaut; erstmals findet auch Flugverkehr statt.


(Es ist vielleicht bezeichnend, daß erst jetzt - 1911 - der US-Amerikaner Hiram Bingham die Ruinen von Machu Picchu entdeckt, die bis dahin mangels Verkehrsverbindungen "verschollen" waren. Vor allem mit ihrer Hilfe wird später der lukrative Ausländer-Tourismus in Gang gesetzt.)

1912
September: Der Kongreß verfällt auf die gut-demokratische***** Idee, die Wahl des nächsten Präsidenten dem unmündigen Wahlviehvolk aus der Hand zu nehmen und auf sich selber zu übertragen. Allerdings zerfällt die Zivilpartei - die in beiden Kammern über die absolute Mehrheit verfügt - in zwei Fraktionen, so daß am Ende Guillermo Billinghurst, der Kandidaten des P.D., gewählt wird.

1913
Leguía, zur persona non grata geworden, geht ins Exil (zunächst - über Panamá - in die USA, dann nach England).

1914-1918
Vom Ersten Weltkrieg profitieren die Länder Südamerikas weniger als erhofft: Die Briten haben durch den Wickham-Schmuggel das Kautschuk-Monopol gebrochen, die Deutschen durch das Haber-Bosch-Verfahren das Salpeter-Monopol entwertet. Es bleibt lediglich die Enteignung deutscher Vermögenswerte, von denen es in Perú allerdings nicht allzu viele gibt.
Leguía verdient unterdessen in London wieder prächtig am Zuckerhandel und fungiert nebenbei als Präsident der Lateinamerikanischen Handelskammer.

1919
Leguía kehrt nach Perú zurück und kandidiert erneut für die Präsidentschaft.
Juli: Als die Sesselpupser in der Quasselbude gut-demokratischen (und zivilistischen :-) Abgeordneten im Kongreß seinen Wahlsieg nicht anerkennen wollen, läßt Leguía sich von Militär und Polizei zum "provisorischen Präsidenten" ausrufen, löst den Kongreß auf und schreibt Neuwahlen aus.
Oktober: Die neuen Kongreß-Abgeordneten bestätigen Leguía brav als Präsidenten. Das Jahrelft ("Oncenio") Leguías beginnt.

1920
Leguía läßt eine neue Verfassung verabschieden, welche die Amtszeit des Präsidenten verlängert (von 4 auf 5 Jahre), Grundpflichten (unbezahlter Arbeitsdienst - natürlich nur für Männer :-) und Grundrechte einführt, die nicht eingeschränkt werden dürfen (auch nicht im Falle einer - angeblichen - Grippe-Pandemie), die Rechte der "eingeborenen" Indios stärkt und die Einfuhr hochwertigen Menschenmaterials Einwanderung und Einbürgerung erleichtert.
(Von letzterem machen vor allem Asiaten Gebrauch, die durch den "Emergency Quota Act", den "Immigration Act" und die "National Origin Formula" von der bisher bevorzugten Einwanderung in die USA de facto ausgeschlossen werden.)

1921
Juli: Leguía läßt den 100. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung groß feiern - mit Gästen aus aller Welt, sogar die einstigen Kriegsgegner Spanien und Deutschland schicken Delegationen.


Zu diesem Anlaß wird die Hauptstadt Lima aufgehübscht mit repräsentativen Gebäuden, gepflasten Straßen und Plätzen, Denkmälern sowie einem Ausbau des Hafens Callao.


1924
Oktober: Leguía gewinnt erneut die Präsidentschaftswahl.
Dezember: Leguía läßt auch den 100. Jahrestag der Schlacht von Ayacucho - die als Entscheidung im Unabhängigkeitskrieg gilt - groß feiern.


Gedenkprägungen auf den 100. Jahrestag der Schlacht von Ayacucho: für die Honoratioren in Gold, fürs gemeine Volk etwas schlichter

Zur Finanzierung all dieser schönen Projekte erhöht Leguía zunächst die Steuern und Abgaben, vor allem auf Alkohol, Tabakwaren, Streichhölzer und Postdienstleistungen - in der Theorie eine gute Idee, die aber in der Praxis nicht viel einbringt. ("Chicha" wird zuhause hergestellt, Tabak geschmuggelt, Streichhölzer sind nicht lebensnotwendig, und da die meisten Peruaner Analfabeten sind, schreibt auch kaum jemand Briefe.)
Danach ringt sich Leguía zur verstärkten Kreditaufnahme im Ausland durch - die freilich nicht zum Nulltarif zu haben ist:

1928
muß Perú die staatlichen Eisenbahnen an einen britischen Investor verkaufen. (Dank diesem sind sie noch ein halbes Jahrhundert später in Betrieb, wie Dikigoros aus eigener Erfahrung bestätigen kann :-)

1929
Juni-August: Leguía erreicht auf dem Verhandlungsweg die Rückgabe Tacnas an Perú.
Arica, der Endpunkt der wichtigen Eisenbahn von dort zum Pazifik, bleibt freilich bei Chile, was ihm seine Kritiker im Nachhinein vorwerfen - wie den Verlust aller anderen Gebiete, die er im Laufe seiner Regierungszeit "ohne Not" aufgegeben habe.


(Die Frage, Wie Perú diese Verluste ohne Kriege hätte vermeiden können, diskutieren sie nicht, ebenso wenig, wie solche Kriege gegen militärisch weit überlegene Nachbarn wie Brasilien und Chile wohl ausgegangen wären.)
12. Oktober: Leguía wird erneut zum Präsidenten gewählt.
25. Oktober: Ein starker Kurseinbruch an der New Yorker Aktienbörse ("Black Friday [Schwarzer Freitag]") leitet eine schwere Weltwirtschaftskrise ein, die auch Perú in Mitleidenschaft zieht, da es sich von US-amerikanischen Investoren abhängig gemacht hat, die nun ihre Gelder aus Lateinamerika (und Europa) abziehen.
(Perú schuldete nordamerikanischen Banken ca. 150 Millionen US-$ - nach heutigen Begriffen ein Klacks, damals aber für ein armes Land viel Geld.)

1930
August: Leguía wird durch einen Militärputsch unter Oberstleutnent Sánchez Cerro gestürzt.
Er versucht, erneut nach Panamá zu fliehen; sein Schiff wird jedoch abgefangen, und er wird in Lima eingekerkert.

1931
Oktober: Leguía erkrankt an Lungenentzündung und wird ins Marinehospital in Callao verlegt.

1932
06. Februar: Augusto Leguía stirbt in Callao; er wird in Lima beerdigt.
Gleich nach seinem Tode erscheint die - als Autobiografie verkleidete - Biografie eines unbekannten Verfassers, die ihn als "Tyrann" und "Dieb" hinstellt.


1937
Der deutsch-amerikanische Schriftsteller Hans Otto Storm nimmt Leguía als Vorbild für seinen Roman "Pity the Tyrant".


1993
Luis Alberto Sánchez - ein Neffe des Putschisten von 1930 - veröffentlicht "Leguía der Diktator". (Erweiterte Neuauflage 1994 zusammen mit Alfonso Benavides Correa unter dem Titel "Das Jahrelft Leguías".)

2000
Leguías jüngste Tochter Enriqueta Leguía Olivera kontert mit "Ein simpler Akt der Gerechtigkeit". (Fortsetzung 2013 unter dem Titel "Die Wahrheit über den Staatsstreich von 1930".)
Sie vertritt die These, daß ihr Vater Perú wirtschaftlich auf einen guten Weg gebracht habe; es habe auch die Folgen des Börsenkrachs von 1929 zunächst recht ordentlich gemeistert; erst nach dem Sturz ihres Vaters hätten dessen unfähige Nachfolger den Karren vor die Wand gefahren.******


*Dikigoros' Leser wollen die folgende Abbildung bitte nicht dahin gehend mißverstehen, daß er das "Siglo de Leguía" für ein "goldenes" Zeitalter hielte. Er weiß schon, daß der Goldpeso lediglich für den Zahlungsverkehr mit dem Ausland bestimmt war, während im Inland auch nach Gründung der neuen "Zentralbank" Papiergeld zirkulierte, wie in anderen Staaten Lateinamerikas - und nicht nur dort - auch.

Aber wenn Dikigoros statt dessen ein Landeswappen abbildete - wie er das sonst meist auf seinen biografischen Seiten tut -, wäre das erst recht irreführend, denn das ziert nicht bloß ein Goldstück, sondern gleich ein ganzes Füllhorn voll; und damit war Perú selbst in seinen besten, kolonialen Zeiten - als die Silberminen noch nicht erschöpft waren - nie gesegnet.

**Die spanischstämmigen "Criollos", die jene Unabhängigkeit betrieben, müssen von allen guten Geistern verlassen gewesen sein. Die von ihnen gebildete Oberschicht war so dünn, daß sie ohne ständigen "Nachschub" aus dem Mutterland Spanien keine langfristige Perspektive hatten. Daß mit den Eingeborenen auf die Dauer kein Staat - geschweige denn ein "unabhängiger" - zu machen war, hätte ihnen klar sein müssen, wenn sie nur einigermaßen bei Verstand gewesen wären.

***In Deutschland auch "Salpeterkrieg" genannt, nach dem bis zur Erfindung der künstlichen Ammoniak-Synthese wichtigsten Exportgut der umkämpften Region - zur Herstellung von Schießpulver unverzichtbar und auch ein wichtiger Rohstoff zur Herstellung von Düngmitteln für die Landwirtschaft.

****Seine Partei nennt sich "Partido Demócrata". Nachgeborene Historiker bezeichnen ihn und seine Nachfolger gleichwohl als "Aristokraten" (und Perú für ein Vierteljahrhundert als "aristokratische Republik" :-). Tatsächlich war er keines von beidem. Er gelangte mit Hilfe einer Bande Guerilleros an die Macht, die aus dem Salpeterkrieg übrig geblieben waren. Auch seine Nachfolger gehörten bestenfalls der Geld-Aristokratie an, waren allerdings - wie ja auch Leguía - durchweg Selfmade-Millionäre.

*****Dikigoros' Leser wollen das bitte nicht als billigen Cynismus [miß-]verstehen, sondern als ganz ernst gemeintes Lob. In der BRDDR - der Muster-Demokratie schlechthin - ist es bekanntlich genauso.

******Hätte, wäre, wenn und aber... Solche Spekulationen sind meist müßig, da nicht nachprüfbar. In diesem Fall wagt Dikigoros aber ausnahmsweise mal eine Prognose, und die lautet: Auch Leguía hätte Perú nicht vor der Wirtschaftskrise bewahrt - die ja auch in anderen Staaten nicht gleich 1929 voll durchschlug, sondern sich erst im Laufe der 1930er Jahre verschärfte. Leguía hatte zwar nicht alle Auslandskredite in brotlose Prestigeprojekte gesteckt; aber einige Investitionen - z.B. in die Infrakstruktur, von der sich nun mal nicht gleich abbeißen läßt - konnten sich erst langfristig amortisieren. Und in einer Zeit, da fast alle Staaten der Welt ihre Importschranken dicht machten, nutzten auch die schönsten Exportgüter und der modernste Hafen, um sie zu verschiffen, nichts.


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