ÉDITH  PIAF

[Giovanna Gassion]

(19.12.1915 - 11.10.1963)

[Édith Piaf]

Tabellarischer Lebenslauf
zusammengestellt von
Nikolas Dikigoros

1915
19. Dezember: Giovanna Gassion wird als Tochter des italienischen Zirkusartisten Giovanni Luigi Gassione ("Jean Louis Gassion") und der algerischen Kneipensängerin Annetta ["Anita"], geb. Maillard in Paris geboren. Sie wächst bei ihrer Großmutter väterlicherseits in einem Puff auf.

1922
Giovanna geht mit dem Wanderzirkus ihres Vaters auf Tournee. Wie ihr Vater wird sie frühzeitig Alkoholikerin. (Angeblich hat man ihr schon als Kleinkind Rotwein in den Schnuller gefüllt; seit ihrem siebten Lebensjahr soll sie bevorzugt Branntwein getrunken haben. Angeblich ist sie auch frühzeitig erblindet und hat ihr Augenlicht erst durch eine Pilgerfahrt nach Lisieux zum Grab der Heiligen Thérèse wieder erlangt.)


1930
Giovanna macht sich in Paris als Straßensängerin und Bordsteinschwalbe selbständig, wo sie von Louis Leplée, einem Zuhälter und Kabarett-Betreiber, "entdeckt" wird. In seinem Établissement tritt sie unter dem Künstlernamen "Môme Piaf [Spatzenkind]" (nach ihrem bevorzugten Chanson, "Les mômes de la cloche [Die Bettelkinder]") auf.

1933
Februar: Giovanna bringt eine uneheliche Tochter zur Welt, die - von der Mutter völlig vernachlässigt - zwei Jahre später stirbt.

1935
Louis Leplée wird ermordet. Giovanna, die vorübergehend im Verdacht steht, Mittäterin oder Mitwisserin zu sein, flieht aus Paris - erst nach Brest, dann nach Brüssel, dann nach Nizza - und nimmt den Namen "Édith Piaf" an.

1937
Édith Piaf kehrt nach Paris zurück.
In den folgenden Jahren gelingen ihr einige - zumeist von der Pianistin Marguerite Monnot komponierte und von ihrem neuen Manager und Liebhaber Raymond Asso getextete - kleinere Hits, die sich im Laufe der Zeit zu "Evergreens" entwickeln, u.a. "Mon légionnaire" (1937), "Le fanion de la légion" (1938) und "Je n'en connais pas la fin" (1939).


1939
Nachdem Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg erklärt hat, trennt sich Édith Piaf von Asso - der eingezogen worden ist. Sein Nachfolger im Bett wird der Sänger und Schauspieler Paul Meurisse; als Liederschreiber springt vorübergehend Michel Emer ein - der sporadisch bis an ihr Lebensende für sie schreiben wird. Ein erster kleiner Hit aus seiner Feder ist "L'accordéoniste" (1940).


1941-44
Édith Piaf macht sich als Chansonette in diversen Pariser Établissements einen Namen, u.a. im berühmt-berüchtigten "Moulin Rouge".
Nach der "libération" entgeht sie der Verfolgung als "collaboratrice", indem sie behauptet, sich für französische Kriegsgefangene und verfolgte Juden eingesetzt und einigen sogar zur Flucht verholfen zu haben.1

1945
Édith Piaf schreibt für Marianne Michel das Chanson "La vie en rose" - ein Flop.

1946
Édith Piaf gelingen wieder einige kleinere Hits, die später zu Evergreens werden, wie "Je m'en fous pas mal", "Dans ma rue" und vor allem das auch im Ausland oft nachgesungene "Les trois cloches" (zusammen mit ihrer Begleitband, den "Compagnons de la chanson").
Nach dem Tode von Francis Salabert wechselt Piaf zum Musikverlag Paul Beuscher. Die Zusammenarbeit mit Marguerite Monnot - die bereits den Bruch mit Raymond Asso überstanden hatte - bleibt jedoch bestehen. Ihr neuer Manager wird Lou Barrier.

1947
Édith Piaf lernt in New York den Algerien-Franzosen und Boxer Marcel Cerdan, kennen und lieben, der ein Jahr später Weltmeister im Mittelgewicht wird.


1949
28. Oktober: Marcel Cerdan kommt auf dem Weg zu einem WM-Kampf in den USA bei einem Flugzeugabsturz über den Azoren - dessen Ursachen nie vollständig aufgeklärt werden - ums Leben. Édith Piaf - die ihn gedrängt hatte, das Flugzeug statt eines langsameren Schiffs zu nehmen und sich darob Vorwürfe macht² - flüchtet in altbewährte Rezepte: Alkohol und Musik. Mit "L'hymne à l'amour" (Monnot) gelingt ihr ein erster großer Hit.


1950-51
Édith Piaf singt "La vie en rose" selber - nun wird es ein Welthit.
(Die deutsche Fassung - "Schau mich bitte nicht so an" - wird später von Mireille Mathieu gesungen, die auch den Spitznamen "Spatz [von Avignon]" übernimmt.)
Es folgen weitere Erfolge, u.a. "Padam, Padam".


1952
29. Juli: Édith Piaf heiratet in Paris ihren langjährigen Kollegen Jacques Pills, den sie Lucienne Boyer ausgespannt hat; Trauzeugin ist Marlene Dietrich.³
Die Ehe bleibt kinderlos und zerbricht nach vier Jahren an ihrem Alkoholismus und ihren zahlreichen Seitensprüngen - u.a. mit ihrem "Sekretär" Schahnur Asnawurjan ("Charles Aznavour"), François Silly ("Gilbert Bécaud"), Edward Konstantinowsky ("Eddie Constantine"), Ivo Livi ("Yves Montand") und ihrem Gitarristen Giuseppe Mustacchi ("Georges Moustaki") -, die sich in Kollegenkreisen schwer verheimlichen lassen.

1953-55
Édith Piaf feiert Erfolge in den USA; in Frankreich hat sie dagegen in dieser Zeit nur einige kleinere Hits mit Coverversionen wie "Sous le ciel de Paris" (im Original von Yves Montand gesungen), "La goualante du pauvre Jean" (als Instrumentalversion "The Poor People of Paris" mit dem Orchester Les Baxter eine Nr. 1 in den USA) und "C'est à Hambourg" (im Original von Germaine Montero gesungen).


1956-59
Édith Piaf gelingen wieder einige große Hits in Frankreich, u.a. "Les amants d'un jour" (Monnot), "La foule" (Cabral) und "Milord" (Monnot).


1959
Édith Piaf veröffentlicht ihre Memoiren unter dem Titel "Au bal de la chance". (US-Ausgabe 1965 unter dem Titel "The Wheel of Fortune".)


1960
Édith Piaf bricht mit ihrer langjährigen Komponistin Marguerite Monnot (die ein Jahr später im Alter von 58 Jahren stirbt - angeblich an gebrochenem Herzen4) und ersetzt sie durch Charles Dumont. Mit dem von ihm geschriebenen "Non, je ne regrette rien" gelingt Piaf ihr größter Hit, der später - neben "Il est mort" - zur Hymne der Fremdenlegionäre wird (deren Idol sie seit "Mon légionnaire" ohnehin ist), die ihre von De Gaulle verratenen Landsleute in Algerien bis zum bitteren Ende gegen den Terror der arabischen Muslime verteidigen - ihre letzte und vielleicht einzige echte Heldentat im 20. Jahrhundert, die allerdings ebenso vergeblich ist wie alle anderen.


1962
Édith Piaf wechselt erneut die Plattenfirma. Ihr letzter Produzent wird Eddie Barclay.
9. Oktober: Édith Piaf heiratet in Paris ihren Kollegen Theofanis Lamboukas ("Théo Sarapo") - die Spatzen der Boulevardpresse pfeifen es von den Dächern, daß der 20 Jahre jüngere Sänger es nur auf das Geld der bereits todkranken Diva abgesehen habe.5 Auf der Bühne geben sie ein peinliches Bild ab, wenn sie gemeinsam ihren letzten Hit "À quoi ça sert, l'amour? [Wozu nutzt die Liebe?]" (Emer) singen. Sie wirkt nicht wie seine Mutter, sondern eher wie seine Großmutter.


1963
10./11. Oktober: Édith Piaf stirbt in Plascassier an Leberzirrhose (Säuferleber). Sie wird auf dem Père-Lachaise-Friedhof in Paris begraben.


1969
Simone Berteaut veröffentlicht die Biografie "Édith Piaf - vécu [gelebt]", (Dts. Übersetzung vier Jahre später unter dem Titel "Ich hab' gelebt, Milord".)

1970
Theo Lamboukas kommt bei einem Autounfall ums Leben. Er wird neben Édith Piaf in Paris begraben.

1973
Guy Casaril dreht den biografischen Film "La môme Piaf" [dts: "Der Spatz von Paris"], mit Brigitte Ariel in der Hauptrolle.

1983
Claude Lelouch dreht den biografischen Film "Édith et Marcel".


1985
Die Piaf-Biografie von Monique Lange erscheint.

2004
Die Piaf-Biografie von Ginou Richer erscheint unter dem Titel "Mon amie Édith Piaf [Meine Freundin E.P.]".


2005
Der Staatssender France 2 veranstaltet eine Wahl zum "größten Franzosen aller Zeiten". Piaf landet als höchst plazierte Musikantin6 und als eine von nur zwei Sängerinnen7 auf Platz 10.

2007
Olivier Dahan dreht den biografischen Film "La môme", wobei er inhaltliche Lücken nur notdürftig mittels wiederholter Zickzack-Sprünge durch die Chronologie verdeckt. (Die deutsche Fassung erscheint unter dem Titel "La vie en rose" - makabre Überschrift für ein Leben, das alles andere als auf Rosen gebettet war.)


Marion Cotillard - die nicht die geringste Ähnlichkeit mit Édith Piaf aufweist - erhält für ihre Hauptrolle ein Jahr später den Oscar als "beste Schauspielerin".8


1Dies gelang auch ihrem Kollegen Maurice Chevalier - den die "Widerstandsbewegung" für seine Auftritte im besetzten Paris und in Deutschland schon zum Tode verurteilt hatte. Im Gegensatz zu diesem war E.P. allerdings klug genug, es nicht zu übertreiben, so daß die USA während der McCarthy-Ära gegen sie kein Einreiseverbot als vermeintliche Kommunistin verhängten. Zu denjenigen, die Piaf einen "Persilschein" ausstellten, gehörte auch der galizische Jude Norbert Glanzberg, der - wahrheitswidrig - behauptete, er sei 1933 aus Deutschland "vertrieben" worden, und sie habe ihn während der deutschen Besatzung Frankreichs bei sich versteckt, da nach ihm "gefahndet" worden sei, um ihn ins KZ einzuweisen. Tatsächlich hatte er Deutschland 1933 aus freien Stücken verlassen und lebte während der deutschen Besatzung ganz offen - niemand fahndete nach ihm - in einem Schloß bei Marseille. In den 1950er Jahren schrieb er einige Chansons für Piaf, von denen jedoch nur "Padam, Padam" und "Mon manège à moi" Erfolg hatten.
²Daß E.P. sich darüber hinaus Hoffnungen gemacht haben soll, M.C. zu heiraten, hält Dikigoros für ein Gerücht. M.C. war - wie fast alle ihre Liebhaber davor und danach - verheiratet; und seine Ehe war trotz allem weitgehend intakt; sein jüngstes Kind war erst wenige Wochen vor seinem tödlichen Unfall geboren worden.
³Daß E.P. und J.P. zwei Monate später auch kirchlich heirateten, hält Dikigoros für ein Märchen: Sie war nicht getauft, und er war geschieden. In solch krassen Fällen gab es damals keinen Dispens.
4Tatsächlich starb M.M. an einem gebrochenen Blinddarm, der zu spät diagnostiziert wurde.
5Falls diese Gerüchte wahr sind, dann täuschte sich T.L. gewaltig: Piafs Schulden überstiegen bei weitem ihr Vermögen.
6Unter den ersten 50 plazierten sich außerdem Georges Brassens (12.), Daniel Balavoine (19.), der russische Jude Lukas Ginzburg ["Serge Gainsbourg"] (20.), der Armenier Schahnur Asnavurian ["Charles Aznavour"] (29.), der Italiener Ivo Livi ["Yves Montand"] (30.), der Belgier Jan Smet ["Johnny Hallyday"] (34.), der in Ägypten geborene Claude François (36.), Charles Trenet (43.) und Michel Sardou (45.); allerdings wählten die Franzosen Dank ihres bekannten Sinns für Humor auch auffallend viele HanswürsteKomödianten auf vordere Plätze, die gelegentlich sangen - und sei es nur die Nationalhymne -, wie de Gaulle (1.), Coluche (5.), Bourvil (7.), Fernandel (13.) und den Katalanen Funès (17.)
7Die andere war die in Ägypten geborene Italienerin Dalida (58.)
8M.C. verschwindet in den USA bald wieder in der Versenkung, nachdem sie gewagt hat, öffentlich anzuzweifeln, daß ihre Schauspieler-Kollegen Neil Armstrong & Co. 1969 auf dem Mond gelandet sind.


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